Der Mindestlohn soll laut Vorschlag in zwei Schritten auf 12, 83 Euro steigen
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Der Mindestlohn soll laut Vorschlag in zwei Schritten auf 12, 82 Euro steigen

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Mindestlohn soll in zwei Schritten auf 12,82 Euro steigen

Der Mindestlohn soll laut der zuständigen Kommission im Januar 2024 auf 12,41 Euro und dann im Januar 2025 auf 12,82 Euro steigen. Den Gewerkschaften reicht das nicht, Bundesarbeitsminister Heil (SPD) will die Empfehlung jedoch umsetzen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der Mindestlohn soll zum 1. Januar 2024 auf 12,41 steigen. Das beschloss die zuständige Mindestlohnkommission mehrheitlich in Berlin - und damit zum ersten Mal nicht einmütig. Ein Jahr später, zum 1. Januar 2025, ist noch einmal eine Anhebung um 41 Cent auf 12,82 Euro vorgesehen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will den Beschluss der Kommission umsetzen. Er kündigte in Berlin eine entsprechende Verordnung an.

Entscheidung nach kontroversen Beratungen

Die Entscheidung wurde nach kontroversen Verhandlungen in den frühen Morgenstunden getroffen. Die Arbeitnehmerseite stimmte dagegen, sie betrachtet die Anhebung als zu gering. Nach Ansicht der Gewerkschaften hätte die Lohnuntergrenze mindestens auf 13,50 Euro angehoben werden müssen.

Die Vorsitzende der Kommission, Christiane Schönefeld, sagte zu den Meinungsverschiedenheiten in dem Gremium, der Beschluss sei auf ihren Vermittlungsvorschlag zustande gekommen. Die Positionen hätten "sehr weit auseinander" gelegen. Wenn Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter in der Kommission sich nicht einig sind, entscheidet die Stimme der Vorsitzenden wie in diesem Fall. In der Begründung des Beschlusses heißt es, die Tarifvertragsparteien hätten nun die Möglichkeit, die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns bei den Tarifverhandlungen zu berücksichtigen.

Entscheidung soll "Verdienste stabilisieren"

Die Mindestlohnkommission orientiert sich bei der Anpassung des Mindestlohns an der Tarifentwicklung und berücksichtigt die wirtschaftliche Lage und den Wettbewerb, unter dem deutsche Unternehmen stehen. Ziel ist ein Mindestschutz der Arbeitnehmer, ohne Jobs zu gefährden. Laut Begründung soll die nun beschlossene zweistufige Erhöhung dazu dienen, die Lohnkostensteigerungen für die betroffenen Betriebe angesichts der in diesem Jahr erwarteten stagnierenden Wirtschaftswachstums "tragfähig zu halten und die Verdienste der Beschäftigten zu stabilisieren".

Kommission wurde zuletzt übergangen

Im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung zum 1. Oktober 2022 einmalig den Mindestlohn per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben und damit ein Wahlversprechen umgesetzt. Der Mindestlohn sei bei der Einführung 2015 gleich zu niedrig festgelegt worden, hieß es zur Begründung. Die Arbeitgeber hatten den Eingriff des Staates in die Lohngestaltung scharf kritisiert und darauf gedrängt, dass die Kommission wieder ihre volle Kompetenz erhält. Die Regierung versprach, nur dieses eine Mal ohne Vorschlag der zuständigen Kommission zu handeln, danach aber wieder zum im Gesetz vorgesehenen Prozedere zurückzukommen.

Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll steigen.
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Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll steigen.

Arbeitgeber verteidigen Beschluss

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, äußerte mit Blick auf den jetzigen Beschluss denn auch zwar sein Bedauern darüber, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Kommission ein Beschluss nicht im Konsens gefallen sei. Ansonsten jedoch verteidigte er den Beschluss. Dieser liege "oberhalb dessen, was wir als Verhandlungsposition in die Verhandlungen eingeführt haben", sagte Kampeter in Berlin. Man sei seiner tarifpolitischen, staatspolitischen und wirtschaftspolitischen Verantwortung gerecht geworden. Dabei soll der Vorschlag von den 10 Euro 45 aus berechnet worden sein - dem letzten Vorschlag der Kommission- und nicht den gültigen 12 Euro. Das lässt den Anstieg höher erscheinen.

Der DGB spricht von einer "Revanche"

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der die Erhöhung als zu gering betrachtet und deshalb nicht mitträgt, wurde in der Kommission überstimmt. DGB-Kommissionsmitglied Stefan Körzell warf den Arbeitgebern vor, sie hätten mit der von der Ampel-Koalition zum vergangenen Oktober gesetzlich beschlossenen Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro nie ihren Frieden gemacht und ihren jetzigen Vorschlag als Revanche ins Spiel gebracht. Er warf ihnen vor, in einer Situation mit den höchsten Teuerungsraten bei den finanziell Schwächsten sparen zu wollen.

Kampeter wies diese Kritik zurück. Der gesetzliche Auftrag der Mindestlohnkommission sei wohl abgewogen und kein "Reparaturbetrieb für gesellschaftspolitische oder inflationspolitische Entwicklungen".

NGG: "Geht an Lebensrealität vorbei"

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kritisierte de Kommissions-Vorschlag ebenfalls scharf: "Diese fatale Entscheidung geht völlig an der Lebensrealität von Millionen von Menschen vorbei und passt nicht in die Zeit", sagte der NGG-Bundesvorsitzende Guido Zeitler in Hamburg. Es sei eine Schande, dass das Arbeitgeberlager in der Mindestlohnkommission gnadenlos die eigene Agenda durchgedrückt habe. "So tragen sie zur Spaltung der Gesellschaft bei und erweisen den Unternehmen zusätzlich einen Bärendienst: Eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns wäre eine dringend benötigte Finanzspritze für den schwächelnden Konsum gewesen", betonte Zeitler.

Der Arbeitsminister verweist auf die Gesetzeslage

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will die Kommissions-Empfehlung trotz dieser Kritk umsetzen. "Ich weiß, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durchaus einen höheren Mindestlohn gewünscht hätten", sagte er in Berlin. Er verwies aber auf das Mindestlohngesetz. Demnach könne die Bundesregierung nur den Vorschlag der Kommission umsetzen oder nicht. Die Alternative wäre keine Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar, "was angesichts der Inflationsentwicklung nicht verantwortbar ist".

In Kraft tritt der Vorschlag der Kommission laut Mindestlohngesetz erst nach Verordnung durch die Bundesregierung. Normalerweise ist das Formsache, wie die Angelegenheit vor dem Hintergrund des uneindeutigen Abstimmungsergebnisses diesmal gehandhabt wird, schien aber zunächst offen, auch weil Heil zuletzt selbst einen kräftigen Anstieg des Mindestlohns gefordert hatte. "Mir war wichtig, dass der Mindestlohn steigt, dass er sich fortentwickelt und das wird auch passieren", sagte er nun zum Kommissionsbeschluss.

EU Richtlinie setzt neue Fakten

Das Thema Mindestlohn hat inzwischen auch Brüssel auf der Agenda. Die Europäische Union will zwar keinen gleichhohen Mindestlohn in allen Mitgliedsstaaten durchsetzen, da allein schon die Kaufkraft sehr unterschiedlich ist. Brüssel setzt in einer Richtlinie auf den sogenannten Medianlohn – also dem Lohn, der genau in der Mitte zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Einkommen der Beschäftigten in einem jeweiligen Land liegt. Der Mindestlohn soll mindestens 60 Prozent vom Medianlohn erreichen. Für Deutschland würde das zur Zeit etwa einen gesetzlichen Mindestlohn an die 14 Euro entsprechen. Bis Ende 2024 muss Deutschland eigentlich diese Richtlinie der EU umsetzen.

Schafft der Vorschlag "soziale Probleme"?

Kritisch zur Kommissions-Empfehlung äußerten sich mehrere Ökonomen. "Während die Löhne in anderen Einkommensgruppen absehbar in den nächsten anderthalb Jahren einen spürbaren Anteil der verlorenen Kaufkraft wettmachen werden, hinken nun die Einkünfte der Mindestlohnempfänger hinterher", sagte Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): "Das Ergebnis schafft damit soziale Probleme, verletzt den Auftrag der Kommission und gefährdet den gesellschaftlichen Konsens zu den deutschen Mindestlohninstitutionen."

Der ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski bezeichnete die Anhebungen als "sehr moderat". "Der starke Anstieg der Inflation trifft vor allem die unteren Einkommen stark", sagte Brzeski: "Daher ist ein weiterer Anstieg des Mindestlohns auch jetzt noch gerechtfertigt." Er reiche allerdings nicht aus, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen.

Der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider, erklärte hingegen, Forderungen nach kräftigen Erhöhungen seien zwar verständlich, sie hätten "angesichts der eingetrübten Konjunktur die Beschäftigungschancen der Mindestlohnbezieher" aber "wohl verschlechtert". Außerdem habe der zuletzt deutliche Anstieg des Mindestlohns zur Inflationsbeschleunigung im Dienstleistungssektor beigetragen.

Mit Informationen von epd, Reuters und dpa

Im Video: Hubertus Heil zu Mindestlohn und Tarifstärkung

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)

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