Tilmann Kleinjung, Redaktionsleiter Religion und Orientierung
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Kommentar: Suizidbeihilfe - der Sterbewunsch als Hilfeschrei

Im Bundestag fand sich keine Mehrheit für eine gesetzliche Regelung zur Suizidbeihilfe. Wenn es um Leben und Tod geht, gibt es keine einfachen Antworten. Denn die Gefahr ist groß, dass der Suizid zum Normalfall wird, kommentiert Tilmann Kleinjung.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Selbstbestimmt leben bis zuletzt. Das ist das Ziel. Dazu gehört das Recht, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden und dabei auch Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das hat das Bundesverfassungsgericht 2020 entschieden und dem Gesetzgeber damit eine Aufgabe gestellt, wie sie heikler und schwieriger nicht sein kann. Denn auf der einen Seite gilt das Recht auf Selbstbestimmung – unwidersprochen. Auf der anderen Seite droht eine Gefahr, der sich alle Verantwortlichen bewusst sein müssen: eine Entwicklung, die den Suizid zum Normalfall werden lässt, zu einer von mehreren Optionen im medizinischen Leistungsspektrum.

Besser kein Gesetz, als ein mangelhaftes

Das zu verhindern und gleichzeitig Autonomie am Lebensende zu sichern – dafür wurde eine gesetzliche Regelung gesucht. Und nicht gefunden. Und das, obwohl der Bundestag ausreichend Zeit hatte. Fast dreieinhalb Jahre sind seit dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts vergangen. Andererseits: Fragen, bei denen es buchstäblich um Leben und Tod geht, bedürfen einer gründlichen Prüfung und Abwägung. Besser kein Gesetz, als ein mangelhaftes.

Es gibt sogar gute Argumente, ganz auf ein Gesetz zu verzichten: Da der Suizid straflos ist, wird auch die Beihilfe zur Selbsttötung, also die Bereitstellung eines tödlichen Medikaments strafrechtlich nicht geahndet. Bundesgesundheitsminister Lauterbach will nun prüfen lassen, ob die Verschreibung eines solchen Mittels durch einen Arzt möglich ist. Und dennoch sollte die Politik noch einmal einen Anlauf unternehmen, den assistierten Suizid gesetzlich zu regeln. Patienten am Lebensende, Angehörige, Ärzte und Einrichtungen haben Anspruch auf ein geregeltes Prozedere.

Das tödliche Medikament als Ausnahme

Das steht und fällt mit einer verpflichtenden Beratung für Menschen mit einem Sterbewunsch. In einem Gesundheitssystem, in dem Beratungs- und Therapieangebote (etwa Psychotherapie) ohnehin schon überlastet sind, ist das keine banale Frage. Noch wichtiger: Es darf keine "ergebnisoffene Beratung" sein. Ziel muss es sein, Suizide nach Möglichkeit zu verhindern. Das tödliche Medikament als gut begründete Ausnahme, nicht als neue Norm. Deshalb müssen wir früher ansetzen: bei der Betreuung schwerstkranker Menschen, bei der Unterstützung pflegender Angehöriger, bei der Suizidprävention. Immerhin: Der Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, dazu innerhalb eines Jahres einen Gesetzesentwurf vorzulegen.

Ein Hilfeschrei, der eine Antwort verlangt

Der Wunsch eines Menschen, aus dem Leben zu scheiden, muss ernst genommen werden. Er ist ein Hilfeschrei, der eine Antwort verlangt. Welche auch immer. Und wenn ein Patient, eine Patientin selbstbestimmt, ohne Druck von außen, zu der Entscheidung kommt, das eigene Leben zu beenden, dann muss das schmerzfrei und menschenwürdig möglich sein. In Ausnahmefällen.

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