Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
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Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg: Einen Besuch von Hubert Aiwanger können sich die Verantwortlichen derzeit nicht vorstellen.

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KZ-Gedenkstätten in Bayern wollen jetzt keinen Aiwanger-Besuch

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung will, dass Hubert Aiwanger wegen der Flugblatt-Affäre eine KZ-Gedenkstätte besucht. "Keine gute Idee", sagt der Leiter der Gedenkstätte in Flossenbürg. Auch die Gedenkstätte Dachau hat abgelehnt.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus der Oberpfalz am .

Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit, würde einen Besuch des stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in der Einrichtung vor der Landtagswahl am 8. Oktober ablehnen. Das sagte er dem BR-Studio Oberpfalz auf Anfrage. Dies sei auch innerhalb der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten so abgestimmt.

Auch die KZ-Gedenkstätte Dachau hat sich inzwischen gegen einen schnellen Besuch von Aiwanger ausgesprochen. "Von öffentlichkeitswirksamen politischen Besuchen im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl möchte die KZ-Gedenkstätte Dachau absehen", sagte eine Sprecherin der "taz". Die aktuelle Debatte zeige aber, so die Sprecherin, "wie wichtig eine lebendige Erinnerungskultur und der Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus nach wie vor ist".

Pfarrer der Versöhnungskirche warnt vor Opfer-Stilisierung

Auch Björn Mensing, der Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, nahm auf BR24-Nachfrage dazu Stellung. Solange sich Aiwanger "nicht konkret zu Verfehlungen in der Jugendzeit, die die NS-Opfer verhöhnten, bekennt und diese glaubhaft und ohne Einschränkungen bedauert und bereut, sehe ich nicht, was ein Besuch von Herrn Aiwanger in der KZ-Gedenkstätte Dachau für einen Sinn haben sollte", so Mensing. Sollte sich der stellvertretende Ministerpräsident gar "weiterhin zum Opfer eines Shoah-Missbrauchs 'zu parteipolitischen Zwecken' stilisieren, wäre ein Besuch von ihm in der KZ-Gedenkstätte (...) eine erneute Irritation für viele NS-Verfolgte und ihre Familien."

Die Entscheidung von Ministerpräsident Söder, Aiwanger im Amt zu belassen, sei für ihn "nicht mit dessen Bekenntnissen zur Gedenkkultur und zur Antisemitismusprävention vereinbar". Mensing verwies auch auf den Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, Jens-Christian Wagner, der erklärt hatte: "Ich würde Aiwanger nicht erlauben, bei uns Gedenkreden zu halten."

Auch Friedhöfe – und kein Ort für tagesaktuelle Politik

"Das sind keine kathartischen Orte, wo man Abbitte leistet", sagte auch Jörg Skriebeleit von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg dem BR. Im konkreten Fall um Hubert Aiwanger dürften diese Orte, die auch Friedhöfe sind, nicht für tagesaktuelle Politik benutzt werden. "Es ist auch eine Frage der Pietät, was man bis zum 8. Oktober macht. Es geht um den Respekt vor den Menschen, die ums Leben gekommen sind." Eine Anfrage für einen Besuch Aiwangers gebe es bislang noch nicht, so Skriebeleit.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte in der sogenannten Flugblatt-Affäre Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau nahegelegt. Damit käme er seiner Vorbildfunktion nach. Es sei ein gutes Zeichen, wenn Aiwanger nicht nur das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden, sondern auch mit den Gedenkstätten in Bayern suche, so Klein.

Flossenbürg und Dachau: KZ-Gedenkstätten seit 1947 und 1965

Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg besteht seit Mai 1947. Sie war in Europa eine der ersten Gedenkstätten, die am Ort eines ehemaligen Konzentrationslagers eingerichtet wurden. Im KZ Flossenbürg waren zwischen 1938 und 1945 insgesamt etwa 100.000 Personen inhaftiert. Hier und in den zahlreichen KZ-Außenlagern in der Region starben etwa 30.000 Menschen.

Das KZ-Dachau vor den Toren Münchens zählte zu den ersten Konzentrationslagern der Nazis und ist eines der bekanntesten. Die Nationalsozialisten nahmen es als Vorbild für andere Lager. Der Name Dachau ist bis heute weltweit ein Begriff für den Terror während der Hitler-Diktatur. Mehr als 200.000 Menschen waren dort und in den Außenlagern ab 1933 inhaftiert, mindestens 41.500 Menschen starben dort an Hunger, Krankheiten, Folter oder wurden ermordet. Die Gedenkstätte wurde am 9. Mai 1965 anlässlich des 20. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers eröffnet.

Interesse nach Flugblatt-Affäre sprunghaft gestiegen

Die Flugblatt-Affäre habe die Arbeit der Gedenkstätte beschädigt, so Skriebeleit im BR-Interview, allerdings nicht inhaltlich. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Aiwanger seien so viele Rückmeldungen eingegangen wie in den letzten zehn bis 15 Jahren nicht – positive, negative und eindeutig abgrenzende. Dabei halte man sich sehr dezidiert aus politischen Bewertungen heraus. "Das ist der Flurschaden, der schon entstanden ist, und nicht durch eine Kampagne, sondern auch durch Reaktionen oder Nicht-Reaktionen."

Der Gedenkstättenleiter wünscht sich eine Versachlichung der aktuellen Debatte. Zwar brächten auch polarisierende Diskussionen die Erinnerungsarbeit voran. "Momentan sind sie aber sehr destruktiv und es braucht sehr, sehr dringend Versachlichungen. Es braucht echtes Interesse, und es braucht eine aufrichtige Auseinandersetzung", so der Gedenkstättenleiter. Diese sei derzeit aber nicht gegeben.

Im Video: BR-Interview mit Jörg Skriebeleit

Der Leiter der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg lehnt Besuche von Hubert Aiwanger ab.
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Der Leiter der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg lehnt Besuche von Hubert Aiwanger ab.

Historiker Wagner: "Schlussstrich-Mentalität" hilft nicht

Aber auch außerhalb Bayerns regt sich Kritik: Der Thüringer Historiker und Gedenkstättendirektor Jens-Christian Wagner sagte dem BR, Bayerns Ministerpräsident habe mit seinem Festhalten an Aiwanger die Errungenschaften der Erinnerungskultur geopfert – aus machtpolitischem Kalkül.

"Jetzt Schwamm drüber, jetzt gucken wir nach vorne", das sei genau die falsche Haltung, sagt Wagner. "Eine Schlussstrich-Mentalität hat uns noch nie weitergeholfen. Sondern wir müssen uns mit der Geschichte auseinandersetzen, in diesem Fall mit der Geschichte der NS-Verbrechen und ihrer Verherrlichung durch dieses widerliche Pamphlet vor 35 Jahren."

Wagner hält es auch für nicht angebracht, nun von Aiwanger zu fordern, er solle eine Gedenkstätte wie Dachau besuchen. "Diese Orte sind keine Ablass-Orte, an denen man sich einen Persilschein besorgen kann." Wagner ist Historiker an der Universität Jena und Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen. An beiden Orten befanden sich NS-Konzentrationslager, in denen mehr als 75.000 Menschen zu Tode kamen.

Aiwanger-Einladung aus Nürnberg

Bereits in der vergangenen Woche, kurz nach Beginn der Flugblatt-Affäre, hatte der Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Jo-Achim Hamburger, Hubert Aiwanger zu einem Besuch in die KZ-Gedenkstätte Dachau eingeladen. Es sei ihm ein Anliegen, Aiwanger bei einem gemeinsamen Rundgang zu zeigen, welche Ausmaße Antisemitismus und Hass annehmen könnten, wenn man sie nicht bekämpfe, sagte Hamburger dem Bayerischen Rundfunk.

Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, betonte indessen, dass es für Aiwanger kein Verbot gebe, die Gedenkstätten in Bayern zu besuchen. "Es kann jeder jederzeit eine KZ-Gedenkstätte besuchen", sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Das gelte auch für den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten. Freller fügte allerdings hinzu: "Ich würde ihm raten, das ohne Presse und nicht vor der Wahl zu machen. Für einen solchen Besuch braucht es angemessene Ruhe."

Gespräch mit jüdischen Gemeinden suchen

Der bayerische Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl hatte seinen Parteifreund Aiwanger am Montag noch einmal aufgefordert, nach der Flugblatt-Affäre gezielt das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden in Bayern zu suchen.

In den jüdischen Gemeinden sei eine "große Irritation entstanden, die ich auch sehr gut nachvollziehen kann", sagte Streibl. Diese Irritation müsse ausgeräumt werden. Deswegen sei es wichtig, den Schulterschluss mit der jüdischen Gemeinde in Deutschland zu suchen.

Mit Informationen von dpa und KNA

Im Video: KZ-Gedenkstätten möchten aktuell keinen Aiwanger-Besuch

Wirtschaftsminister Aiwanger
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Wirtschaftsminister Aiwanger

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