Es war wieder ein Sonntag der Demos heute in Deutschland - Zehntausende zogen los, um ein Zeichen gegen rechten Extremismus zu setzen.
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Es war wieder ein Sonntag der Demos heute in Deutschland - Zehntausende zogen los, um ein Zeichen gegen rechten Extremismus zu setzen.

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Demos gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland

Die Welle an Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland ebbt nicht ab. In Hamburg beteiligten sich am Sonntag etwa 100.000 Menschen. Demos gab es auch in vielen anderen deutschen Städten. In Bayern gingen Zehntausende auf die Straßen.

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Einige Hunderttausend Menschen haben am Wochenende erneut in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus und die AfD demonstriert. Damit verzeichnen die bundesweiten Aktionen auch rund zwei Wochen nach ihrem Beginn großen Zulauf. Auch in Bayern gingen in vielen Städten Zehntausende auf die Straßen.

Demonstrationen am Wochenende überall in Bayern

Im unterfränkischen Schweinfurt versammelten sich nach Angaben der Polizei am Samstag rund 6.500 Menschen, in Ingolstadt kamen in der Spitze rund 6.000 Menschen zusammen. Auch im mittelfränkischen Schwabach, in Hof in Oberfranken und im niederbayerischen Passau demonstrierten laut Polizei jeweils rund 6.000 Menschen. Die Veranstalter der Kundgebung "Passau gegen rechts" sprachen von etwa 8.000 Teilnehmenden. Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) sagte auf der Bühne: "Ich glaube - nein ich weiß, das ist die größte Demonstration, die je in Passau stattgefunden hat."

Rund 3.000 Menschen kamen am Samstag nach Angaben der Polizei auf eine Demo im niederbayerischen Straubing. Im schwäbischen Memmingen kamen am Samstag rund 3.300 Menschen unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt" zusammen. In Sonthofen und Lindau nahmen laut Polizei jeweils rund 2.000 Menschen an Demonstrationen teil, in Dachau rund 3.500 Menschen. Von 1.500 sprach die Polizei bei der Demo in Neumarkt in der Oberpfalz. Im oberbayerischen Landsberg am Lech kamen 2.500 Menschen, um sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie zu positionieren.

Im oberbayerischen Ebersberg demonstrierten am Sonntag nach Schätzung der Polizei rund 2.600 Menschen, in Obernburg in Unterfranken bis zu 1.500 Menschen. Jeweils rund 1.000 Teilnehmende gab es bei Demos in Pegnitz in Oberfranken und im schwäbischen Friedberg.

Proteste werden von Politikern unterstützt

Die Organisation Campact sprach bundesweit von fast 320 Kundgebungen mit rund 820.000 Teilnehmern. In Hamburg versammelten sich nach Angaben der Bewegung Fridays for Future rund 100.000 Menschen, darunter auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer - die Polizei gab zunächst keine Zahl bekannt. Die Teilnehmer skandierten "Hamburg hasst die AfD" oder "Wir sind mehr".

Vielerorts wurden die Veranstaltungen von Politikern unterstützt. In Sigmaringen war am Samstag Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) privat dabei, in Aachen demonstrierten Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). In Sachsen-Anhalt ging der dortige Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in Wittenberg mit auf die Straße. In Osnabrück warnte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einer Kundgebung vor der AfD.

Vergleich mit der Weimarer Republik

Die Polizei sprach von rund 25.000 Demo-Teilnehmern in Osnabrück, die Organisatoren bezifferten die Zahl auf rund 30.000. Pistorius sagte, die AfD wolle den Systemwechsel. "Das heißt nichts anderes als, sie wollen zurück in die dunklen Zeiten des Rassenwahns, der Diskriminierung, der Ungleichheit und des Unrechts." Er zog einen Vergleich mit der Weimarer Republik, die nicht an ihren Feinden, sondern an der Schwäche ihrer Freunde zugrunde gegangen sei. "Heute wissen wir es besser, Geschichte darf sich nicht wiederholen."

Allein in Düsseldorf waren laut Polizei am Samstag etwa 100.000 Menschen auf den Beinen. Die Demonstration stand unter dem Motto "Gegen die AfD – Wir schweigen nicht. Wir schauen nicht weg. Wir handeln!" Unter den Protestierenden waren Menschen jeden Alters, darunter viele Familien mit Kindern. Auf den Transparenten standen Aufschriften wie "Ich mag Nazis generell nicht" und "Nicht nochmal!" Ein 69-Jähriger, der nach eigenen Worten erstmals seit Jahrzehnten wieder bei einer Demo mitlief, sagte: "Wenn wir jetzt nicht Flagge zeigen, gehen wir in eine Richtung, aus der wir nicht mehr rauskommen."

Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) sagte bei der Abschlusskundgebung, um 1930 seien die Gefahren für die erste deutsche Demokratie unterschätzt worden: "Das darf uns nicht noch einmal passieren", mahnte er. "Den Extremisten rufen wir zu: Nie wieder werdet ihr in der Mehrheit sein!"

Demos von Lübeck bis Singen

In Kiel zählte die Polizei rund 11.500 Teilnehmer einer Demo gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. In Trier waren es rund 10.000 Menschen. In Lübeck gab es laut Polizei rund 8.000 Demonstranten, in Bremerhaven und Ludwigsburg bis zu 7.000, in Kaiserslautern rund 6.000, in Mannheim bis zu 20.000. In Aachen waren es nach Angaben der Beamten etwa 20.000 Menschen, in Marburg mehr als 12.000.

Aber auch in kleineren Orten waren die Menschen auf den Straßen, eine Auswahl: In Singen zählte die Polizei etwa 4.000 Demonstranten, in Sigmaringen waren es rund 2.000 Menschen, in Elmshorn rund 6.000 Menschen. Im Osten Deutschlands stachen Frankfurt an der Oder mit rund 4.500 Menschen, Zwickau mit etwa 4.000 sowie Bautzen und Weimar mit jeweils etwa 1.500 Demonstrierenden heraus.

Proteste schon seit einigen Tagen

Bereits am vorherigen Wochenende hatten sich nach Angaben des Bundesinnenministeriums mehr als 900.000 Menschen an Demos gegen Rechtsextremismus beteiligt. Es berief sich dabei auf Polizeiangaben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßte die zahlreichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. "Unser Land ist gerade auf den Beinen. Millionen Bürgerinnen und Bürger gehen auf die Straße", sagte er in seinem wöchentlichen Video "Kanzler kompakt". Es sei der Zusammenhalt der Demokratinnen und Demokraten, der die Demokratie stark mache. "Unsere Demokratie ist nicht gottgegeben. Sie ist menschengemacht. Sie ist stark, wenn wir sie unterstützen. Und sie braucht uns, wenn sie angegriffen wird."

Großdemo in Berlin geplant

Am kommenden Samstag soll die Protestwelle den Organisatoren zufolge ihrem vorläufigen Höhepunkt entgegensteuern. Dann werden Zehntausende zu einer Veranstaltung in Berlin unter dem Motto "Wir sind die Brandmauer" erwartet. Dazu rufen etwa die Gewerkschaft ver.di zusammen mit ihren Schwestergewerkschaften des DGB und weiteren Bündnispartnern wie "Fridays for Future" und dem Netzwerk "Hand in Hand" auf.

Extremismus-Experte sieht verunsicherte AfD

Der Soziologe Matthias Quent sagte dem Portal tagesschau.de, die AfD sei durch die andauernden Proteste tief verunsichert. "Die extreme Rechte ist regelrecht in Panik", so der Rechtsextremismus-Experte. Die Bilder von den Massendemonstrationen stellten den Nimbus infrage, die AfD sei "die Partei des Volkes". Es werde versucht, diese Demonstrationen als Fälschungen und als Inszenierungen infrage zu stellen. "Aber so richtig dringen diese Narrative nicht durch."

Auslöser der Proteste waren am 10. Januar Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter, an dem einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen am 25. November nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Laut Correctiv nannte Sellner drei Zielgruppen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und "nicht assimilierte Staatsbürger".

Wahlen im September in drei ostdeutschen Bundesländern

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden im September neue Landtage gewählt. Umfragen zufolge könnte die AfD in allen drei Bundesländern stärkste Kraft werden, mit deutlichem Abstand. In zwei bundesweiten Umfragen von Insa und Forsa für die "Bild am Sonntag" und für RTL/ntv verlor die AfD zuletzt an Zuspruch, sie blieb mit 21 beziehungsweise 20 Prozent aber nach der Union die zweitstärkste Kraft. Die AfD wird in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom jeweiligen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch bewertet, bundesweit ist sie als Verdachtsfall eingestuft.

Margot Friedländer: "Ich finde, dass zu wenige ihre Meinung sagen"

Wer Wahlerfolge der AfD verhindern möchte, sollte nach Einschätzung des Soziologen Armin Nassehi auf Sachpolitik setzen. "Wer also der AfD schaden will, müsste Anlass dazu geben, offenkundige Probleme für lösbar zu halten", sagte der Wissenschaftler der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Mit den jüngsten Demonstrationen hätten die Menschen "ein großartiges Zeichen" gesetzt, betonte Nassehi. "Nebenbei gab es für mich auch Anlass für Unbehagen. Manche Veranstalter inszenierten ihre Demonstration als Rundumschlag gegen die Union, gegen die Ampel, gegen das 'System'. So ähnelt man sich seinem Gegner an."

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer mahnte ein breiteres Engagement gegen Rechtsextremismus an. Sie sei dankbar für die großen Demonstrationen, sagte sie den ARD-Tagesthemen bereits am Freitag. "Aber es werden immer die sein, die sowieso für uns sind. Ich finde, dass mehr laut sein sollten, ich finde, dass zu wenige ihre Meinung sagen."

Mit Informationen von dpa, AFP, KNA und Reuters.

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