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Abstimmung zur Anti-Terror-Richtlinie "Purer Aktionismus und Populismus"

Nach den Anschlägen in Paris versucht das Europaparlament so schnell wie möglich ein neues Anti-Terror-Gesetz zu verabschieden. Alexander Sander von der Digitalen Gesellschaft erklärt, warum er den Plan so kritisch sieht.

Stand: 04.07.2016 | Archiv

Netzsperren fürs Internet? | Bild: BR

PULS: Heute stimmt der Innenauschuss des Europaparlaments über eine Anti-Terror-Richtlinie ab, die das Internet massiv verändern könnte - nämlich durch Netzsperren. Kritische Stimmen stellen in Frage, ob die auf die Schnelle gefundene Lösung die richtige ist. Worum geht es in dem Gesetzesentwurf konkret?

Alexander Sander: Eine Netzsperre bedeutet, dass der Zugang zu einer bestimmten Information im Internet blockiert wird. Es handelt sich dabei nicht um eine staatliche Blockade, sondern um eine Blockade durch Unternehmen. Nehmen wir an, es wird ein illegaler Inhalt auf Facebook gepostet. In diesem Fall sperrt Facebook den Zugang zum Beispiel für alle europäischen Internetnutzer zu dieser Information. Der Inhalt selbst bleibt aber erhalten, sodass es aber auch möglich ist, diese Netzsperre zu umgehen und nachher diesen Inhalt weiterhin anzeigen zu können.

Es gibt ja immer Mittel und Wege, Sperren zu umgehen. Warum macht man sich die Mühe, dieses Gesetz auszuarbeiten?

Das ist uns völlig unerklärlich. Es scheint so, als solle mit purem Aktionismus und Populismus auf die Bedrohung durch die Verbreitung terroristischer Inhalte reagiert werden. Es gibt auch keine Folgenabschätzung bei diesem Gesetz. Es wurde also überhaupt nicht – wie sonst üblich –überprüft, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen den gewünschten Effekt haben.

Was ist denn das konkrete Problem an dieser Maßnahme?

Es handelt sich um eine privatisierte Rechtsdurchsetzung, also es schaut kein Gericht darauf, ob es sich tatsächlich um eine illegale Äußerung handelt. Daher ist es äußerst kritisch zu betrachten. Es ist viel wichtiger, die Inhalte unter einem Richtervorbehalt nachhaltig aus dem Internet zu löschen und damit ist er weltweit nicht mehr verfügbar.

Das könnte man doch bezweifeln, dass der Inhalt dann wirklich komplett gelöscht wird.

Wenn ein Inhalt von der Webseite gelöscht ist, ist der Inhalt weg. Natürlich kann er im Vorfeld weiterverbreitet werden, aber dann müsste man auch den anderen Webseitenbetreibern erklären, dass die Inhalte illegal sind und per Gerichtsentscheidung entfernt werden müssen. Die Erfahrung zeigt, dass diese Methode wirksam und erfolgreich ist. Die wenigsten Webseitenbetreiber wollen illegale Inhalte verbreiten. 

Normalerweise gibt es bei europäischen Gesetzen eine sogenannte Folgeabschätzung, die analysiert, was am vorliegenden Entwurf rechtmäßig oder verhältnismäßig ist. Warum fehlt sie bei der Anti-Terror-Richtlinie?

Die EU-Kommission hat diesen Richtlinienvorschlag Ende letzten Jahres als Reaktion auf die Terroranschläge von Paris präsentiert - unter dem Druck dieser Terroranschläge ohne eine Folgenabschätzung. Jetzt wird schon seit einem halben Jahr im Rat der Europäischen Union diskutiert. In der Zwischenzeit wäre also die Gelegenheit da gewesen, eine Folgenabschätzung vorzunehmen, um zu überprüfen, ob Netzsperren geeignete Maßnahmen darstellen. Dann hätte man leicht herausfinden können, dass solche Netzsperren nicht effektiv sind. Ein Gesetz ohne Folgenabschätzung auf den Weg zu bringen, das einen so weitreichenden Eingriff in die Grundrechte darstellt, ist für uns unerklärlich.

Wie geht es nun weiter?

Die Entscheidung fällt um 19 Uhr im Innenausschuss. Dann wird dieser Vorschlag mit den Mitgliedsstaaten der EU diskutiert und wenn man dort eine gemeinsame Lösung gefunden hat, sollte der Entwurf noch einmal im Europäischen Parlament abgestimmt werden und dann ist die Reform auch Wirklichkeit.

Wie lange würde das dauern?

Es ist zu vermuten, dass das Gesetz aufgrund des politischen Drucks direkt nach der Sommerpause im September verabschiedet werden könnte.

Zur Person

Alexander Sander arbeitet als Geschäftsführer beim Digitale Gesellschaft e.V.. Zuvor war er drei Jahre in Brüssel Mitarbeiter eines Mitglieds des Europäischen Parlaments. Er ist unter anderem Gründer von NoPNR!, einer Kampagne gegen die Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten.


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