Symbolbild zu "Fake News" mit Maske, Teströhrchen und einem Warnschild für Biogefährdung.
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Wie Behördendaten für Impf-Falschbehauptungen missbraucht werden

Um Impfnebenwirkungen als besonders schlimm darzustellen, bedienen sich Desinformationsseiten des US-Meldesystems – in das jeder einfach reinschreiben kann. Das zeigt eine Analyse des Portals "NewsGuard", die dem #Faktenfuchs exklusiv vorab vorliegt.

Über die Nebenwirkungen der Corona-Impfung kursieren viele überzogene Meldungen bis hin zu nicht belegbaren Todesfällen. Der #Faktenfuchs hat etliche Behauptungen bereits eingeordnet – zum Beispiel dass allergische Schocks sehr selten sind und es mehrere vom #Faktenfuchs befragte Experten für ausgeschlossen halten, dass Impfstoff-mRNA die DNA verändert. Auch Verbindungen zu einer Erkrankung an Multiper Sklerose sind haltlos.

NewsGuard, ein Portal, das Nachrichtenseiten nach ihrer Verlässlichkeit einstuft, nimmt aktuell Desinformation zur Nebenwirkung von Covid-19-Impfungen in den Blick. Der Report, der dem #Faktenfuchs vorab vorliegt, legt dar, wie aus Berichten des Paul-Ehrlich-Instituts und dem amerikanischen Meldesystem für Impfnebenwirkungen, der VAERS-Datenbank, irreführende Aussagen getroffen werden und auf welchen Webseiten dies passiert.

"Immer wieder werden gezielt die Nebenwirkungen der Impfstoffe falsch dargestellt, übertrieben oder es wird sogar von erfundenen Todesfällen berichtet, um Misstrauen in die Regierung und das bundesweite Impfprogramm zu säen", stellen die NewsGuard-Analysten in ihrem Report fest, der heute veröffentlicht wurde.

Irreführende Wiedergabe von Behörden-Informationen

So habe zum Beispiel ein Video von Mai dieses Jahres auf Compact-Online, dem Online-Ableger eines rechten Magazins, die Impfung als "politisch gewollte Impfung" dargestellt und fälschlicherweise behauptet, dass 60 Prozent der Geimpften mit Nebenwirkungen unter diesen dauerhaft leiden. Zwei Prozent würden daran sterben. Das NewsGuard-Autorenteam schreibt: Die Zahlen stammten aus einer "irreführenden Interpretation" des Sicherheitsberichts vom Paul-Ehrlich-Institut. Darin heißt es, dass 40,1 Prozent der unerwünschten Reaktionen zum Zeitpunkt der Meldung wieder vollständig abgeklungen seien. Was aber nicht bedeute, dass die übrigen 60 Prozent dauerhaft seien. "Dauerhafte Schäden werden im selben PEI-Bericht auf lediglich 0,6 Prozent geschätzt", so das Autorenteam weiter. Zahlen und Statistiken des Paul-Ehrlich-Instituts würden oft falsch oder ohne den nötigen Kontext wiedergegeben.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Viorela Dan von der Ludwig-Maximilians-Universität in München ordnet das für den #Faktenfuchs ein: "Gegen das Establishment zu sein spielt bei den Verbreitern von Corona-Fehlinformationen eine wichtige Rolle", so Dan. Das Prinzip sei von Verschwörungstheorien bekannt: Ein pauschales Misstrauen gegenüber staatlichen Stellen und "denen da oben" werde auf Themen angewandt, die gerade aktuell seien. Dass es nun auch die Impfkampagne treffe, möge besorgniserregend sein. Aber überraschend sei es nicht.

💡 Wie funktioniert NewsGuard?

NewsGuard bewertet die Glaubwürdigkeit und Transparenz von Nachrichten- und Informationsseiten. Die Ratings basieren auf neun journalistischen Kriterien. Jede Webseite erhält einen Punktwert von 0 bis 100. Das entsprechende grüne oder rote Symbol steht für die grundsätzliche Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit des Angebots. Nutzer erhalten die Informationen über eine Browsererweiterung.

Desinformations-Übernahmen aus dem Ausland

Ein anderes Beispiel, das NewsGuard nennt, ist ein unbestätigtes Video einer Frau aus den USA, die angeblich nach einer Impfung nicht mehr aufhören konnte, zu zittern. Dieses Video sei Anfang Januar in den USA viral gegangen und sei unter anderem auch von kla.tv mit Bezug auf die amerikanische, nicht vertrauenswürdige Seite brighteon.com veröffentlicht worden.

"Wie in diesem Fall sind die Quellen für Desinformation oft unglaubwürdige Online-Medien aus dem Ausland, deren Aussagen von deutschen Webseiten übernommen werden", stellt NewsGuard fest.

Auch eine offizielle Quelle aus den USA sei in den vergangenen Wochen Opfer von Desinformation geworden: das Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS), das Meldesystem für Impfnebenwirkungen. Diese gemeinsame Datenbank der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC und der Lebensmittelüberwachung- und Arzneimittelbehörde (FDA) hat eine Schwachstelle: Jeder kann ungeprüft Einträge erstellen.

NewsGuard schildert den Fall, dass angeblich ein zweijähriges Mädchen aus Virginia in den USA am 1. März nach einer Impfung gestorben sei – was von der unzuverlässigen britischen Webseite "The Daily Expose" aufgegriffen worden sei und sich auch auf deutschsprachigen Webseiten verbreitet habe, wie zum Beispiel auf der Facebook-Seite des Mediziners Wolfgang Wodarg. Doch der Fall des Mädchens war laut CDC komplett erfunden und sei aus der Datenbank entfernt worden.

"Dies ist bei weitem nicht das einzige Mal, dass Anti-Impf-Webseiten sich auf VAERS-Daten beziehen, um vor unbelegten und falschen Nebenwirkungen der COVID-19-Impfstoffe zur warnen – darunter Tod, Unfruchtbarkeit und Autoimmunerkrankungen", so das Autoren-Team. NewsGuard beobachtete, dass als unzuverlässig eingestufte Webseiten in Europa ihre Impf-Desinformation sogar häufiger auf die US-amerikanischen VAERS-Daten stützten als auf die Daten der Gesundheitsbehörden des eigenen Landes, und so Ängste und Zweifel an der Sicherheit von Impfstoffen schürten.

Ein Spiel mit den Ängsten der Menschen

Zum Teil finden solche Behauptungen eine hohe Verbreitung. Die Kommunikationswissenschaftlerin Dan erkennt hierin verschiedene Motivationen. Im Gespräch mit dem #Faktenfuchs sagt sie, es gebe "eine Handvoll Akteure mit böswilligen Absichten", die solche Behauptungen aufstellen beziehungsweise teilen, wohlwissend, dass diese nicht stimmen. Die Mehrheit aber habe komplexe Zusammenhänge nicht verstanden, habe vielleicht Angst und möchte durch das Teilen einer Behauptung, die sie selbst für wahr halten, andere beschützen. Es werde also mit der Angst von Menschen gespielt.

"Die Seiten, auf denen wir die Desinformation zu Behördenangaben gefunden haben, sind schwer zu kategorisieren. Auffallend ist allerdings, dass sie allesamt schon vor Corona als Verbreiter von Verschwörungsmythen bekannt waren und von NewsGuard als solche gekennzeichnet wurden, wie zum Beispiel JournalistenWatch, Achgut oder die EpochTimes", sagt Marie Richter, eine leitende Redakteurin und Analystin bei NewsGuard. Und es habe sich auch wieder gezeigt, dass die meisten Publikationen zur Desinformation politisch weit rechts angesiedelt sind.

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