ARCHIVBILD: Eine Gruppe Exil-Iraner protestieren für Toomaj Salehi in Oslo am 08.07.2023. Sie tragen Masken mit Salehis Konterfei über ihren Gesichtern.
Bildrechte: picture alliance / NTB | Javad Parsa

ARCHIVBILD: Eine Gruppe Exil-Iraner protestieren für Toomaj Salehi in Oslo am 08.07.2023.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Todesurteil gegen iranischen Rapper: Die Angst des Regimes

Es war ein Schock für die iranische Gesellschaft und die Welt: Die Nachricht, dass der Rapper Toomaj Salehi zum Tode verurteilt wurde. Das Regime wolle die Leute damit einschüchtern, sagen Experten – es gehe dabei aber ein hohes Risiko ein.

Über dieses Thema berichtet: Kulturleben am .

Im Iran soll der Rapper Toomaj Salehi für seine systemkritischen Songs offenbar mit dem Leben bezahlen, wie etwa der Deutschlandfunk berichtet. Ein Revolutionsgericht hat die Todesstrafe verhängt.

Vorbild für eine ganze Generation

Toomaj Salehi ist im Iran unglaublich bekannt. "Er wird als der Sohn Irans bezeichnet, der Sohn der Nation", sagt Natalie Amiri, die lange für die ARD aus dem Iran berichtet hat, im Interview mit dem BR. Der Rapper stehe für die junge Generation des Iran - ein Land, in dem circa 60 Prozent der Menschen unter 30 Jahre alt sind. Und er stehe für ihre Unerschrockenheit, für die Wut auf das Regime.

"Toomaj Salehi ist jemand, der unglaublich starke Worte findet in seinen Songtexten, aber auch in seinen Videos oder seinen Interviews", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie, die politische Patin Salehis ist, und als solche versucht, Aufmerksamkeit auf seinen Fall zu lenken. "Er redet darüber, wie er sich ein Land vorstellt, wo Menschen keine Angst haben müssen, wo Menschen in Freiheit leben."

Stimme gegen das Regime

Toomaj Salehi habe immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass Menschen in Solidarität zueinander stehen und dass sie füreinander einstehen. "Und jemand, der so klare Worte findet und der mit diesen Worten die Menschen dazu bekommt, für Dinge zu kämpfen, ist natürlich für ein Regime, was nur mit Terror und mit Gewalt funktioniert, eine ganz große Gefahr", so Ye-One Rhie.

Der Rapper hat schon vor der Protestbewegung seit 2022 kritisiert, was im Iran seiner Meinung nach falsch läuft. Er hat Frauen- und Arbeiterrechte angesprochen, hat politische Gefangene in den Gefängnissen thematisiert oder Korruption. "Er hat nie ein Blatt vor den Mund genommen", sagt Natalie Amiri, "und so wurde er immer mehr zur Ikone dieser Protestbewegung, mit der er sich im Herbst solidarisierte und dann auch einen Song herausbrachte, in dem es hieß: Das Verbrechen einer Person war es, ihr Haar im Wind tanzen zu lassen."

Willkür und Terror

Mit einem rechtsstaatlichen Vorgehen habe das Urteil nichts zu tun, sagt Ye-One Rhie. "Wenn man sich überlegt, dass Toomaj Salehi für die gleiche Aktenlage mit den gleichen Beweisen letztes Jahr sechs Jahre Haft bekommen hat und heute soll es auf einmal die Todesstrafe sein, dann kann man das überhaupt nicht nachvollziehen", so Rhie. "Man muss ganz klar sagen: Selbst in der eigenen Rechtssprechung widerspricht sich die Islamische Republik Iran, selbst die Gerichte untereinander widersprechen sich."

Es sei wichtig, zu verstehen, dass es hier nicht um "andere Länder, andere Sitten, andere Rechtsprechungen" geht, sondern dass das "absolute Willkür" sei. "Das ist Terror", so Rhie.

Die Angst des Regimes

Einen konkreten Grund für das Urteil findet auch Natalie Amiri nicht. Sie vermutet, die Angst des Regimes, Toomaj Salehi könne zu Protesten aufrufen und zu einer neuen Führungsfigur für die Protestbewegung werden. "Die hat bei den letzten Protesten dieser revolutionären Bewegung gefehlt und das will das Regime um jeden Preis vermeiden. Denn die Unzufriedenheit der Bevölkerung ist höher denn je und die Wut ist größer denn je."

Dem Todesurteil geht eine lange Geschichte voraus. Toomaj Salehi wurde immer wieder verhaftet, freigelassen, wieder verhaftet. Dahinter könne das Kalkül des iranischen Regimes stecken, die Menschen einzuschüchtern, hält Natalie Amiri für möglich. Trotzdem sei das auch riskant für das Regime, denn Salehi hat sich nie gebeugt und wird immer gefährlicher für das Regime als Vorbild für eine ganze Generation. "Er verbrachte insgesamt 252 Tage in Isolationshaft", so Amiri. "Nachdem er dann kurz raus war aus der Haft, hat er sich gemeldet und bei all seinen Followern und Unterstützern bedankt und hat gesagt: Ihr habt mir das Leben gerettet. Er kommuniziert permanent mit dem Volk, und das Volk antwortet, und das ist enorm gefährlich für das Regime."

Regime greift innenpolitisch wieder härter durch

Die Verurteilung von Toomaj Salehi zum Tode fügt sich ein in eine generelle neue Härte des iranischen Regimes, beobachtet Amiri. "Gerade Frauen werden, wenn sie ihr Kopftuch nicht tragen, wieder brutalst verhaftet von der Sittenpolizei, die überall steht und die Mädchen und Frauen in Minibussen abtransportiert. Es finden wirklich fast Straßenkämpfe zwischen Sittenpolizei und weiblicher Bevölkerung statt."

Für Toomaj Salehi ist die Situation extrem ernst. Sein Anwalt will Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Doch dabei kann er sich kaum auf eine gerechte Justiz, die unabhängig entscheidet und nach dem Gesetz handelt, verlassen. Hoffen könne er wohl lediglich darauf, dass das Regime vor der Vollstreckung des Urteils doch noch zurückschreckt. "Es wäre brandgefährlich für das Regime, ihn hinzurichten", so Amiri, "dann würde es wirklich Massen auf die Straßen bewegen. Aber es kann trotzdem passieren."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!