Unerhört oder natürlich? Stillen in der Öffentlichkeit

Sein Kind zu stillen ist für Mütter etwas ganz Natürliches. Und doch fühlen sich manche von der öffentlich entblößten Brust der Mutter provoziert. Zu Recht?

Stand: 30.08.2016

Bild: mauritius-images

Stillen ist gesund für das Baby, Mütter sollten ihren Kindern deshalb - wenn es geht - die Brust geben. Zumindest darüber herrscht in weiten Kreisen Einigkeit.

Geht es aber darum, wo eine Mutter stillen darf und damit auch, wo sie darauf verzichten sollte, gehen die Meinungen auseinander. Immer wieder sorgen Fälle für Diskussionsstoff, in denen stillende Mütter aus Cafés oder öffentlichen Verkehrsmitteln geworfen wurden.

Eine nackte Brust in der Öffentlichkeit?

Ein so intimer Vorgang wie das Stillen gehöre eben nicht in Öffentlichkeit heißt es dann. Die Brust in der Öffentlichkeit zu enthüllen sei unangebracht.

"Unter der Voraussetzung, dass sich eine Frau zum Stillen nicht demonstrativ auszieht, kann ich die Aufregung nicht verstehen", sagt Aleyd von Gartzen, Stillbeauftragte des Deutschen Hebammenverbands. Die meisten Frauen würden sich ohnehin einen etwas geschützteren Platz suchen, auch weil es für sie selbst angenehmer sei.

Eine Mitarbeiterin im Bordrestaurant eines ICE von Hannover nach Frankfurt am Main sah das im vergangenen Jahr anders: Sie legte einer stillenden Mutter nahe, doch bitte das Restaurant zu verlassen. Zwar sei das Stillen in den Zügen nicht verboten, in diesem Fall hätten andere Gäste das Stillen aber als "störend und nicht angebracht" empfunden, hieß es später in einer Stellungnahme der Bahn.

Cafébesitzer können sich auf das Hausrecht berufen

Verboten ist das Stillen in der Öffentlichkeit nicht. Doch ein fehlendes Verbot heißt nicht, dass man sich daran grundsätzlich nicht stören darf. Während der Anblick einer stillenden Mutter die einen kaum berührt, fühlen sich andere dabei unwohl. Und ein Wirt, der eine Mutter des Cafés verweist kann sich auf das Hausrecht berufen, das ihm freistellt, wen er in seinen Räumen bewirtet - und wen nicht.

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, hält solche Fälle allerdings für Diskriminierung. "Wenn Müttern verboten wird, ihr Baby an öffentlichen Orten zu stillen, dann ist das eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Jungen Müttern darf nicht die volle Teilhabe am öffentlichen Leben verweigert werden, nur weil ein Cafébesitzer das Stillen anstößig findet", sagt Lüders.

Zwar beziehe sich die Vorschrift auf das Arbeitsrecht, der Grundgedanke aber sei "auch auf sonstige Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens zu übertragen".

Für die Stillbeauftragte von Gartzen liegt das Problem darin, dass es in Deutschland keine echte Stillkultur gebe. Auch wenn je nach Region fast 90 Prozent der Mütter zumindest damit anfingen, ihre Kinder zu stillen, sei der Anblick stillender Frauen in der Öffentlichkeit für viele Menschen noch ungewohnt. Sie sagt: "Im Grunde braucht es kein Gesetz, es ist alles da – nur nicht die Akzeptanz."