Big Data vs Datenschutz Datensparsamkeit war gestern

Die Aussagen der Kanzlerin und des Wirtschaftsministers sind unmissverständlich: Das Prinzip, wonach Firmen nicht mehr Kundendaten sammeln sollen, als unbedingt nötig, soll dem Big-Data-Aufschwung weichen. Von Florian Regensburger

Von: Florian Regensburger

Stand: 18.11.2016

Bild: picture-alliance/dpa

Big Data funktioniert mit den heutigen Datenschutzregeln nicht richtig - also müssen die Regeln geändert werden: Entsprechend äußerten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Gabriel gestern beim nationalen IT-Gipfel in Saarbrücken.

"Gut mit der Wirtschaft kooperieren"

"Wir Europäer sind dafür bekannt, dass wir gerne Dinge verbieten", sagte Merkel. Doch vorgeschriebene Datensparsamkeit könne heute nicht mehr das Motto sein. Vielmehr müsse die Politik "gut mit der Wirtschaft kooperieren". Ihr Minister Gabriel schlägt in die gleiche Kerbe: Es gehe nun nicht mehr darum, Datensammeln zu vermeiden, sondern um Datensouveränität. Bildung und Aufklärung müssten dafür sorgen, dass die Bürger bewusster mit ihren Daten umgingen.

Beim Datenschutz, so Merkel weiter, gehe es "auch um Freiräume, um neue Entwicklungen zu ermöglichen". Die Kanzlerin will nicht länger zusehen, wenn US-Konzerne wie Google oder Facebook Milliarden scheffeln, während deutschen Unternehmen die Hände gebunden sind - vor allem was Big Data angeht, also die automatisierte Auswertung großer Datenmengen mit angehängten Geschäftsmodellen.

"Datensparsamkeit kann heute nicht die generelle Leitlinie für neue Produkte sein"

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Dafür sorgt erstens das Prinzip der Datensparsamkeit. Es besagt, dass ein Unternehmen nicht mehr Daten sammeln darf, als für das Funktionieren eines Produkts erforderlich sind. Die Datensparsamkeit soll so etwa verhindern, dass ein Navigationsgerät Daten darüber erhebt, welche Musik eine Person im Auto hört, um diese Daten für Werbezwecke auszuwerten.

Zweitens gilt das Prinzip der Zweckbindung, das je nach Anwendungsbereich einen relativ hohen Stellenwert im deutschen und europäischen Datenschutzrecht hat. Es besagt, dass Daten nur zu dem Zweck beziehungsweise innerhalb des Dienstleistungs-Angebots verwendet werden dürfen, bei dem sie auch gesammelt wurden. So soll die Zweckbindung zum Beispiel verhindern, dass Bestelldaten von einem Online-Essenslieferservice mit Standortdaten aus einem vernetzten Auto zusammengeführt werden, um Kunden auf ihrem Smartphone geeignete Restaurants in der Nähe vorzuschlagen - zumindest theoretisch.

US-Unternehmen haben derzeit einen Wettbewerbsvorteil

Denn jeder aufmerksame Smartphone-Nutzer kann feststellen: US-Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook nehmen es mit diesen Regeln nicht immer so genau. Und wenn Datenschützer oder Verbraucherorganisationen juristisch dagegen vorgehen, dauern die Verfahren oft mehrere Jahre, in denen die Unternehmen ihre Geschäfte mit den Daten in der Regel unbehelligt weiter betreiben können. Selbst Klagen wie die des unermüdlichen Aktivisten Max Schrems gegen Facebook, die weltweit Beachtung fanden, führten bislang nicht dazu, dass Facebook etwas Wesentliches an seiner Praktik der Datenverarbeitung geändert hätte - und das, obwohl der EuGH vor über einem Jahr Rechtsverstöße festgestellt hat, was etwa den Datentransfer Facebooks in die USA auf Grundlage des damaligen Safe-Harbor-Abkommens anging.

Nach dem Willen der Kanzlerin und des Bundeswirtschaftsministers sollen nun also auch deutsche Unternehmen mehr Möglichkeiten bekommen, Daten zu Geld zu machen. Derzeit besteht ein klarer Wettbewerbsnachteil zur US-Konkurrenz - gegen deren hierzulande möglicherweise rechtswidrige Praktiken die deutsche und europäische Justiz keine wirksame Handhabe vorweisen kann. Und die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die eine weniger stark regulierte Big-Data-Auswertung bietet, wiegen offenbar schwerer, als das bislang hohe deutsche Datenschutzniveau, welches die Bundesregierung auf ihrer Website zur "Digitalen Agenda" noch als "entscheidenden wirtschaftlichen Standortfaktor" preist.

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