Ende März hat den BR24-#Faktenfuchs die Mail einer Userin erreicht, im Anhang ein Sharepic, das sich in den sozialen Medien verbreitet. Darauf ist zu lesen:
"Christian Lindner erklärt uns, dass eine Senkung des Benzinpreises um 10 Cent ihn 550 Mio. kostet. Vielleicht muss man ihm erklären, dass er an der Erhöhung um 60 Cent seit Februar dann schon 3,3 Milliarden verdient hat!"
Stimmt diese Rechnung? Kostet die geplante Senkung des Benzinpreises den Staat tatsächlich weniger, als er durch die gestiegenen Benzinpreise einnimmt? Der #Faktenfuchs hat die Behauptung geprüft.
- Zum Artikel "Vom Bohrloch zur Tankstelle: Wer verdient am Sprit?"
Senkung der Kraftstoffpreise kostet 3,1 Milliarden
Am 14. März 2022 bezifferte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in der Rheinischen Post die Kosten einer Preissenkung um 10 Cent pro Liter Kraftstoff auf 550 Millionen Euro monatlich.
In der Nacht zum 24. März einigte sich die Ampel-Koalition angesichts hoher Energiepreise auf ein zweites Entlastungspaket. Eine Maßnahme darin: Benzin und Diesel sollen für die Dauer von drei Monaten günstiger werden - ab wann ist noch unklar.
Beschlossen wurde, die Energiesteuer auf Benzin um 29,55 Cent pro Liter von 65,45 Cent auf 35,9 Cent zu senken. Bei Diesel soll die Energiesteuer um 14,04 Cent von vorher 47,04 auf 33 Cent pro Liter sinken.
Laut einer Schätzung des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) zum Energiesteueraufkommen 2022 werden in Deutschland jährlich etwa 22,8 Milliarden Liter Super Benzin und rund 41,5 Milliarden Liter Diesel verbraucht. Stefan Bach vom DIW bestätigt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs Lindners Rechnung.
Die Kosten für eine dreimonatige Senkung der Energiesteuer auf Benzin und betrügen demnach 3,1 Milliarden Euro, so Bach.
Staat zahlt bei Benzinpreissenkung drauf
Diesen Kosten stehen Steuereinnahmen des Staates gegenüber. Denn neben der fixen Energiesteuer zahlen Autofahrer beim Tanken auch 19 Prozent Mehrwertsteuer auf den Netto-Verkaufspreis von Kraftstoffen.
Wie sich der Netto-Verkaufspreis zusammensetzt und wer beim Verkauf von Benzin und Diesel wie viel verdient, steht in diesem Artikel.
Zurück zur Mehrwertsteuer: Sie ist die einzige variable Steuer, mit der der Staat beim Verkauf von Kraftstoff Einnahmen erzielt. Werden Benzin und Diesel teurer, etwa infolge steigender Rohöl-Preise oder hoher Nachfrage auf dem Weltmarkt, dann zahlen die Autofahrer an der Tankstelle entsprechend auch mehr Mehrwertsteuer, sagt Stefan Bach. "Es ist schon so, dass wir bei der Mehrwertsteuer tendenziell Mehreinnahmen haben."
Das zeigt auch die folgende Beispielrechnung. Der ADAC führt auf seiner Homepage die Spritpreisentwicklung in Deutschland seit 1950 auf.
Demnach kostete ein Liter Benzin Super E10 im Juni 2021 noch 1,507 Euro, im März 2022 waren es 2,069 Euro – also rund 56 Cent mehr.
Bei 19 Prozent Mehrwertsteuer bezahlten Autofahrer an der Tankstelle im Juni 2021 24 Cent. Im März 2022 waren es 33 Cent Mehrwertsteuer pro Liter – also 9 Cent mehr.
Der Liter Diesel kostete im Juni 2021 noch 1,363 Euro, im März 2022 waren es 2,14 Euro. Hier zahlte der Autofahrer an der Tankstelle im Juni 2021 noch 21,71 Cent Mehrwertsteuer pro Liter, im März 2022 waren es 34,16 Cent – fast 13 Cent mehr.
Ein um 9 Cent angestiegener Mehrwertsteueranteil pro Liter Benzin und gut 13 Cent mehr Mehrwertsteuer pro Liter Diesel im März 2022: Mit der geplanten Preissenkung um knapp 30 Cent pro Liter Benzin und 14 Cent pro Liter Diesel zahlt der Staat also erst einmal drauf.
Mehreinnahmen bei Mehrwertsteuer
Falls die Kraftstoffpreise über einen längeren Zeitraum so hoch bleiben, dann könnte der Staat mit der Mehrwertsteuer Mehreinnahmen erzielen.
Wie viel Geld die Bundesregierung durch die Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel in den vergangenen Wochen und Monaten bereits eingenommen hat, kann das Bundesfinanzministerium laut eigenen Angaben jedoch nicht genau sagen: Die Bundesregierung erfasse in der Kassenstatistik lediglich das Gesamtaufkommen der Umsatzsteuer, so das BMF in einer Mail-Antwort an den #Faktenfuchs.
Das Umsatzsteueraufkommen werde in der amtlichen Statistik nicht nach Gütergruppen, sondern nach Branchen aufgeteilt. So gebe es zwar Angaben zu den für Tankstellen ausgewiesenen Umsätzen, diese enthalten laut BMF aber auch Umsätze aus dem Verkauf von anderen Waren. Außerdem würden Mehrwertsteuer-Einnahmen aus dem Verkauf von Benzin und Diesel in die Bilanzen von Mineralölunternehmen einfließen. Diese wiederum verkaufen auch andere Erzeugnisse als Kraftstoff, schreibt das BMF.
Etwa 5 bis 7 Milliarden Mehreinnahmen bei Mehrwertsteuer
Der DIW-Ökonom Stefan Bach hat die staatlichen Mehreinnahmen durch den hohen Spritpreis daher für den #Faktenfuchs modelliert. Mit einrechnen müsse man etwa Anpassungsreaktionen, also dass Menschen infolge höherer Spritkosten weniger Auto führen und dementsprechend weniger Benzin verbrauchten.
Rechne man diesen Verbrauchsrückgang mit ein, dann liegen die Mehrwertsteuer-Mehreinnahmen aufgrund hoher Kraftstoffpreise zwischen 5 und 7 Milliarden Euro pro Jahr, schätzt Bach. Voraussetzung: Die Preise bleiben so hoch.
Mindereinnahmen an anderer Stelle: Staat profitiert unterm Strich nicht
Doch selbst wenn die Mehrwertsteuer-Einnahmen aufs Jahr gesehen höher sein könnten als die Kosten für die bisher geplante dreimonatige Benzinpreissenkung: Letztlich profitiere der Staat nicht von steigenden Kraftstoffpreisen, sagt der DIW-Ökonom Stefan Bach. Denn der Staatshaushalt werde an anderen Stellen weniger Geld einnehmen.
"Durch die hohen Energiepreise haben Unternehmen hohe Betriebsausgaben, dadurch sinkt das Unternehmenssteueraufkommen des Staates.“ Hohe Energiepreise hätten außerdem eine rezessive Wirkung auf die Gesamtwirtschaft, so Bach. Wenn die Wirtschaft weniger stark wächst, wenn Unternehmen Kurzarbeit anmelden müssen oder Arbeitsplätze wegfallen, habe der Staat auch Einbußen bei Einkommenssteuern und Sozialbeiträgen, so Bach. „Der Staat ist nicht der Gewinner dieser hohen Energiekosten." Letztlich nehme der Staat durch die hohen Energiepreise insgesamt weniger Steuern ein.
Fazit
Die Behauptung, der Staat nehme dank der hohen Benzinpreise mehr Steuergeld ein, als ihn die geplante Benzinpreissenkung kostet, stimmt nicht. Richtig ist: Auf Benzin und Diesel fallen 19 Prozent Mehrwertsteuer an. Wenn die Preise an der Tankstelle infolge hoher Ölpreise oder der Nachfragesituation auf dem Weltmarkt steigen, dann hat auch der Staat ein tendenziell höheres Aufkommen bei der Mehrwertsteuer, sagt Stefan Bach, Ökonom am DIW Berlin. Voraussetzung dafür ist jedoch: Die Menschen fahren gleich viel Auto wie bisher und die Preise bleiben länger so hoch.
Hohe Energiepreise führen aber außerdem zu weniger Steuereinnahmen an anderer Stelle, so Bach: Unternehmen haben höhere Betriebsausgaben, die Wirtschaft wächst nicht so stark, Kurzarbeit und Kündigungen drohen. Dadurch habe der Staat Einbußen bei Einkommenssteuern und Sozialbeiträgen. Der Staat nehme also durch die hohen Energiepreise letztlich weniger Steuern ein.
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