Darum geht’s:
- Fakt ist: Am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza hat es eine Explosion gegeben, und zwar durch den Einschlag eines Objekts. Das ist durch Bildmaterial belegt.
- Unklar ist, was genau die Explosion ausgelöst hat – ob es eine Rakete oder vielleicht nur Teile einer Rakete waren.
Das wissen wir
Faktenchecker weltweit haben sich das öffentlich verfügbare Material zu der Explosion in Gaza angeschaut, auch der #Faktenfuchs. Einige Tatsachen lassen sich dadurch belegen: Es hat am Dienstag, den 17. Oktober, gegen 19 Uhr Ortszeit eine Explosion in Gaza-Stadt gegeben, bei der viele Menschen getötet wurden.
Ein US-Geheimdienstbericht schätzte laut Medienberichten vorerst, dass die Zahl der Toten "wahrscheinlich im unteren Bereich des Spektrums von 100 bis 300" Menschen liegt. Die Terrororganisation Hamas, die als solche mit vielen Propagandavideos und anderen manipulativen Informationen in Erscheinung tritt, gab 471 Todesopfer an (Stand: 20. Oktober).
Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden. Laut Berichten hatten sich auf dem Gelände – gerade auch auf den Außenflächen – viele Menschen versammelt, die Schutz suchten. Darauf deuten viele dort verstreute Gegenstände hin, wie etwa Decken, Brot und Kinderrucksäcke. Bellingcat zählte nach eigenen Angaben auf einem Video "mindestens zwei Dutzend Körper". Bei Bellingcat handelt es sich um ein internationales Recherchekollektiv bestehend aus Rechercheuren, Investigativ- und Bürgerjournalisten.
Die Explosion traf einen Innenhof, auf dem Autos geparkt waren, mit angrenzenden Grünflächen; und zwar auf dem Gelände des Al-Ahli-Krankenhauses, wie der #Faktenfuchs verifizieren konnte und wie wir später im Text erläutern. Ebenso sammelten andere Faktenchecker, etwa die BBC, die Belege dafür.
Der Ort steht fest, anderes ist nicht abschließend überprüfbar
Grundlage ist ein Video des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera (zum Beispiel hier archiviert). Die Live-Bilder wurden um 18.59 Uhr Ortszeit gesendet. Ein helles Licht ist zu sehen, das am Himmel über Gaza aufsteigt. Es leuchtet zweimal auf, dann ändert es plötzlich und deutlich seine Richtung und "explodiert" dann. Kurz darauf sieht man am Boden eine erste Explosion in einiger Entfernung, dann eine zweite größere Explosion näher an der Kamera. Diese zweite Explosion lokalisierte der #Faktenfuchs beim Al-Ahli-Krankenhaus. Die markante Architektur des Krankenhauses mit auffälligen Solarpaneelen ist eindeutig erkennbar.
International beschäftigen sich viele mit der Frage, wer verantwortlich ist für diese Explosion, bei der zahlreiche Menschen ums Leben kamen.
Von dem genannten Al-Jazeera-Video darauf zu schließen, woher die Rakete kam, erscheint für Rechercheeinheiten ohne weiteren Zugriff auf die militärische Luftaufklärung schwierig, denn zur Zeit der Aufnahme ist es dunkel. Außer den Krankenhausgebäuden, die durch die Explosion erleuchtet werden, kann man kaum etwas auf dem Video erkennen. Auch lässt sich nicht endgültig abgesichert sagen, ob die Rakete, die am Himmel zu sehen ist und nach der Einschätzung mehrerer Beobachter wohl einen Defekt hat, etwas mit der Explosion am Boden zu tun hat. Dies ist aber naheliegend, wegen des geringen zeitlichen Abstands zwischen dem Auftauchen der Rakete und der Explosion am Boden.
Update 25.10.: US-Geheimdienste sind einem Insider zufolge "sehr zuversichtlich", dass die Explosion von einer palästinensischen Rakete verursacht wurde. Die Rakete sei nach Einschätzung der Geheimdienste in der Luft zerborsten, wie eine mit der Angelegenheit vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Die US-Geheimdienste haben kein neues Bildmaterial veröffentlicht, um ihre Schlussfolgerung zu untermauern, berichtete die New York Times.
Zu einem anderen Ergebnis als die US-Geheimdienste kam das "Visual Investigations"-Team der New York Times. In einer Analyse kam die Times zu dem Schluss, der Livestream von Al Jazeera, der auch von Israel als Beweis dafür angeführt wurde, dass die Rakete von palästinensischer Seite kam, zeige etwas anderes.
Dafür analysierte die Times verschiedene Videos des Ereignisses, die die Rakete aus verschiedenen Perspektiven aufnahmen und schätzte so den Startort der Rakete. Die Rakete, die man im Video sieht, ist laut New York Times wahrscheinlich nicht diejenige, die auch die Explosion verursachte. Sie sei auch nie in der Nähe des Krankenhauses gewesen, sondern von Israel aus gestartet und dann über der Grenze zwischen Israel und Gaza explodiert, schreibt die Times. Was die Explosion am Krankenhaus in Gaza tatsächlich verursachte, kann die New York Times nicht beantworten.
Weiteres Video bestätigt Zeitpunkt der Explosion
Neben diesem Al-Jazeera-Video kursiert eine weitere Aufnahme. Sie stammt vom israelischen Fernsehsender Channel 12 und wurde wahrscheinlich zum selben Zeitpunkt aufgenommen wie das Material von Al Jazeera. Das legt der Timecode nah, der bei Channel 12 eingeblendet ist.
Im Video von Channel 12 sind aus Richtung des Gazastreifens aufsteigende Raketen zu sehen. Ebenfalls gegen 19 Uhr – also zum gleichen Zeitpunkt wie auf dem Material von Al-Jazeera – ist am Boden eine Explosion zu sehen. Der Sender gibt das Al-Ahli-Krankenhaus als Ort der Explosion an.
Auch nach Recherchen des #Faktenfuchs handelt es sich bei dem Ort der Explosion sehr wahrscheinlich um das Krankenhaus-Gelände in Gaza. Der Ort der Explosion ist auf dem Videomaterial zwischen zwei angrenzenden Gebäuden zu sehen. Zieht man auf einer Karte vom Standort der Kamera in Netivot eine Linie zum Al-Ahli-Krankenhaus im Gazastreifen, bestätigt das, dass auf dieser Linie in etwa der Standort des Krankenhauses sein muss. Auf dem Video-Material von Channel 12 lässt sich das Krankenhaus allerdings nicht erkennen, die Aufnahme ist aus rund 13 Kilometern Entfernung entstanden.
Man sieht auf dem Video von Channel 12 auch, dass Raketen abgefeuert werden. Wo genau der Startort liegt, kann der #Faktenfuchs auf Basis des verfügbaren Materials selbst nicht feststellen – ebenso wenig legen sich bisher andere Faktenchecker in ihren Veröffentlichungen auf einen Startpunkt fest (Stand 20. Oktober 2023).
Das israelische Außenministerium veröffentlichte auf der Plattform X ein Schaubild, auf dem es den Startort des Abschusses von Hamas-Raketen an diesem Abend in etwa ausweist (Quelle). Diese Gegend sollte im Blickwinkel der Channel-12-Kamera liegen, damit auch die Rakete. Ob die im Video sichtbaren Raketen etwas mit der Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus zu tun haben, lässt sich anhand des Videomaterials weder bestätigen noch widerlegen.
Verlautbarungen der Terrororganisation
Einen Einblick in die Kriegshandlungen zur Uhrzeit der Explosion gaben die Al-Quassam-Brigaden. Der militärische Arm der Terror-Organisation Hamas beschreibt selbst die Kriegshandlungen, bekennt sich auf seinem Telegram-Kanal regelmäßig zu Angriffen auf Israel. Am Dienstagabend hieß es bei Telegram von den Brigaden: Man habe um 19 Uhr Ortszeit – also zu der Zeit, als sich die Explosion im Krankenhaus ereignete – den israelischen Ort Sderot nahe der Grenze angegriffen. Auch von Bombardements auf Tel Aviv ist an dem Abend die Rede.
Auch wenn die Zeitpunkte der berichteten Angriffe, der Channel-12-Videoaufnahme und der Explosion am Krankenhaus übereinstimmen: Ob es sich bei den im Video von Channel 12 festgehaltenen Raketenabschüssen tatsächlich um die im Telegram-Kanal behaupteten Angriffe auf Sderot handelt, ist mit den der Redaktion verfügbaren Videos nicht einzuordnen. Ebenso, ob die Rakete oder die Raketenteile, die am Al-Ahli-Krankenhaus einschlugen, etwas mit den Al-Quassam-Brigaden zu tun haben.
Auch der britische "Guardian" hatte über Telegram-Mitteilungen der Terrororganisation Hamas berichtet. Der Telegram-Kanal der Al-Qassam-Brigade mit mehr als 700.000 Followern ist in Deutschland gesperrt. Vor einigen Tagen berichtete der "Spiegel", dass Telegram Hamas-Kanäle auf Anordnung des BKA in Deutschland sperrte. Der #Faktenfuchs griff über einen Web-Proxy auf den gesperrten Kanal zu.
Was der Krater am Einschlagsort aussagt
Eindeutig bestimmen lässt sich der genaue Einschlagsort der Rakete. Das konnten die BBC, Bellingcat, weitere Faktenchecker und auch der #Faktenfuchs anhand der Bilder nach der Explosion überprüfen. Es handelt sich um einen Hof beziehungsweise Parkplatz auf dem Krankenhausgelände mit angrenzenden Grünflächen.
Gerade die Bilder des Kraters auf dem Parkplatz dienen als wichtiges Beweismittel – wobei noch nicht endgültig geklärt ist, welche Schlussfolgerungen aus dem Krater gezogen werden können. Die meisten Beobachter stimmen darin überein, dass der Krater relativ klein ist.
Die Rechercheure der unabhängigen Gruppe Bellingcat veröffentlichten eine genauere Analyse des Einschlags-Kraters. Bellingcat prüfte dafür verifizierte Bilder und Videos. Öffentlich zugängliche Bilder zeigen Schäden an Autos auf dem Parkplatz. Ein Wagen zum Beispiel liegt auf dem Dach, andere sind offensichtlich in Flammen aufgegangen. Der gepflasterte Boden um den Krater herum ist beschädigt und zeigt in einem kegelförmigen Bereich Kratzer und Gruben, wie es laut Bellingcat zur Explosion von Munition passt. Gegenstände in diesem Bereich scheinen deutlich beschädigt, zum Beispiel ein Zaun.
Das Bellingcat-Team wies außerdem darauf hin, dass es zunächst Widersprüche in den Aussagen der Israelischen Streitkräfte (IDF) gab. In einer Pressekonferenz (https://www.youtube.com/watch?v=mYqlG3dKIFo) am Mittwoch, 18. Oktober, sagte IDF-Sprecher Daniel Hagari, dass die IDF keinen Krater habe identifizieren können. Auf einem der Bilder, die Hagari zeigte, ist laut Bellingcat allerdings ein Krater zu sehen – entsprechend dem Video, das das Recherche-Team analysierte. In einem Video am Tag darauf (19. Oktober) bestätigte ein weiterer IDF-Sprecher den Krater.
Die IDF sagen, der kleine Krater zeige, dass es sich nicht um eine israelische Rakete gehandelt haben könne (Visualisierung der IDF hier archiviert). Andere wiederum vermuteten, dass der kleine Krater die Folge von "Air-Burst"-Munition sein könnte, die bereits in der Luft explodiert. Laut BBC sagten die vom Sender befragten Experten allerdings, dass die Szenerie nach der Explosion zu dieser Air-Burst-Hypothese nicht passe.
Die IDF veröffentlichten außerdem Material, das belegen soll, dass die Rakete aus Gaza selbst kam. Dazu gehört etwa eine Sprachaufnahme der Stimmen zweier Personen (hier archiviert). Laut IDF gehören diese Personen zur Terrororganisation Hamas. Die Personen sprechen nach IDF-Angaben über den Ursprung der Explosion und sagen, dass es offenbar – laut Aussagen von weiteren, nicht näher bezeichneten Personen – ihre eigene Rakete war. Sie sagen auch: Abgeschossen worden sei sie von einem Friedhof hinter dem Krankenhaus. Sowohl das Video von Al Jazeera als auch Aussagen der IDF deuten allerdings darauf hin, dass der Abschussort weiter weg vom Krankenhaus gelegen haben müsste.
Erschwerte Aufklärung
Abgesicherte Schlussfolgerungen zum Krater stehen noch aus, was ohne eine Prüfung vor Ort natürlich auch schwierig ist. Es können aufgrund der Kampfhandlungen auch keine konkreten Beweise wie Raketenteile unabhängig geprüft werden. Diese könnten Aufschluss darüber geben, welche Waffe im Einsatz war, was mit dieser passiert ist und wer sie eingesetzt haben könnte.
Weltweit versuchen OSINT-Experten herauszufinden, von wem die Rakete kam. Der Bellingcat-Gründer Eliot Higgins gibt zum Beispiel in einem Thread auf X einen Überblick über bisherige OSINT-Hinweise.
Wichtig ist es, dass man sich vergegenwärtigt: Für Journalistinnen und Journalisten, auch für Faktencheck-Teams, ist eine Analyse sehr schwierig. Denn es gibt bislang nur wenig Bild- und Tonmaterial und keine unabhängig geprüften Angaben von vor Ort. Die hier gesammelten Informationen sind kein Gegenbeweis zur IDF-Darstellung, dass die Explosion von Terroristen im Gazastreifen verschuldet wurde. Die hier gesammelten Informationen sollen für Leser nachvollziehbar machen, wie Faktenchecker arbeiten und auf welche begrenzten Informationen sie derzeit von außen zugreifen können.
Der #Faktenfuchs versucht bei solchen Prüfungen, sich mithilfe von Kartendiensten und Satellitenaufnahmen anzunähern. In Gaza ist diese Arbeit jedoch erschwert, da es nur sehr punktuell Aufnahmen von Google Street View oder anderen Diensten wie Mapillary gibt. Diese Dienste erlauben es, Gebäude von der Bodenperspektive aus zu sehen und helfen bei der Verifikation von Örtlichkeiten. Erschwerend hinzu kommt, dass Teile des Materials bei Nacht aufgenommen wurden. Auf den Nacht-Videos kann man deshalb neben den Geschossen und der Explosion nur wenig erkennen.
Disclaimer 25.10., 14.02 Uhr: Wir haben im Abschnitt zum Al-Jazeera-Video neueste Entwicklungen und Erkenntnisse zur Herkunft der Rakete ergänzt.
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