Yvonne Magwas (CDU), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages mit den parlamentarischen Geschäftsführern der Parteien.
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Yvonne Magwas (CDU), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages mit den parlamentarischen Geschäftsführern der Parteien.

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Sterbehilfe: Bundestag ringt sich zu keiner Regelung durch

Wie weit reicht die Selbstbestimmung des Menschen? Und wie soll der Staat damit umgehen, wenn jemand sein Leben beenden will? Der Bundestag hat darauf keine Antworten gefunden. Und doch wird die Debatte in Erinnerung bleiben. Eine Analyse.

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Noch nie habe sie eine Rede gehalten, die so wichtig für "so unfassbar viele Menschen" sei, sagt Katrin Helling-Plahr am Vormittag im Bundestag. Die FDP-Abgeordnete berichtet von ihren Erfahrungen als Anwältin für Medizinrecht – und von Schwerkranken, die aus dem Leben scheiden wollen. Solche Menschen wenden sich nach den Worten von Helling-Plahr auch ans Parlament: "Es vergeht kein Tag, an dem mir nicht ein Betroffener sein Schicksal schildert."

Sterbehilfe: Bundestag diskutiert mit großer Ernsthaftigkeit

Während die Abgeordnete spricht, ist unter der Bundestagskuppel nichts zu hören als ihre Stimme – von gelegentlichem Applaus einmal abgesehen. Kein Zwischenruf, kein Geraune wie sonst üblich. Das Parlamentspräsidium hat zu Beginn der Debatte klargemacht, dass keine Zwischenfragen erlaubt sind. Denn an diesem Donnerstag geht es um Fragen, die über den parlamentarischen Alltag hinausweisen. Etwa um die, wie weit die Selbstbestimmung des Menschen reicht. Und darum, wie diese verfassungsrechtlich verankerte Autonomie mit dem Schutz des Lebens zu vereinbaren ist, wenn jemand eben nicht mehr leben will.

Zwei Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe

Zwei Gruppen von Abgeordneten haben dem Parlament Vorschläge dazu gemacht, wie Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden könnte. Mit beiden Gesetzentwürfen sollte ausdrücklich festgeschrieben werden, dass die Abgabe todbringender Medikamente zum Zweck der Selbsttötung zulässig ist. Vorausgesetzt, der Wunsch zum Suizid geht von Erwachsenen aus. Die Hürden für eine solche Verschreibung legten die beiden Entwürfe allerdings unterschiedlich hoch an. Und in der Debatte wird der Grund dafür deutlich. In seltener Klarheit legen beide Seiten ihre konkurrierenden Sichtweisen dar – ohne parteipolitische Polemik.

SPD: Suizidhelfer dürfen nicht "mit einem Bein im Gefängnis" stehen

Die Gruppe um Helling-Plahr wirbt dafür, dass der Staat sich bei der Sterbehilfe weitgehend heraushält. "Den Menschen muss die Ausübung ihres Willens möglich sein, ohne dass sich eine Behörde querstellt", stellt Martina Stamm-Fibich fest. Und ein Suizidhelfer müsse seine Aufgabe erfüllen können, ohne "mit einem Bein im Gefängnis zu stehen", so die Erlanger SPD-Abgeordnete. Deshalb spricht sich diese Abgeordnetengruppe dafür aus, das Strafrecht bei einer Regelung der Sterbehilfe außen vor zu lassen. Und sie plädiert für ein flächendeckendes Beratungsangebot.

Castellucci: "Begleiteten Suizid ermöglichen, aber nicht fördern"

Die zweite Parlamentarier-Gruppe schlägt vor, organisierte Suizidassistenz grundsätzlich unter Strafe zu stellen und nur in Ausnahmefällen zu erlauben. Als eine Bedingung formuliert die Gruppe um Lars Castellucci, dass Betroffene sich wirklich frei entscheiden – und nicht infolge einer psychischen Erkrankung. Ermittelt werden sollte das unter anderem durch psychiatrische oder psychotherapeutische Untersuchungstermine. Auf diese Weise wollten die Abgeordneten den "begleiteten Suizid ermöglichen, aber nicht fördern", wie es der SPD-Politiker in der Debatte formuliert.

CSU: Betroffene oft großem Druck ausgesetzt

Auch Stephan Pilsinger befürwortet einen strafrechtlichen Rahmen für Sterbehilfe. Der Münchner CSU-Abgeordnete schildert Erfahrungen, die er als Arzt bei Altenheim-Besuchen gemacht hat. Dort würden ihn immer wieder Beschäftigte auf sogenannte Sterbehilfevereine ansprechen, die Bewohner unter Druck setzen würden, ihren Angehörigen "nicht mehr zur Last" zu fallen. Aus Pilsingers Sicht ist es "untragbar", dass es bisher keine Vorschriften gebe, Menschen vor solchen Einflussversuchen zu schützen.

Lauterbach: Abstimmungsergebnis hinterlässt "Rechtsunsicherheit"

Entsprechend enttäuscht reagieren die Befürworter einer gesetzlichen Regelung darauf, dass am Ende keiner der beiden Entwürfe eine Mehrheit bekommt. In den Augen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hinterlässt das Abstimmungsergebnis "natürlich eine gewisse Rechtsunsicherheit".

Nach dem Scheitern der Gesetzentwürfe bleibt Sterbehilfe in Deutschland erlaubt, weil das Bundesverfassungsgericht das vor drei Jahren so entschieden hat. Ob es in nächster Zeit einen neuen Anlauf für eine rechtliche Regelung geben wird, ist offen. Dazu kamen in ersten Reaktionen unterschiedliche Signale aus dem Parlament.

Was bleibt, ist eine Parlamentsdebatte, die klar in der Sache geführt wurde – und stellenweise auch emotional. Aber ohne aufgeplusterte Backen. Keine Selbstverständlichkeit in diese aufgeregten Zeiten.

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