Fotos der gefälschten FDP-Plakate verbreiten sich auch im Netz. Die Einordnung als aktivistische Kunst ist nicht immer klar.
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Fotos der gefälschten FDP-Plakate verbreiten sich auch im Netz. Die Einordnung als aktivistische Kunst ist nicht immer klar.

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#Faktenfuchs: Fake-FDP-Plakat zwischen Kunst und Desinformation

Ein Plakat, auf dem Bundesfinanzminister Christian Lindner angeblich das 9-Euro-Ticket kommentiert, stammt nicht von seiner Partei, der FDP, sondern von Künstlern. Ein #Faktenfuchs über den schmalen Grat zwischen Kunst und Desinformation.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Es sieht aus wie ein Wahlplakat der FDP aus den letzten Jahren. Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner in Schwarz-Weiß, dazu ein Slogan in knalligem Gelb und Pink.

Das Plakat hängt an Bushaltestellen und Bahnhöfen in Deutschland, Fotos davon kursieren im Netz, manche Posts haben auf Twitter weit über 10.000 Likes.

Plakat zum 9-Euro-Ticket stammt nicht von der FDP

Das Plakat suggeriert auf den ersten Blick zwei Dinge: Zum einen, dass es sich um ein offizielles Plakat der Freien Demokraten handelt – das Parteilogo ist gut zu erkennen. Zum anderen, dass Parteichef Lindner sich zum 9-Euro-Ticket äußert.

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Fotos der gefälschten FDP-Plakate verbreiten sich auch im Netz. Die Einordnung als aktivistische Kunst ist nicht immer klar.

"Kein Geld für ÖPNV? Sollen sie doch Porsche fahren", steht über beziehungsweise unter Lindners Namen. Es handelt sich dabei nicht um ein echtes Zitat des FDP-Vorsitzenden und es ist kein echtes Plakat seiner Partei. Das haben manche User im Netz aufgrund der Anspielung auf Lindners Nähe zum schwäbischen Autokonzern und die Anlehnung an ein Zitat erahnt, das häufig fälschlicherweise Marie Antoinette zugeschrieben wird. ("Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen.")

Doch dass es sich bei dem Plakat um aktivistische Kunst handelt, erkennen auf den ersten Blick wohl zunächst vor allem politisch Informierte. Wer das nicht erkennt, könnte in die Irre geführt werden.

Womit haben wir es hier zu tun? Ist das Plakat ein gefährlicher Fake oder eine meinungsbildende Kunstaktion in einer Demokratie? Die Ansichten von Wissenschaftlern gehen auseinander, wie dieser #Faktenfuchs zeigt.

Adbusting: Künstler verändern Plakate und kapern Werbeanzeigen

Die Künstlergruppe "Dies Irae", die für das Plakat verantwortlich ist, bezieht sich auf die Kunstform des Adbusting. Dabei wird ein echtes Plakat teilweise überklebt oder ein neuer Text hinzugefügt. Die Künstlergruppe hat in der Vergangenheit schon Plakate der CDU und der AfD derartig verändert. Ob die Bearbeitung des Plakats händisch oder digital erfolge, mache keinen Unterschied, schreibt "Dies Irae" dem #Faktenfuchs. Ihrer Ansicht nach handelt es sich nicht um einen "Fake".

Bisherige Reaktionen lassen den Künstlern zufolge darauf schließen, dass Menschen sofort verstehen, dass das Plakat nicht von der FDP stamme. "Unter dem Namen Christian Lindner, steht am unteren Plakatrand passenderweise ‘nervtjeden’ (Social-Media-Name des Künstlerkollektivs, Anm. d. Red.) - dies kann als deutlicher Hinweis dafür betrachtet werden, dass die FDP nicht Urheber dieses Plakates ist." Auf dem ersten Foto der FDP-Aktion, das "Dies Irae" am 11. August auf Twitter postete, ist zwar die Überklebung des Originaltextes recht deutlich zu erkennen, der erwähnte Hinweis findet sich aber nicht auf dem Plakat.

Über die Crowdfunding-Plattform "Gofundme" riefen die Künstler zu Spenden für die weitere Produktion der Plakate auf, welche in der Folge gedruckt wurden. Auf ihnen ist der Hinweis vorhanden, allerdings auf den Fotos im Netz wegen der Qualitätsverluste meist nicht zu erkennen.

FDP sieht keinen "demokratischen Meinungsaustausch", Volker Beck nennt Aktion "toxisch"

Die FDP hat die Plakate zur Kenntnis genommen, ein Parteisprecher sagte der Nachrichtenagentur "dpa": "Grundsätzlich sind gefälschte Plakate für uns kein Mittel des demokratischen Meinungsaustauschs." Der Staatsschutz habe die Ermittlungen übernommen, sagte ein Polizeisprecher in Düsseldorf dem WDR.

Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck kritisiert die Aktion auf Twitter als "toxisch", stellt sie in eine Reihe mit der Schmutzkampagne #GrünerMist, bei der im vergangenen Bundestagswahlkampf Grünen-Fake-Plakate verbreitet wurden. Hinter diesem "negative campaigning" - einer hauptsächlich in den USA verbreiteten Wahlkampf-Taktik - steckte eine Firma, die zuvor zur Wahl der AfD aufgerufen hatte.

Die Reaktionen unter den Posts des FDP-Fakes in den sozialen Netzwerken sind sehr unterschiedlich. Während einige die Aktion als aktivistische Kunst einordnen, sehen andere darin gefährliche Fakes. Auch bei Wissenschaftlern gehen die Ansichten auseinander.

Wissenschaftler uneinig, ob Aktion als Desinformation gesehen werden sollte

Olaf Hoffjann, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Bamberg, sieht die Aktion im Gespräch mit dem #Faktenfuchs kritisch. "Man könnte das auch als politische Gegenkampagne bezeichnen, aber egal, wie man es nennt, es handelt sich um Desinformation. Einige werden es zwar als Kunst erkennen und den Inhalt einordnen können, für andere wird es aber nicht erkennbar sein."

David Lanius sieht das anders. Er ist Vertretungsprofessor für Philosophie an der Universität Mainz, hat zu Desinformation und Kommunikationsstrategien geforscht. Für Lanius handelt es sich bei dem vermeintlichen FDP-Plakat nicht um Desinformation: "Ich würde das klar im Bereich der politischen Satire ansiedeln. Natürlich besteht das Risiko, dass manche Menschen sie missverstehen. Doch ohne Täuschungsabsicht auf Seiten des Künstlerkollektivs ist es schon rein begrifflich keine Desinformation."

Nach Ansicht des Künstlerkollektivs trägt die Aktion zur demokratischen Meinungsbildung bei. "Menschen, die am politischen Geschehen teilnehmen, erkennen sofort, dass es sich hier nur um eine satirische Persiflage handeln kann", schreibt das Kollektiv dem #Faktenfuchs. Und weiter: "Die Menschen, die das Plakat zunächst nicht einordnen können, sind mindestens irritiert, so dass sie innehalten, neugierig werden, sich darüber unterhalten und austauschen. Vielleicht empören sie sich darüber, weil sie eine andere Auffassung haben. Das ist erwünscht und ein Ziel der Kunstform des Adbustings: Menschen sollen darüber diskutieren."

Man wolle ironisch überspitzen oder aufrütteln, schreibt "Dies Irae" - ähnlich wie etwa beim Kabarett. Kommunikationswissenschaftler Hoffjann widerspricht dieser Argumentation: "Im Kabarett zahle ich Eintritt, da weiß ich, wo ich bin und erwarte derartige Inhalte dann auch." Die Plakataktion nutze aber den öffentlichen Raum. "Die Menschen erwarten das nicht. Einige werden die richtigen Schlüsse ziehen und das einordnen können, andere jedoch nicht", sagt Hoffjann. "Adbusting kann grundsätzlich unterhaltsam sein, aber so eine Aktion ist im aufgeheizten politischen Diskurs wirklich gefährlich."

Philosoph Lanius hält im Gespräch mit dem #Faktenfuchs dagegen. "Diese Aktion als solche moralisch zu verurteilen, geht mir zu weit. In einer demokratischen Öffentlichkeit sollten wir solche Aktionen grundsätzlich zulassen." Am Ende sei es eine Risikoabwägung: erfolgreich Aufmerksamkeit auf einen angenommenen Missstand zu lenken versus mögliche Missverständnisse und Polarisierung in Kauf nehmen.

Moralische Bewertung von Kunst immer gesellschaftliche Abwägung

Gefragt, ob es sinnvoll sei, in einer Zeit, in der sich politische Desinformation immer stärker verbreitet, auf Politiker-Fakes als Kunstform zurückzugreifen, schreibt "Dies Irae", dass es sich ihrer Ansicht nach nicht um einen Fake handele. Bei anderen Aktionen des Künstlerkollektivs war die Einordnung als Satire eindeutiger, hier wurden etwa Logos verfremdet, zum Beispiel, als sich das Kollektiv dem Hamburger Innensenator Andy Grote widmete. Das FDP-Plakat nutzt hingegen das offizielle Branding der Partei.

David Lanius sieht es als problematisch an, dass eine Möglichkeit der klaren Einordnung als Satire ausgelassen wurde. Er sagt aber auch: "Wenn man mit Aktionen in der öffentlichen Debatte gehört werden will, muss man leider oft zuspitzen." Wenn sich die Fotos im Netz etwa über Twitter verbreiteten, könnten Fotos der Aktion gezielt genutzt werden, um in bestimmten sozialen Blasen politisch Stimmung zu machen. Die Einordnung als Kunst bleibe auf der Strecke. "Da fällt die Bewertung der Aktion dann uneindeutig aus", sagt David Lanius. Am Ende bleibe allerdings die schwierige Frage: "Lässt man sich durch Desinformation im Netz in der Rede- und Kunstfreiheit einschränken?" Die begriffliche und moralische Einordnung einer solchen Aktion als Kunst oder als Desinformation bleibt also Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses.

Fazit

Bei Plakaten, die den FDP-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Christian Lindner mit einem angeblichen Zitat zum 9-Euro-Ticket zeigen, handelt es sich um Fakes. Sie stammen nicht von der FDP und zeigen auch kein Zitat von Christian Lindner. Hinter der Aktion steht ein aktivistisches Kunstprojekt der Gruppe "Dies Irae".

Das Künstlerkollektiv bezieht sich auf das Adbusting und schreibt, der Hinweis auf die Social-Media-Kanäle mache den wahren Ursprung des bearbeiteten Plakats deutlich. Auf den Fotos, die sich im Netz verbreiten, ist dies oft nicht zu sehen. Experten sind sich bei der Bewertung der Aktion uneins, ob es sich um eine reine Kunstaktion oder um Desinformation handelt.

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