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Interview // Neonazi-Aussteiger "Sie nehmen mich ernst, weil ich in der Szene war"

Mit Anfang 20 war Matthias Adrian Mitglied bei den Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD. Rechtsextreme Gedanken bestimmten sein Leben. Heute unterstützt der 34-Jährige als Mitarbeiter der Initiative Exit-Deutschland Aussteiger auf ihrem Weg aus der rechten Szene.

Von: Matthias Dachtler

Stand: 29.07.2010 | Archiv

Matthias Adrian vom Neonazi-Aussteigerprojekt EXIT - Ausstieg aus der Rechten Szene | Bild: Wolfgang Kluge

Wenn man einmal in rechtsextremen Kreisen verkehrt, scheint der Ausstieg sehr schwer zu sein. Was kann der einzelne unternehmen?

Das hängt stark von der Gruppe ab und davon, wie tief man in dieser Gruppe drin steckt. Viele haben den Ausstieg ohne professionelle Hilfe versucht, dann aber bemerkt, dass es nicht so einfach ist. Massive Übergriffe, Gewalt und Einschüchterungen waren das Ergebnis. Professionelle Hilfe ist extrem wichtig, da der "Betroffene" häufig nicht erkennt, welche Gefahr von der Gruppe ausgeht. Wenn einer drin steckt, sind die anderen Mitglieder seine "Freunde", sie haben meistens ein harmonisches Verhältnis.

Sollte man der rechten Gruppe, der man angehört sagen, dass man aussteigen will?

Das würde ich lassen. Es mag Gruppen geben, für die das dann okay ist, aber das ist nicht die Regel. Wahrscheinlicher ist, dass die Gruppe versucht, den Aussteiger zurück zu gewinnen - manchmal erst durch freundliche Ansprachen, manchmal direkt durch Bedrohung und Gewalt. Am besten holt man sich die Hilfe vor dem Outing. Dann kann gemeinsam ein Sicherheitskonzept erarbeitet werden.

Was sieht so ein Sicherheitskonzept vor?

Zum Beispiel würde man mit dem Aussteiger planen, dass er jobbedingt wegziehen muss. So erleichtert man den Ausstieg aus der Gruppe, weil man nicht mit Übergriffen vor der Wohnung oder der Beobachtung durch die rechte Gruppierung rechnen muss. Ein Umzug ist aber nicht in jedem Fall nötig. Es kommt darauf an, ob jemand aus einer wirklichen rechten Szene aussteigen möchte oder ein paar "Tankstellennazis" loswerden will. Für das Sicherheitskonzept klappern die Helfer das Umfeld ab und kontrollieren, wie gewalttätig oder gewaltbereit dieses ist, wie die Leute drauf sind, und wer überhaupt dazu gehört.

Auch ein Ausstieg mit der Polizei kann funktionieren. In der Regel gehen Aussteiger aber nicht zur Polizei. Schließlich sind staatliche Stellen der "Hauptgegner" der rechten Szene und damit auch für Aussteiger nicht die erste Wahl.

Meinen die Aussteiger es immer ernst?

Verarscht wurden wir bisher nicht. Ich merke es, wenn einer zu Exit-Deutschland kommt, der gar nicht wirklich austreten möchte. Aussteiger müssen so viel erzählen und preisgeben. Leute, die nur als Spione kommen, bekommen damit irgendwann ein Problem, denken sich Geschichten aus und verwickeln sich in Widersprüche. In zehn Jahren Arbeit gab es nur sieben Aussteiger, die das Programm verlassen haben - der Rest hat es ernsthaft durchgezogen.

Du warst selber Teil der rechtsextremen Szene. Hilft das bei deiner Arbeit?

350 Ex-Nazis hat die Organisation Exit-Deutschland bei ihrem Weg aus der rechten Szene unterstützt.

Aussteiger wenden sich gerne an mich und nehmen mich ernst, weil ich auch mal in der rechten Szene verhaftet war. Sie reden deshalb sehr offener mit mir. Der Zugang ist durch meine Vergangenheit häufig ein anderer. Bei Rechten gelte ich häufig als Linker oder Linksautonomer und damit als politisch aktiv. Wahrscheinlich würde jeder aus der rechten Szene eher mit einem Linken sprechen, bevor er mit staatlichen Institutionen reden würde. Deshalb liegt die Hemmschwelle mit mir über einen Ausstieg zu reden wesentlich niedriger. Für mich ist es wichtig, dass ich nach meiner Vergangenheit helfen kann, Leute aufzuklären und sie auf dem Weg aus der rechten Szene zu unterstützen.

Wie alt sind Aussteiger, denen du hilfst?

Das ist ganz unterschiedlich - der Älteste bisher war 80 Jahre alt. Hauptsächlich steigen aber Leute zwischen 17 und 19 oder 28 und 34 aus. Das sind Lebensphasen, in denen man sich stark umorientiert, sich Gedanken über seine Zukunft macht. Die Jüngeren sind meistens noch nicht allzu tief im braunen Sumpf gefangen. Bei ihnen kann oft die Familie beim Ausstieg helfen.

Vor welche Probleme stehst du bei deiner Arbeit? Brauchst du zum Beispiel Personenschutz?

In der Regel brauche ich keinen Personenschutz, da Treffen meistens an öffentlichen Plätzen, am Tag und in der Nähe von Menschen stattfinden. Dadurch sinkt die Gefahr. Bei Podiumsdiskussionen, Gesprächen mit Schülern und öffentlichen Veranstaltungen nehme ich aber Personenschutz in Anspruch und informiere die Polizei vorher. Dabei geht es mir aber nur darum, die Nazis, die zu solchen Veranstaltungen kommen um zu provozieren, einzuschüchtern. Mir geht es einfach nur um die Polizeipräsenz. Gebraucht habe ich Polizei und Personenschutz noch nie.

Wie lässt sich der Erfolg deiner Arbeit messen?

Rund 350 Aussteigern hat Exit-Deutschland bislang geholfen und mit ihnen den Ausstieg geschafft. Aber der Erfolg lässt sich nicht in Zahlen belegen. Schließlich kann keiner sagen, wie viele Personen durch diese 350 noch in die rechte Szene gerutscht wären, wenn sie nicht ausgestiegen wären.

Geht es beim Ausstieg aus der Szene auch um die Schuldfrage?

Ja! Die Schuldfrage spielt eine wesentliche Rolle. EXIT-Deutschland ist es wichtig, dass sich Aussteiger ihrer Schuld bewusst sind und sich diese eingestehen. Ziel der Aufarbeitung und des Ausstiegs ist es, dass die Teilnehmer ihre Fehler erkennen und für diese gerade stehen. Der Ausstieg soll sie zur Selbstanzeige bewegen. Auch wir zeigen an, wenn uns Aussteiger von Straftaten erzählen.

Wie kann man junge Leute vor dem Einstieg bewahren?

Exit-Deutschland unternimmt sehr viel, um Leute vom Einstieg abzuhalten. Dafür betreiben wir intensiv Aufklärungsarbeit, zum Beispiel an Schulen. Dort erklären wir, welche Methoden eingesetzt werden, um neue Mitglieder für die rechte Szenen zu gewinnen, und welche Symbole eine Rolle spielen. Viele Jugendliche sind auf der Sinnsuche - da fällt es leicht, Gründe von Problemen in rechten Theorien zu sehen. Rechte Theorien bieten eben sehr einfache Antworten auf politisch hochkomplexe Themengebiete. Dazu kommen mangelnde demokratische Traditionen wie in der ehemaligen DDR. Die Kombination aus all dem lässt Leute in die rechte Szene rutschen. Dagegen hilft nur Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.

Exit-Deutschland ...

... ist eine Initiative, die Neonazis beim Ausstieg aus der rechten Szene hilft. Die Organisation ist damit einzigartig in Deutschland. Der Ausstieg bei Exit-Deutschland läuft in der Regel in drei Schritten ab:

1. Viele Gespräche, um sich ein Bild vom Aussteiger und der Gruppe hinter ihm zu machen

2. Sicherheitsrecherche

3. Sicherheits- und Ausstiegskonzept erarbeiten und durchziehen

Neben Exit-Deutschland können sich Aussteiger an das Bundesamt für Verfassungsschutz und andere staatliche Stellen wie beispielsweise die Polizei wenden.


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