Flüchtlinge vor Gericht Einst Dschihadisten, jetzt reuig in Bayern?

Erstmals müssen sich in Bayern Flüchtlinge wegen Mitgliedschaft in einer dschihadistischen Gruppe verantworten. Die beiden Syrer sollen sich in der "Ahrar al-Sham" engagiert haben, der Prozess hat am Vormittag begonnen. Aber wie terroristisch ist diese Organisation wirklich?

Von: Joseph Röhmel

Stand: 30.03.2017 | Archiv

Bild: picture-alliance/dpa/Firas Taki / Anadolu Agency

Sie lebten in einer Bamberger Asylbewerberunterkunft und wurden vor gut einem Jahr verhaftet – zwei Syrer, der eine 25 Jahre und der andere 22 Jahre alt. Gemeinsam sollen sie nach Deutschland geflüchtet sein. Einer von beiden hat im Syrien-Krieg eine so heftige Verletzung erlitten, dass er im Rollstuhl sitzt.

Die Vorwürfe

Generalbundesanwaltschaft spricht von einer terroristischen Vereinigung. Bild: picture-alliance/dpa

Was ihnen der Generalbundesanwalt genau vorwirft, darüber ist noch wenig bekannt. Was bisher durchgedrungen ist, hört sich noch sehr dünn an.   

Es geht um Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. In Syrien, so der Vorwurf der Ermittler, nahmen die Angeklagten zwischen August 2013 und April 2014 an Kampfeinsätzen gegen syrische Streitkräfte und andere oppositionelle Gruppierungen teil. Diese Kampfeinsätze werden in Sicherheitskreisen als nicht weiter konkretisierbar bezeichnet. Jedenfalls sollen die Männer Gewehre und Panzerfäuste mit sich geführt haben.

Der 25-Jährige begleitete zudem offenbar Truppentransporte, verteilte Lebensmittel, leistete Wachdienste und versorgte Verwundete. Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft handelten beide Männer in Kenntnis der Ziele und Methoden der Vereinigung "Ahrar al-Sham" (Islamische Bewegung der Freien Männer Großsyriens).

Die "Ahrar al-Sham"

Logo der Ahrar al Sham Bild: YouTube

2011 gegründet gilt die Vereinigung als eine der größten Gruppierungen der syrischen Aufstandsbewegung – vor allem 2013 und 2014 mit geschätzten 10.000 bis 20.000 Kämpfern. Zunächst operierte sie vor allem in der Provinz Idlib, dann zusätzlich in Hama und Aleppo. Nach Erkenntnissen der Generalbundesanwaltschaft will sie den syrischen Machthaber Bashar al-Assad stürzen und einen Gottesstaat errichten. Auch pflegt die Gruppe enge Kontakte zum Al-Kaida-Netzwerk.

Allerdings ist Ahrar al-Sham auch ein Beleg dafür, dass die Bürgerkriegs-Lage in Syrien nicht immer leicht einzuschätzen ist. Genau dieser Punkt könnte im Laufe des Prozesses eine entscheidende Rolle spielen. Denn wie gefährlich ist die Gruppe wirklich? Und kann sie als terroristisch eingestuft werden? Die Situation ist höchst kompliziert und wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert.

Steinberg: Gruppe "stark nationalistisch"

Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg Bild: picture-alliance/dpa

In der hiesigen Dschihadisten-Szene scheint die Ahrar al-Sham anerkannt. Der in Österreich zu 20 Jahren Haft verurteilte Prediger Ebu Tejma etwa hielt in der Vergangenheit die Gruppe für einen integralen Bestandteil.

Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg hat sich intensiv mit der Vereinigung auseinandergesetzt. Ihm ist bewusst, dass sich die Gruppe bei "ihren Attacken auf alawitische und schiitische Dörfer und Städte zahlreicher Verbrechen an unbeteiligten Zivilisten schuldig gemacht hat". Er glaubt aber auch, dass die Ahrar al-Sham ein lohnender Bündnispartner im Bemühen um Frieden in Syrien sein könnte. Diese habe Einfluss auf zahlreiche Partner und viel Unterstützung in der Bevölkerung: "Ohne sie wird die Suche nach einer Lösung des Konflikts noch viel schwieriger, als sie ohnehin schon ist."

Zudem operiere sie häufig mit nichtislamischen Gruppen, die der Freien Syrischen Armee zugerechnet würden. Ahrar al-Sham argumentiert Guido Steinberg zufolge stark nationalistisch. Selbst nach einem Sturz des Assad-Regimes seien die Nachbarstaaten nicht bedroht. Es gehe also nicht um die Bekämpfung der westlichen Zivilisation.

Positive Schlagzeilen möglich?

Kämpfer der Ahrar al-Sham. Bild: picture-alliance/dpa

Offensichtlich scheint die Vereinigung an positiven Schlagzeilen interessiert. Noch 2013 äußerte der bei einem Anschlag getötete Anführer Hassan Abboud, dass Christen in seiner Version eines islamischen Gottesstaates nicht dieselben Rechte hätten.

Seit 2015 aber versucht sie sich verstärkt als moderate islamistische Gruppierung darzustellen, die nicht auf eine islamistische Diktatur abziele und auch die Rechte von religiösen Minderheiten schützen werde. Wie glaubwürdig ist diese Entwicklung? Laut Steinberg haben sich in der jüngeren Vergangenheit innerhalb der Vereinigung Flügelkämpfe abgespielt. Einerseits die Vertreter einer gemäßigten Haltung, andererseits die Befürworter eines dschihadistischen Kurses.