Besucher schauen sich Yael Bartanas Installation im Deutschen Pavillon in Venedig an.
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Yael Bartanas Sci-Fi- Installation "Light to the Nations" im Deutschen Pavillon in Venedig

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Erde und Weltraum: Der Deutsche Pavillon auf der Biennale

Die israelische Künstlerin Yael Bartana und der Künstler und Theaterregisseur Ersan Mondtag teilen sich in diesem Jahr den Deutschen Pavillon in Venedig. Ihre disparaten Werke eröffnen Krisen, Schmerz, Tod, Rettung und neues Leben. Eine Ortsbegehung.

Über dieses Thema berichtet: Kulturleben am .

Es sieht nach richtig viel Arbeit aus. Tonnen von Erde liegen da zwischen den vier Säulen im schneeweißen Portikus des deutschen Pavillons auf der Biennale. Der Eingang – zugeschüttet. Schon wieder selbstbespiegelnde Baustellenästhetik im Deutschen Pavillon? Nein, der Titel spricht eine andere Sprache: "Thresholds" – Schwellen und Übergänge sind das Thema, dem sich Kuratorin Çağla Ilk in dem Pavillon durch Erfahrung annähern will.

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Der Deutsche Pavillon vor der offiziellen Eröffnung bei der Kunstbiennale.

Ein Raumschiff im All

Der Erdhaufen ist eine unüberwindliche Schwelle: Sie versperrt den Weg ins Innere, zwingt die Besuchenden, den Seiteneingang zu benutzen. Im Inneren tut sich eine ganz andere Welt auf: Die israelische Künstlerin Yael Bartana lässt ein Raumschiff im schwarzen All schweben, der Form nach ein Molekülmodell, angetrieben von einem mystischen Strahlenpropeller. "Light to the Nations" – "Licht unter den Völkern" ist denn auch der Name der Sci-Fi- Installation, zu der neben dem feierlich von hinten beleuchteten Generationenraumschiff auch Videoinstallationen, Poster und Pläne gehören.

Yael Bartanas Spiel mit der Nazi-Ästhetik

Kuratorin Çağla Ilk weist auf die "sehr subtile Ironie" dieses Werks hin, das auf die Vergangenheit des Pavillons anspielt : "Weil es gerade an einem sehr wichtigen Ort des Pavillons gezeigt wird, nämlich an dem Abschnitt, an dem man die 'Bereitschaft' von Arno Breker 1940 ausgestellt hatte", so Ilk. Zur Erinnerung: Brekers Nazi-Skulptur ist das Abbild eines muskelprotzenden, strammen Germanen mit einem halb gezogenem Schwert in der Hand. "Wenn wir von den Überschreibungen in der Geschichte oder von der Neuschreibung sprechen, dann müssen wir die Bilder, diese Ikonografien neu definieren. Und ich glaube, wir haben damit etwas geschafft", so Ilk.

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Die Kuratorin des Deutschen Pavillons Çağla Ilk steht vor dem Deutschen Pavillon

Ein Raumschiff landet im deutschen Wald

Yael Bartana spielt mit der ewigkeitsheischenden Ästhetik der Nazis, vor allem mit dem Herrenmenschen-Körperkult Leni Riefenstahls. In dem wandfüllenden Video im Hauptraum des deutschen Pavillons kommt aus der Ferne ein hochgewachsener Lichtbringer angelaufen – nur etwas lockerer und entspannter als die "Fackelträger der Nation" im Nationalsozialismus.

Männer und Frauen in langen weißen, griechischen Gewändern vollführen rituelle Tänze im Kreis und bringen sich als Kollektivkörper kraftvoll in Stellung. Nach so einer Riefenstahl-Sequenz tauchen sie plötzlich mit Tiermasken auf – alles Lebendige geht fließend ineinander über. Im dunklen deutschen Wald öffnen sich die sechs Tänzer zurückgebeugt so weit, dass das Raumschiff plötzlich zwischen ihnen anlanden kann. "Wir haben die Welt kaputt gemacht. Deshalb gehen 99 Menschen mit dem Raumschiff weg und wir sagen: 'Farewell'!, sagt Çağla Ilk.

Anstatt 'Lebewohl' zu sagen, können Besuchende den Flug aber auch selbst mitmachen. Im anschließenden Seitenraum blickt man halb liegend in eine Kuppel, mitten hinein in das Bild der Rettung: Glückliche Menschen, alles wächst und gedeiht, keine Erderwärmung nirgends. Ein jüdisches Raumschiff erlöst uns von aller Naziarchitektur und der dem Untergang geweihten Welt. Sein Aufbau in zehn Sphären, darunter Natur, jüdische Identität, kulturelles Erbe oder Recycling, folgt der Erzählung der Kabbala über die Schöpfung der Welt in zehn Sphären.

Nazi-Körpersprache und jüdische Mystik, Dystopie und Utopie prallen in "Light to the Nations" aufeinander. Yael Bartana geht es vor dem Hintergrund desaströser Gegenwart um emotional wirksame, visionär tragende Bilder. Braune Vergangenheit klammert sie dabei nicht aus, sondern nimmt sie augenzwinkernd und umwertend in Dienst.

Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Pavillon

Generationen von Künstlerinnen und Künstlern haben sich abgearbeitet am Deutschen Pavillon und dessen nationalsozialistischer Architektur. Dass er überhaupt noch steht – ein Wunder. Der Konzeptkünstler Hans Haake zerschlug und zersplitterte für die Biennale 1993 den Tavertinboden und schichtete die Trümmer zu einem Eismeer deutscher Geschichte übereinander. Anne Imhof brachte 2017 Dobermänner und German Angst und Kontrolle in den Pavillon. Maria Eichhorn, die den Pavillon bei der letzten Biennale bespielt hat, legte die Nahtstellen frei, die den Umbau vom 1909 im Stil des Klassizismus errichteten Pavillon Bayerns zu dem nationalsozialistischen Germania-Tempel zeigen. Und genau, da, wo Eichhorn den Boden freigelegt hat, setzt Ersan Mondtag an.

Ersan Mondtags dystopische Installation

Der in Berlin lebende Künstler und Theaterregisseur Ersan Mondtag bespielt zusammen mit Yael Bartana den Pavillon. Das Loch im Boden des Pavillons, das Eichhorn bei der vergangenen Biennale gegraben hat, hat Mondtag wieder aufgefüllt und geschlossen, und zwar - so der Künstler - "mit Erde aus dem Grundstück meines Großvaters". Auch die 40 Tonnen Erde, die den Haupteingang versperren, sind, so versichert Mondtag, "vermischt mit Erde aus Anatolien. Auch von dem Grundstück meines Großvaters. Das ist so die Geschichte". So abgehoben die Sci-Fi Vision von Yael Bartana ist, so bodenständig dystopisch ist der Beitrag von Mondtag.

Er habe über den Marmorboden des Pavillons einen Parkettboden aus einem ehemaligen DDR-Theater gelegt, darauf ein dreistöckiges Gebäude in Form eines Tropfens gebaut und das mit Erde überzogen. "Im Erdgeschoss gibt es eine Art Werkstattraum, in der mittleren Etage gibt es eine verlassene Wohnung, die völlig verstaubt und zerstört ist, wo die Gespenster dieses Lebens hausen", so Mondtag. "Man sieht Fragmente dieses Lebens wie als Reflexion". Ganz oben gibt es noch einmal einen Raum mit DDR-Theater-Parkett, in dem eine Beerdigung stattfindet.

Der Großvater, ein Asbest-Opfer

Ersan Mondtag erzählt die Geschichte seines Großvaters Hasan Aygün, der als türkischer Fabrikarbeiter nach Deutschland gekommen war und noch vor der Rente an Krebs starb – er hatte jahrelang bei "Eternit", einem Berliner Asbestwerk geschuftet. "Das ist unsere Geschichte, das ist die Geschichte von Millionen von Menschen, die auf der Welt von einem Ort zum anderen gehen, nur um zu arbeiten, nur um am Leben zu bleiben", so Mondtag. "Deshalb finde ich, dass der Name der Arbeit extrem passend ist: 'A monument to an unknown human', 'Denkmal eines unbekannten Menschen'."

Diese Geschichte spielt sich ab in der mittleren Etage des brauen Erdhauses, in der einem der Staub fast den Atem verschlägt. Dort bewegen sich fünf Schauspieler gleich Skulpturen im Raum. Sie feiern, sie essen, sie gucken fern und sie sterben. Eine Art Theaterkosmos im Ausstellungskosmos.

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Die Künstler Ersan Mondtag (l) und die israelische Künstlerin Yael Bartana bei der Eröffnung des Deutschen Pavillons in Venedig

"Es riecht auch total nach Arbeit und Teer, weil dieser Holzboden einen ganz eigenen Geruch hat. Es riecht wie in einem U-Bahn Schacht. Alle die rauskommen, sprechen über die Trockenheit an den Händen, über die Atemwege, die verstopft sind", erzählt Mondtag. Dass es auch körperlich für den Betrachter wird, sei ihm ganz wichtig gewesen: "Dass es nicht nur eine Betrachtung ist, sondern eine Erfahrung über alle Sinne. Dass diese Biografie eines Menschen, aber auch aller unbekannten Menschen, gewissermaßen sich in den Körper reinsetzt".

Ausflug nach La Certosa

Für weitere Schwellen- und Übergangserfahrungen geht es auf die kleine, weitgehend unbewohnte Insel La Certosa, wohin sich dieses Jahr der Deutsche Pavillon ausgeweitet hat. "Migration ist auch ein Akt des Zuhörens", sagt der nigerianische Schriftsteller und Wissenschaftler Louis Chude-Sokei. Seine Stimme dringt aus einem Lautsprecher auf dem Steg zum Schiffsanleger.

Kuratorin Çağla Ilk hat hier mit einigen Soundkünstlerinnen und -künstlern einen Ort des Hörens geschaffen. "Eine Schule des Zuhörens: Beim Wummern etwa auf Robert Lippoks sogenanntem 'Feld'. Ein Sound, in dem sich der wuchtige Hall im deutschen Pavillon mit dem Motorengeräusch der Vaporetti paart", so Ilk. Michael Akstallers Arbeit "Scattered by the Trees" untersucht, inwieweit Bäume und Wälder zu Klangresonanzräumen werden. Und Nicole L’Huillier regt zu "Übungen im polyphonen Zusammensein" an: Sie hat auf der Insel ein Sender-Empfänger System installiert hat – mit weitreichendem Echo.

So ein Echo erzeugen auch die Bilder des Pavillons – ergreifend, kraftvoll und doch delikat, voller Schmerz und voller Glück. Voller Kunstglück auch.

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