Collage, auf der ein Mund, ein Ohr und der Schriftzug Falschinformation zu sehen ist.
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Wir alle glauben erstmal, was wir sehen oder hören - die Psychologie nennt das "truth bias".

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Warum wir auf Falschinformationen hereinfallen

Niemand ist gefeit davor, etwas als wahr anzusehen, das nicht stimmt. Die Gründe liegen darin, wie unsere Gehirne funktionieren. Der #Faktenfuchs erklärt, warum man auf Fakes reinfällt.

Eine verlockende, aber falsche Vorstellung: Das vermeintliche Wundermittel CDL – kurz für Chlordioxidlösung – soll bei allen möglichen Krankheiten helfen, ob Krebs, Malaria, HIV/Aids oder Corona. Für manch einen mag diese Behauptung gut klingen, aber: Chlordioxidlösung ist ein industrielles Desinfektionsmittel, im Körper kann es schwere Schäden anrichten. Es ist, wie der #Faktenfuchs recherchierte, keinesfalls das “Allheilmittel”, als das es von Anhängern immer wieder dargestellt wird.

Wenn Menschen eine solche Behauptung glauben, kann das auch daran liegen, dass ein grundlegendes Bedürfnis befriedigt wird – etwa das Bedürfnis nach Kontrolle. Auf das Beispiel übertragen: Ich habe es vermeintlich selbst in der Hand, etwas gegen meine Krankheit zu tun – auch, wenn die evidenzbasierte Medizin dafür möglicherweise kein Heilmittel kennt.

Es gibt mehrere solcher Bedürfnisse, die dazu führen können, dass wir Falschbehauptungen auf den Leim gehen oder gar Gefahr laufen, uns tief in einen Verschwörungsglauben zu verstricken.

Weitere Bedürfnisse können etwa sein: das Streben nach Sicherheit – und damit verbunden der Kampf gegen den Zufall und die Suche nach einem vermeintlichen Verursacher und nach Antworten, sowie das Streben nach Zugehörigkeit, nach Selbstwert oder nach Einzigartigkeit.

Dabei spielt auch eine Rolle, woran wir glauben und was wir wissen. Alle diese Faktoren werden im Folgenden genauer beleuchtet.

Wir gehen erstmal von der Wahrheit aus

Die Wissenschaft hat beim Menschen zwei kognitive Phänomene festgestellt: Wir gehen davon aus, dass das, was wir hören, lesen, sehen, erfahren, wahr ist - das nennt die Psychologie "Truth Bias", wörtlich übersetzt etwa “Ehrlichkeits-Voreingenommenheit”. Ohne diese “Grundannahme” würden wir Menschen unverhältnismäßig viel Zeit damit verbringen, zu überprüfen, ob die Informationen, die uns das Gegenüber gibt, korrekt sind.

Und: Je öfter wir Menschen etwas hören, desto eher stufen wir es als wahr ein. Dies bezeichnen Wissenschaftler als “Illusory Truth Effect”, den “Scheinwahrheitseffekt”. Wenn wir etwas öfter hören, kommt es uns bekannter vor, desto eher glauben wir es. Würden Sie also in naher Zukunft auch auf anderen Wegen vom angeblichen Wundermittel CDL lesen oder hören, stiege die Wahrscheinlichkeit (oder Gefahr), dass Sie es als wahr erachten.

Im “Debunking-Handbook”, in dem mehrere Wissenschaftler zusammenfassen, wie man Falschinformationen entgegentreten kann, heißt es: “Selbst wenn die Quelle als unzuverlässig identifiziert wird, oder eklatant falsch und mit der ideologischen Einstellung der Personen unvereinbar ist, neigen sie trotzdem dazu, den Behauptungen Glauben zu schenken, wenn sie den Informationen wiederholt ausgesetzt werden.”

Manche - auch staatliche - Akteure, die Desinformation verbreiten, bauen auf genau diesen Effekt, zum Beispiel mit Hilfe des sogenannten Astroturfing: Über zahlreiche falsche Accounts in den Sozialen Medien “fluten” sie das Netz mit einer Behauptung oder einer bestimmten als Meinung getarnten Äußerung. Dabei soll der Eindruck erweckt werden, als teile die Basis der Gesellschaft diese Meinung – als stecke eine Graswurzelbewegung dahinter. Durch die Vielzahl der Posts stoßen wir als User womöglich immer wieder darauf – und laufen Gefahr, durch die ständigen Wiederholungen daran zu glauben oder sie als Mehrheitsmeinung zu betrachten, die sie de facto nicht ist.

Schnelle Entscheidungen sind evolutionär begründet, können aber in die Irre führen

Sander van der Linden führt “Faustregeln” wie die “Truth Bias”, das Davon-Ausgehen, dass etwas wahr ist, auf die Evolution zurück. Van der Linden ist Sozialpsychologe an der Universität Cambridge und Autor des Buchs “Foolproof - Why Misinformation Infects Our Minds”. Er erläutert in einem Online-Webinar: “Es gibt gute Gründe, warum sich Menschen aus evolutionärer Sicht auf Faustregeln verlassen, denn wir haben alle nur begrenzte Zeit und Ressourcen, um schnelle Entscheidungen zu treffen, sonst würden wir nie weiterkommen.” Die meisten Informationen in unserer Umwelt seien auch nicht falsch oder irreführend – daher sei es sinnvoll, dass die Leute “standardmäßig” davon ausgehen, dass die meisten Dinge wahr sind. Aber, so van der Linden: “Manchmal können sie uns in die Irre führen.”

Das gelte vor allem für eine Umgebung wie die Sozialen Medien, in der es mehr Desinformation und Falschbehauptungen gebe, da funktioniere diese Herangehensweise nicht mehr so gut. “Dann interagiert man mit Falschinformationen, aber eben aus der Intuition heraus, dass die meisten Dinge wahrscheinlich wahr sind.” Das machten sich manche, die Desinformation verbreiten, zunutze.

Wem wir vertrauen, dem glauben wir eher

Noch schwieriger wird es, wenn man Informationen von einer Person bekommt, die man kennt und der man vertraut, etwa über den Messengerdienst WhatsApp: Dann glauben wir eher daran, dass die Information wahr ist. Van der Linden sagt: “Wenn Sie auf WhatsApp falsche Inhalte bekommen, kommen sie von Leuten, denen Sie vertrauen, Leute, die Sie kennen, und daher hat es von Natur aus mehr Glaubwürdigkeit und die Menschen handeln eher danach.” Dabei müsse die Falschinformation nicht wissentlich weitergeleitet worden sein – oft geschieht dies aus Sorge oder um andere Menschen zu warnen. Tatsächlich aber habe jemand das Gerücht in die Welt gesetzt, um zum Beispiel Gewalt und Konflikte zu provozieren.

Was uns bestätigt, das glauben wir eher

Menschen teilen Desinformation aber auch, weil diese ihre eigenen Überzeugungen – und die der eigenen Gruppe – widerspiegelt. Das wird “Confirmation Bias” genannt, Bestätigungsfehler. Karolin Schwarz ist Senior Policy and Research Manager beim Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD Germany), einem laut eigener Beschreibung “Think and Do-Tank” für die “Analyse und Reaktion auf Demokratiegefahren”. Schwarz schreibt dem #Faktenfuchs: “Menschen neigen im Allgemeinen dazu, Informationen Glauben zu schenken, die ihr Weltbild bestätigen. Entsprechend funktionieren bestimmte Falschmeldungen über die Corona-Pandemie oder Geflüchtete in Teilen der Gesellschaft, die ohnehin empfänglich für Informationen, auch Falschinformationen sind, die ihre Haltung bestätigen.”

Van der Linden erweitert dies auf das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit: “Menschen teilen Falschinformationen auch, weil sie mit tief verwurzelten sozialen, politischen, religiösen, spirituellen und anderen Glaubenssystemen der Menschen übereinstimmen, und es ist auch eine Möglichkeit für Menschen, ihre Identität in Bezug auf die Gruppen auszudrücken, denen sie angehören.” Das könne eine politische Gruppe oder ein Sportteam sein, oder schlicht die Familie. “So bietet Desinformation manchmal eine Gelegenheit, entweder die Eigengruppe zu stärken und zu sagen, schau, das ist, was wir glauben.” Oder es trage dazu bei, sich von anderen Gruppen abzugrenzen.

Wir wollen dazugehören – und einzigartig sein

Menschen suchen also nach einer Gemeinschaft, zu der sie gehören können, die die gleichen Ansichten teilt und bestätigt. Aber – und dies ist ein weiterer Faktor, warum Menschen auf Falschbehauptungen hereinfallen – Menschen streben auch nach Einzigartigkeit.

Pia Lamberty ist Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), sie forscht unter anderem zu Verschwörungserzählungen. In ihrem Text “Die Psychologie des Verschwörungsglaubens” erläutert sie, warum vor allem Menschen an Verschwörungserzählungen glauben, die sich einzigartig fühlen wollen: “Man selbst ist in diesem Weltbild automatisch der Wissende und Gute, während die anderen entweder als Teil der Verschwörung gesehen oder als ‘Schlafschafe’ diffamiert werden, die angeblich der Regierung, den Medien oder dem etablierten Gesundheitswesen blind hinterherlaufen.”

Und das wiederum bedient laut dem Psychologen Roland Imhoff ein weiteres Bedürfnis: Wer das Gefühl habe, “eine der wenigen” zu sein, “die hinter die Kulissen blicken und das ganze Spiel durchschauen“, stimuliert damit nicht nur das Gefühl, einzigartig zu sein, sondern “auch eine Ermächtigung, ein Gefühl von Kontrolle”, schreibt er in seinem Text “Psychologische Bedürfnisse hinter Verschwörungsglauben”.

Wir wollen uns sicher fühlen – und die Kontrolle haben

Das Streben nach Sicherheit und Kontrolle ordnet auch Lamberty als eines der Grundbedürfnisse des Menschen ein. Angesichts eigener Probleme oder gesellschaftlicher Krisen könne das Gefühl der Ohnmacht überhandnehmen. Der Glaube an eine Verschwörungserzählung könne eine Strategie sein, wieder ein Gefühl der Kontrolle zu bekommen. “Der Zufall spielt dann weniger eine Rolle, es gibt Muster und die Welt wird begreifbarer.” Auch Imhoff schreibt: “Seit Menschengedenken, so argumentieren viele Forscherinnen und Forscher, haben Menschen sich deshalb Strategien zurechtgelegt, dieses unangenehme Gefühl, dem Zufall ausgeliefert zu sein, abzuwehren.” Dazu gehöre auch, dass man einem vermeintlichen Verursacher die Schuld geben könne für die Geschehnisse.

Und auch van der Linden sagt, für uns Menschen sei es manchmal schwierig, die Realität wahrzuhaben, sie sei oft schwer zu ertragen. Für manche sei es deshalb einfacher, anzunehmen, etwas sei nur ein Schauspiel, eine Pandemie sei ausgedacht und es gebe keine Klimaerwärmung. “Das ist alles viel tröstlicher, als sich mit der Realität auseinanderzusetzen.”

Gerüchte und Behauptungen sind oft interessanter als die Wahrheit

Letztendlich liegt es aber auch an der Beschaffenheit der Falschinformationen selbst, warum sie verfangen kann: Sie sind oft “unterhaltsamer” als die manchmal “trockenen” Fakten. Falschbehauptungen kommen auch oft in einer “aufdringlichen” Anmutung daher, in Großbuchstaben und mit vielen Ausrufezeichen verfasst.

Allerdings sind es meist Behauptungen, die negative Emotionen hervorrufen, Empörung Angst, Zweifel und Verunsicherung schüren wollen. Der Psychologe Imhof schreibt: “Skandalöse Ungeheuerlichkeiten versprechen Aufmerksamkeit”. Das Schüren von starken Emotionen ist übrigens ein Merkmal, das einen am Wahrheitsgehalt einer Information zweifeln lassen kann.

Karolin Schwarz vom ISD Germany schreibt dem #Faktenfuchs: “Dadurch, dass Emotionen wie Wut oder Angst ausgelöst werden, neigen Menschen dazu, diese Inhalte zu verbreiten. Medienkompetenz kann dabei eine entscheidende Rolle beim Umgang mit Desinformation spielen.” Wie man selbst überprüfen kann, ob eine Behauptung wahr oder falsch ist, erklärt dieser #Faktenfuchs-Artikel. Auf unserer #Faktenfuchs-Seite finden Sie nicht nur Faktenchecks zu zahlreichen Themen, sondern auch Hilfestellungen, wie Sie Desinformation erkennen und welche Strategien häufig dahinter stecken.

Sander van der Linden rät dazu, “open-minded” zu bleiben: Viele Probleme entstünden, weil es für die Menschen schwer sei, aufgeschlossen zu bleiben. Wenn man nicht bereit sei, seine Meinung zu ändern, führe das zu Konflikten. “Ich denke, ein Teil der Lösung ist aufgeschlossenes Denken oder intellektuelle Demut. (...) Wären alle ein bisschen aufgeschlossener und flexibler, hätten wir eine Chance, uns an einen besseren Ort zu bewegen.”

Fazit

Menschen streben danach, bestimmte Grundbedürfnisse zu befriedigen, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Einzigartigkeit oder Kontrolle. Entsprechend glauben wir eher an etwas, das diese Bedürfnisse befriedigt - selbst, wenn die Information falsch ist. Auch glauben wir eher etwas, das unsere bestehenden Einstellungen bestätigt, wenn es von jemandem kommt, dem wir vertrauen und wenn wir etwas wiederholt hören oder lesen.

Akteure der Desinformation machen sich diese psychologischen Aspekte zunutze - durch häufige Wiederholungen oder eine emotionalisierende Aufmachung der Behauptungen. Es kann helfen, die Strategien hinter Desinformation zu kennen, um sie einfacher zu durchschauen.

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