Der blinde Tim Kleinwächter und sein Rad-Pilot Raphael Junghans stehen nebeneinander angelehnt an ihr Tandemrad.
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Der blinde Tim Kleinwächter und sein Rad-Pilot Raphael Junghans sind ein gutes Team.

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Challenge Roth 2023: Blinder Triathlet steht mitten im Leben

Tim Kleinwächter fiebert dem Langstreckentriathlon Challenge Roth entgegen. Denn für den blinden Para-Triathleten ist es das Highlight des Jahres. Nach einem schweren Radunfall, bei dem er das Augenlicht verlor, half ihm der Sport zurück ins Leben.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Franken am .

Eigentlich kaum zu glauben: Der 33-jährige Tim Kleinwächter findet, dass sein Leben seit einem schweren Radunfall mit Schädel-Hirn-Trauma positiver verläuft als davor. Doch erstmal stand es gar nicht gut um seine Gesundheit. Nach dem Unfall lag er mehrere Wochen im Koma und musste anschließend mühsam lernen, aus dem Rollstuhl aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen. Die Schädigung des Sehnervs blieb, so dass Tim nur noch zwei Prozent Sehkraft hat, sozusagen blind ist.

Vom Hometrainer auf's Tandem

Schritt für Schritt hat er sich damals wieder zurück ins Leben gekämpft. Erst radelte der gebürtige Ochsenfurter zuhause auf einem Ergometer bis er genügend Kraft hatte, um auf ein Tandem zu steigen. Dann kamen Schwimmen und Laufen hinzu und zuletzt summierte sich sein Training auf über zwanzig Stunden pro Woche. "Der Sport gibt mir die Bestätigung, dass man es nach einem so harten Einschnitt im Leben trotzdem wieder nach oben schaffen kann", sagt er und freut sich, dass er im vergangenen Jahr Deutscher Meister im Para-Triathlon geworden ist. Mittlerweile trainiert Tim Kleinwächter in der TSG 08 Roth, wo er auch Raphael Junghans kennengelernt hat. Regelmäßig fahren die beiden zusammen auf dem Rennrad-Tandem durch den Landkreis Roth, denn Tim ist auf einen Rad-Piloten vorne am Lenker angewiesen.

Hoffnung nie aufgeben

Auch Raphael Junghans, der in der 2. Triathlon-Bundesliga startet, gefällt das gemeinsame Training. Denn Triathlon sei streckenweise ein einsamer Einzelsport, sagt er. Zu zweit findet er es daher cool, "weil wir uns gegenseitig pushen können. Wenn einer mal einen Durchhänger hat, baut der andere einen wieder auf." Außerdem gebe es einem auch mental einen zusätzlichen Ansporn, dass man sich anstrengt und durchhält, um den anderen nicht hängen zu lassen.

Als sich die beiden kennengelernt haben, war Raphael beeindruckt von dem Weg, den Tim seit dem Unfall zurückgelegt hat: "Ich bin ein spiritueller Mensch, so dass mich seine Geschichte sehr bewegt hat. Sie zeigt mir, dass man die Hoffnung im Leben nie aufgeben darf." Außerdem unterstützt er Tim gerne beim Training, weil er als Kind erlebt hat, wie seine Schwester wegen eines Handicaps gehänselt wurde. Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass zwischen Menschen mit oder ohne sogenannte Behinderung kein Unterschied gemacht werde.

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Tim Kleinwächter und Raphael Junghans justieren gemeinsam die Sattel am Tandemrad.

Blind vertrauen

Beim Schwimmtraining kommt Tim Kleinwächter im Schwimmbad alleine klar, weil er sich beispielsweise entlang des Beckenrandes orientieren kann. Doch im Freiwasser und vor allem im Wettkampf ist er durch einen Beingurt mit seinem Triathlon-Partner verbunden. Ähnlich ist es beim Lauftraining und Wettkampf, wenn der Mitläufer ihn zudem rechtzeitig vor Bordsteinkanten oder anderen Stolperfallen warnen muss. Tim Kleinwächter muss seinen Begleitern tatsächlich blind vertrauen und in der Regel funktioniert dies sehr gut. Seine Lieblingsdisziplin ist allerdings das Radfahren, weil er da Vollgas geben und sich und den Fahrtwind in vollen Zügen spüren kann.

Highlight des Jahres

Auf den Langstreckentriathlon Challenge Roth freut der 33-Jährige sich schon sehr: "Das ist für mich immer das Highlight im Jahr, die 180 Kilometer Rad zu fahren. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man von so vielen Menschen angefeuert wird. Die flippen überall aus, wenn ich auf dem Tandem unterwegs bin", weiß er aus den vergangenen Jahren. Auf der Radstrecke sorgt natürlich der legendäre Solarer Berg für Gänsehaut-Feeling. Viele Menschen teilen ihm immer wieder mit, dass sein Beispiel sie motiviere, selbst über die eigenen Grenzen hinauszuwachsen. Der Gedanke, für manche ein Vorbild zu sein, gefällt Tim Kleinwächter. Denn so oft gehe es weiter als man denkt – ob im Leben, beim Sport oder beim Langstreckentriathlon Challenge. Natürlich gibt es gerade im Sport immer wieder Höhen und Tiefen, Erfolge und Rückschläge. Das hat Tim Kleinwächter erst kürzlich wieder am eigenen Leib erfahren.

Rückschläge meistern

Nachdem er sich durch den Radschuh eine Blase am Fuß zugezogen hatte, entzündete sich sein Bein. Die Infektion war so stark, dass Tim Kleinwächter im Krankenhaus behandelt werden musste. Wäre der Entzündungswert weiter gestiegen, hätte sein Bein amputiert werden müssen. Doch soweit kam es glücklicherweise nicht, weil ein Antibiotikum gegen die Entzündung half.

Rückblickend scherzt Tim darüber, dass man dann für ihn eine neue Kategorie beim Para-Triathlon hätte schaffen müssen: Blind und einbeinig. Ein bisschen Galgenhumor brauche man bei solchen Rückschlägen schon, sagt er. Aber nun geht es wieder aufwärts: Tim ist fit genug für die 180 km Rad beim Langstreckentriathlon Challenge Roth, die er mit einem 40er Schnitt zurücklegen will. Der Sport ist mittlerweile sein Lebensmittelpunkt. "Mir geht's gut", sagt er, "und ich glaube, dass ich ohne den Sport, den eisernen Willen und den christlichen Glauben jetzt nicht da wäre, wo ich jetzt bin."

Tim Kleinwächter bei sich Zuhause.
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Tim Kleinwächter fiebert dem Langstreckentriathlon Challenge Roth entgegen. Für den blinden Para-Triathleten ist es das Highlight des Jahres.

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