Funkstille Orte Das Sorgenkind der bayerischen Polizei

Vor zehn Jahren sollte er schon bundesweit funktionieren: der Digitalfunk für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Immer noch macht der Betrieb des neuen Systems Probleme.

Von: Lena Deutsch und Oliver Bendixen

Stand: 19.10.2016

Bild: picture-alliance/dpa

Mal können sich Streifenbeamte minutenlang nicht in das Netz einbuchen, mal fällt die GPS-Ortung aus, mal werden Funksprüche ganz einfach vom neuen Digifunk verschluckt.

Und das auch bei brisanten Einsatzlagen – wie bei dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum OEZ. Das haben gemeinsame Recherchen des BR-Politikmagazins Kontrovers und des BR-Hörfunks zutage gebracht. Während ein Bericht des Münchner Polizeipräsidiums schonungslos die Probleme anspricht, wertet das zuständige Innenministerium den Digitalfunk weiter als großen Erfolg. Nicht nur bei den Polizeibeamten im Freistaat sorgt das für heftige Diskussionen, sondern auch bei den Berufsvertretungen der Ordnungshüter.

Probleme bei Großlagen

Einsatz am Münchner Olympia-Einkaufszentrum Bild: dpa-Bildfunk

Allein in Bayern hat die Einführung des Digitalfunks bei der Polizei über eine Milliarde Euro gekostet. Seit dem Sommer wird nun überall im Freistaat zwischen Rhön und Bodensee digital gefunkt und nicht mehr analog mit alter Technik, wie sie schon bei "Isar 12" im Einsatz war. Beim Polizeieinsatz während des Amoklaufes in München am 22. Juli 2016 aber wurde deutlich, wo noch immer die Probleme liegen. Gerade bei "Großlagen", wo der neue Funk besonders wichtig ist, kommt das System an seine Grenzen.

Einsatzkräfte nicht erreichbar

Einige Einsatzkräfte waren bis zu fünf Minuten lang nicht erreichbar - wie  etwa der "HvD", der Höhere Beamte vom Dienst, der in dieser brisanten Situation erst einmal der Einsatzleiter war. Teilweise benutzten die Polizisten - während im OEZ noch geschossen wurde - ihre privaten Handys für dienstliche Alarmierungen, was gar nicht erlaubt ist und nur solange funktionierte, bis das Netz des zweitgrößten Mobilfunkanbieters in der Umgebung des Tatortes zusammenbrach. Obwohl das Münchner Polizeipräsidium einige Tage später einen detaillierten Bericht an das Innenministerium schickte, will der für die Einführung des Digitalfunks zuständige Innenstaatssekretär Gerhard Eck davon nichts wissen:

"Mir liegen keine Unterlagen vor, die eine Störung von drei bis fünf Minuten vorgeben. Mir liegen die nicht vor. Ich habe die klare Antwort erhalten, dass es nicht einmal bei jedem Gespräch, sondern nur ab und zu zwei Sekunden gedauert hat."

Gerhard Eck, bayerischer Innenstaatssekretär

"Verständigungsprobleme gibt es sehr wohl"

Der Staatssekretär bliebt dabei: Für ihn ist der Digitalfunk ein "ganz tolles Einsatzgerät", das bereits 97 Prozent der Fläche Bayerns abdecke und damit besser sei als alles, was die Polizei bisher zum Funken zur Verfügung hatte. Das bestreiten Beamte, die im täglichen Streifeneinsatz unterwegs sind, auch gar nicht. Die Probleme treten allerdings dann auf, wenn eine Vielzahl von Fahrzeugen anrückt und Dutzende, wenn nicht hunderte von Beamten gleichzeitig funken müssen – wie etwa in der Amoknacht im Münchner OEZ.

Ähnliches hatten die Einsatzkräfte auch bereits im Februar erlebt, als in München die Sicherheitskonferenz 2016 stattfand und die einheimischen Beamten von Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Regionen Bayerns und aus mehreren Bundesländern unterstützt wurden. Deren Berichte kennt Jürgen Ascherl, der Münchner Bezirksvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG) im Detail.

"Es gab immer wieder Kollegen, die sagen: Einsatz gehabt - aber Funkspruch hat nicht funktioniert oder kam nicht an. Verständigungsschwierigkeiten gibt es sehr wohl."

Jürgen Ascherl, Münchner Bezirksvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft

Kein Funk im Untergrund

Und die treten vor allem auf, wenn die Beamten im Inneren großer Gebäude funken müssen oder in unterirdischen Anlagen wie den U-Bahnen in München und Nürnberg. Der alte Polizeifunk funktionierte dort, weil vor Jahren Antennenkabel verlegt wurden und Verstärkeranlagen. Der neue Digitalfunk funktioniert gerade bis zu ersten Rolltreppe in den Untergrund – dann ist Schluss. Von diesem Problem der "Indoor-Versorgung" wussten die beteiligten Behörden bereits vor der Einführung des Digitalfunks – doch geschah mit Ausnahme von Streitereien um die Kosten wenig.

Funkstille in der Münchner U-Bahn Bild: picture-alliance/dpa

In der Münchner U-Bahn funktioniert der neue Funk nicht – und in der in Nürnberg auch nicht. Immerhin hat sich das Innenministerium inzwischen mit der Stadtverwaltung darauf geeinigt, dass in Nürnberg das Rathaus die Kosten für die Installationen übernimmt. In München fehlt der Stadtverwaltung vorerst noch die Überzeugung, dass ein moderner Polizeifunk einen Beitrag für die Sicherheit der Fahrgäste in den öffentlichen Verkehrsmitteln darstellt und dass die Stadt dafür zahlen solle.

"Die Münchner U-Bahn ist derzeit mit einem analogen Funksystem ausgestattet und entspricht den bisher gültigen Anforderungen an den BOS-Funk für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Einer Umrüstung auf Digitalfunk stehen wir vom Grundsatz her zwar offen gegenüber. Allerdings müssen dafür noch Voraussetzungen geschaffen werden. Zum einen ist ein stadtweites Konzept zum flächendeckenden Aufbau eines digitalen Funknetzes erforderlich; neben der U-Bahn gibt es rund 200 weitere gegebenenfalls nachzurüstende Bauwerke. Zum anderen ist die Finanzierung ungeklärt. Diese können die Stadtwerke und die Münchner Verkehrsgesellschaft nicht leisten."

Matthias Korte, Sprecher der Stadtwerke München

Sicherheitsrisiko bei Terroranschlag

Man sei mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter allerdings im Gespräch, erklärte Innenstaatssekretär Eck im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Grundsätzlich gelte aber, dass der Betreiber einer großen Anlage wie etwa einer U-Bahn oder eines Mega-Einkaufszentrums dafür sorgen müssen, dass Polizei und Feuerwehr im Einsatzfall dort auch funken können. Und das kann – wie im Fall der Münchner U-Bahn – bis zu 20 Millionen Euro kosten. 

Sendepause am Flughafen München Bild: picture-alliance/dpa

Sendepause herrscht im übrigen auch im Inneren der Terminalgebäude am Münchner Flughafen, wie die Recherchen des Bayerischen Rundfunks ergaben - was Experten im Fall eines Großbrandes wie am Düsseldorfer Airport oder eines Terroranschlags für ein gravierendes Sicherheitsrisiko halten. Die Flughäfen Gesellschaft München hat deshalb jetzt entschieden auf eigene Kosten alle Gebäude am Airport mit der neuen Technik zur verbesserten Indoor-Versorgung auszustatten . Die Aufrüstung soll nun europaweit ausgeschrieben werden und 2018 in Funktion sein. Solche Verzögerungen empören jedoch Jürgen Ascherl von der Deutschen Polizeigewerkschaft:

"Da streitet sich wie etwa bei Münchner U-Bahn die Stadt mit dem Freistaat , wer die Kosten übernimmt. Da muss halt jemand endlich ein Machtwort sprechen!"

Jürgen Ascherl

Ascherl moniert zudem, dass der neue Digitalfunk noch lange nicht alle Leistungsmerkmale hat, die von den Lieferfirmen in ihren Hochglanzprospekten der Polizei versprochen wurden. Der Versand von Bildern sei noch immer nicht möglich; bei Notrufen mit GPS-Ortung könne es passieren, dass der Funkspruch des in Bedrängnis geratenen Kollegen bei einer völlig anderen Polizeidienststelle ankomme als geplant; wenn gleichzeitig viele Beamte mit der Einsatzzentrale zu sprechen versuchen, komme es zu gefährlichen Wartezeiten, bis ein Funkspruch abgesetzt werden kann.

Gerhard Eck, der für die Einführung des Digitalfunks in Bayern zuständige Innenstaatssekretär, hält die Kritik für überzogen:

"Wir stellen auf ein neues Funksystem um. Das gibt es nicht fertig zu kaufen. Es ist ein sich ständig erweiternder Prozess in dieser Technik. Aber ich sage Ihnen: Wir kriegen am Ende alles, was bestellt worden ist."

Gerhard Eck

"Am Ende" ist offensichtlich ein dehnbarer Begriff. Vor 20 Jahren begannen Bund und Länder über die Zuständigkeiten bei der Einführung des Digitalfunks zu streiten – vor zehn Jahren blieben die ersten beteiligten Firmen auf der Strecke. Jetzt wird debattiert, was Polizisten von einem System erwarten dürfen, von dem im Ernstfall ihr Leben abhängt.

Autoren: Lena Deutsch und Oliver Bendixen

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