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on3-Festival 2012 Zwischen Traum und Wirklichkeit

Es hat Tradition, dass das on3-Festival mit einem Knall beginnt. Und dass nicht immer alles kommt wie geplant. Unter diesen Gesichtspunkten war 2012 ein typischer Jahrgang: Denn am Ende waren von 16 Bands nur noch 15 übrig.

Stand: 02.12.2012 | Archiv

Es gibt ein paar Dinge, die darf man beim on3-Festival als gegeben voraussetzen: Es wird ausverkauft sein, es wird bummsvoll werden in den Orchesterstudios des Bayerischen Rundfunks, und es wird ein absolut grandioser Konzertabend. Dass allerdings von 16 eingeladenen Bands am Ende des Abends nur noch 15 existierten, das war dieses Jahr dann doch eine große Überraschung. Aber dazu später mehr.

Es hat schon Tradition, dass das on3-Festival mit einem Knall beginnt. Der kam dieses Jahr von den Gewinnern des Publikumspreises der on3-startrampe, den ZiehGäunern aus Viechtach, die gleich zu Beginn das Eis brechen ließen, als sie dem Publikum einen Macarena-artigen Tanz beibrachten. Ebenso leidenschaftlich, dafür aber mit wesentlich mehr Ernsthaftigkeit, rummste es in der Kantine des Bayerischen Rundfunks (die dieses Jahr zu Saal 3 umfunktioniert wurde), wo die intensiven Elektrosounds von Claire die Leute in eine andere Welt entrückten. Die Stimme von Josie-Claire Bürkle schnitt durch den Saal wie ein heißes Messer durch die Butter. Ist das in diesem Jahr die Band, die, wie vor ihr 2007 LaBrassBanda, 2008 Frittenbude und 2010 Sizarr und Crystal Fighters, nach dem on3-Festival ihren großen Durchbruch erlebt?

Martialische Trommeln, feenhafter Gesang

Überhaupt schien der Abend von außergewöhnlichen und außergewöhnlich guten Frauenstimmen dominiert zu sein. Ganz großartig zum Beispiel Stealing Sheep in Studio 1, deren feenhafter Gesang zu martialischen Trommeln einem den Atem stocken ließ. Und natürlich Charlotte Brandi von Me And My Drummer, die zeitweise an Leslie Feist erinnerte. Charlotte freute sich an dem Abend besonders darüber, sich mit Micachu & The Shapes aus London die Bühne zu teilen. Deren Auftritt sorgte mit seinem krassen Mix aus betörendem Avantgarde-Pop und bizarrem Indierock für viel Gesprächsstoff.

Eine deutlich kürzere Anreise hatten The Dope aus Nettelkofen bei Landshut. Ihr enorm cleverer und unendlich druckvoller Indierock (Betonung auf der letzten Silbe) schlug im Saal 3 ein wie eine Bombe. Eine knapp einstündige Verschnaufpause gab es parallel bei Death-Cab-For-Cutie-Frontmann Benjamin Gibbard, der sich vor seinem Auftritt noch im Gang zu Studio 1 versteckt hatte, um vom Publikum unbemerkt Stealing Sheep zu lauschen. "How good were Stealing Sheep, seriously? They were so good", sagte er später mitten in seinem Auftritt, bei dem er sich selbst mit Gitarre und Flügel begleitete. Nur wenige Musiker haben die Präsenz, allein eine so große Bühne zu dominieren. Und nur wenige können so viele Gefühle auslösen. Man merkte: Da steht ein Mann, dessen Herz schon öfter in alle Einzelteile zerbrochen ist, der aber auch weiß, wie man das Ding wieder heile kriegt. Zumindest die Herzen seiner Fans: Die hingen bei diversen Death-Cab-For-Cutie-Songs (u.a. "I Will Follow You Into The Dark"), großartigen Titeln aus seinem Solo-Album "Former Lives" und einem Teenage-Fanclub-Cover ("Everything Flows") an seinen Lippen, als gäbe es kein Morgen. Was für eine Stimme, was für poetische Texte!

Heilsam auf andere Art sind die Klänge von Exclusive: Studio 2 wurde bei ihrem Auftritt einfach niedergeschrien. Ihr kluger Mix aus Dubstep-naher Elektronik und emotionalen deutschen Texten könnte sie bald verdammt groß werden lassen. Ganz ohne Urgeschrei, dafür aber mit Noise und Dronesounds, die sich in wohlgefällige Songstrukturen und herzergreifende Gitarrenparts mischten, kamen Fenster daher. Da fiel es kurzzeitig schwer, sich loszureißen, aber im Anschluss wartete schon D E N A mit ihren HipHop- und Dancehallbeats. Cash, Diamond Rings, Swimming Pools? Könnte alles warten auf die bulgarische Wahlberlinerin, wenn ihr Aufstieg weiterhin so steil bleibt. Und warum sollte er nicht?

Aus 16 Bands werden 15: Das Racist verkünden das Ende

Gleich weitertanzen dann also bei Das Racist und ihrem humorvollen Intellektuellen-HipHop? Ja und nein. Aus verschiedenen Gründen, wie es vom Management hieß, hatten Mitglieder der gefeierten Rap-Combo aus New York ihren Flug verpasst. Als einziger schaffte es Frontmann Heems (bürgerlich Himanshu Suri) nach München, der mit den Nerven komplett am Ende zu sein schien. Sein einzigartiger Flow blieb davon unbelastet, aber irgendwann platzte es aus ihm heraus: "Das Racist are breaking up." Da sah man sogar Trauer auf dem Gesicht von Sinkane, der am Bühnenrand saß, und später mit seinem hippen Brooklyn-Funk-Sound für beste Laune und Tanzbein-Workout sorgte. Wie übrigens auch Lower Dens aus Baltimore, eine Art fetzigere Version von Beach House, die mit dem ein oder anderen magisch schwebenden Stück die Leute verzauberten.

Und dann war es auch schon Mitternacht. Egal wie märchenhaft der Abend bis dahin verlaufen war, niemand musste seine Glaspantoffeln von der Garderobe abholen. Drei absolute Highlights warteten noch: Kofelgschroa, Tubbe und WhoMadeWho. Kofelgschoa aus Oberammergau gaben an diesem Abend das bayerische Pendant zu Ben Gibbard. Alle Besucher im Studio 1 waren komplett ruhig und gefangengenommen von ihren manchmal überraschend hypnotischen Bläser- und Akkordeonsounds. Wer zu später Stunde vielleicht doch schon ein bisschen müde war, konnte sich bei Tubbe eine Adrenalin-Injektion holen. Mit fetten Sounds, pumpenden Beats und Katzensmilie-Stroboskop verwandelten sie Studio 2 in einen pusierenden Eurodance-Club.

Die ehrenvolle Aufgabe, zum Ende das holzvertäfelte Studio 1 regelrecht abzufackeln, hatten WhoMadeWho. Die dänischen Diskogötter waren an diesem Abend aus dem Himmel gestiegen, um sich selbst einen Gottesdienst zu widmen. Mit Predigergesten und dem atemberaubendsten Diskokugel-Lichtermeer, das man jemals gesehen hat, zelebrierten sie "Below The Cherry Moon" und bereiteten die Crowd auf die absolute Diskoexplosion vor. In den Orchesterstudios wurde selten so getanzt, und bei der zweiten Zugabe musste man schon fast Angst haben, dass der Holzboden des Saals plötzlich aufbricht. Was für ein Abend! Wir danken den Künstlern und Besuchern und freuen uns auf nächstes Jahr!


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