Polizisten durchkämmen ein Waldgebiet auf der Suche nach einer vermissten Person.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/David Pichler

Immer wieder muss die Polizei ausrücken, um vermisste Personen zu finden, wie hier im März 2023 in einem Waldgebiet in Baden-Württemberg.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Plötzlich weg - Stündlich wird ein Mensch vermisst

"Nach Familienstreit vermisst", "spurlos verschwunden", "möglicherweise in hilfloser Lage": 2022 wurden in Bayern 10.508 Menschen als vermisst gemeldet, im Schnitt eine Person pro Stunde. Die Gründe sind sehr unterschiedlich, ein Verbrechen selten.

"Gerald K. (45) befindet sich möglicherweise in hilfloser Lage", "Mykhailo P. (14) nach Familienstreit vermisst", "Vanessa H. (39) nach Einkauf spurlos verschwunden" – drei aktuelle, ungelöste Vermisstenfälle aus Niederbayern, Schwaben und Oberbayern. Trotz Öffentlichkeitsfahndung konnten sie bislang nicht aufgeklärt werden. Die Schicksale des Jugendlichen, der Frau und des Mannes, von denen es seit Wochen, Monaten und sogar seit über einem Jahr kein Lebenszeichen gibt, sind ungewiss. Typisch sind die drei Beispiele nicht, denn die allermeisten Vermisstenfälle werden schnell geklärt.

Über die Hälfte der Vermissten sind Jugendliche

Über die Hälfte der im vergangenen Jahr in Bayern als vermisst angezeigten Personen sind nach Angaben des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) Jugendliche (5.686), gefolgt von Erwachsenen (3.777) und Kindern (1.045). Die Erklärung: In der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen ist der Anteil der sogenannten "Streunerinnen und Streuner" hoch. Unter dieser Begrifflichkeit versteht das BLKA Jugendliche, die oftmals vermisst werden und nach kurzer Zeit wieder "auftauchen".

Das Gesamt-Niveau der Vermisstenfälle in den letzten zehn Jahren bezeichnet das BLKA als relativ stabil. Aktuell (Stand Ende Juli) werden 1.577 Menschen in Bayern vermisst.

Polizei fahndet nur bei Gefahr für Leib oder Leben

Drei Voraussetzungen müssen nach einer bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift gegeben sein, damit eine Vermissten-Fahndung einleitet wird. Erstens: Die Person hat ihr gewohntes Umfeld verlassen. Zweitens: Der derzeitige Aufenthaltsort ist nicht bekannt.

Am wichtigsten ist aber die dritte Bedingung: Es kann oder muss aufgrund der Umstände eine Gefahr für Leib oder Leben der verschwundenen Person angenommen werden – also Hilflosigkeit, ein Unglücksfall, eine Selbsttötungsabsicht, eine Straftat. Die Bewertung nimmt die Polizeidienststelle vor, in der der Vermisstenfall angezeigt wurde.

Kinder und Jugendliche grundsätzlich in Gefahr

Minderjährige dürfen über ihren Aufenthaltsort noch nicht selbst bestimmen. Wenn unter 18-Jährige ihr gewohntes Umfeld verlassen, also beispielsweise nicht von der Schule oder Freundinnen beziehungsweise Freunden nach Hause kommen und die Eltern oder die Sorgeberechtigten nicht wissen, wo sie sind, gelten sie für die Polizei bereits als vermisst. Denn, so das BLKA, bei Kindern und Jugendlichen werde grundsätzlich von einer Gefahr für Leib oder Leben ausgegangen, solange Erkenntnisse oder Ermittlungen nichts anderes ergeben.

Gesunde Erwachsene dürfen verschwinden

Erwachsene haben dagegen das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu bestimmen. Sie müssen weder Angehörigen noch Freunden und Bekannten, ja nicht einmal dem Ehepartner oder der Ehepartnerin mitteilen, wo sie sind. Ist keine Gefahr für Leib oder Leben erkennbar, ist es nicht Aufgabe der Polizei, Aufenthaltsermittlungen durchzuführen.

Nach den meisten Vermissten wird nicht öffentlich gefahndet

Wie schnell und mit welchen Maßnahmen die Polizei nach einer als vermisst gemeldeten Person sucht, hängt nach Auskunft des BLKA von vielen Umständen ab. Wie alt ist die vermisste Person? Wie lange wird sie schon vermisst? Wie ist die Witterung? Wie groß die Gefahr, dass er oder sie verletzt oder tot aufgefunden wird? Zudem werde jeder Vermisste im Informationssystem der Polizei und im Schengener Informationssystem zur Fahndung ausgeschrieben, so das BLKA.

Eine Öffentlichkeitsfahndung werde erst dann durchgeführt, "wenn andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Fahndungsmaßnahmen, nicht genügend Erfolg versprechend erscheinen, erfolglos geblieben sind oder voraussichtlich nicht oder nicht rechtzeitig zum Erfolg führen werden."

Suche mit Hundertschaften, Hunden, Hubschraubern und Helfern

Die konkreten Suchaktivitäten leiten sich aus der Einschätzung der bereits genannten Umstände ab. Wie schnell und wie aufwendig so eine Fahndung werden kann, zeigt das Beispiel der achtjährigen Julia aus Berlin, die im Oktober 2021 beim Wandern mit ihrer Familie im Bayerischen Wald verloren ging. Bei nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt bestand Lebensgefahr.

Rund 1.400 Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Forstämtern suchten mit Hubschraubern, Drohnen und über 100 Hunden nach dem Mädchen – mit Erfolg. Julia wurde nach zwei Tagen von einem tschechischen Förster gefunden, völlig erschöpft und stark unterkühlt, aber sie lebte. Hätte Julia ein Handy dabeigehabt, wäre die Suche möglicherweise schneller erfolgreich gewesen.

Handyortung rechtlich möglich

Grundsätzlich stehen der Polizei bei der Vermisstensuche die Befugnisse aus dem Polizeiaufgabengesetz zur Verfügung. Im Vordergrund bei der Fahndung steht die Gefahrenabwehr, also der Schutz von Leib und Leben der verschwundenen Person. "Die Maßnahmen müssen geeignet und erforderlich sein", erklärt das BLKA. Wenn der Vermisste ein Handy bei sich habe, komme deshalb auch eine Ortung in Betracht.

Bei der Suche nach in den Bergen vermissten Wanderern wird diese Möglichkeit regelmäßig genutzt. Bei verschwundenen jüngeren Kindern wie der achtjährigen Julia scheitert die Maßnahme häufig daran, dass sie noch kein lokalisierbares Smartphone besitzen.

Private Vermisstensuche über Social Media nur nach Absprache

Die bayerische Polizei rät grundsätzlich davon ab, ohne Rücksprache mit den zuständigen Behörden eigenständig eine Vermissten-Veröffentlichung auf Social Media vorzunehmen. Die Suche über soziale Netzwerke könne ein wertvolles und geeignetes Instrument sein, heißt es im Vermissten-Leitfaden der Behörde. Allerdings gelte es, Nutzen, Risiken und Gefahren abzuwägen.

Die Polizei verfügt seit einigen Jahren selbst über eigene, reichweitenstarke Instagram-, Twitter- und Facebook-Accounts. Erscheint eine Fahndungsveröffentlichung auf einem der Polizei-Kanäle sinnvoll und zielführend, wird diese Möglichkeit genutzt. Natürlich nur nach Rücksprache mit den Angehörigen. Diese polizeilichen Tweets oder Posts könnten dann geteilt und weiterverbreitet werden, so die Empfehlung.

Straftaten selten Grund für Vermisstenfälle

Grundsätzlich seien Verbrechen als Ursache von Vermisstenfällen sehr selten, betont das BLKA. Zu diesen Straftaten gehörten Entführungsdelikte, aber auch Tötungsdelikte. Die allermeisten Vermissten werden wieder unversehrt aufgefunden. Von den bundesweit 123.595 angezeigten Vermisstenfällen im Jahr 2022 wurden lediglich 703 der gesuchten Personen tot aufgefunden. Eine entsprechende Statistik für Bayern gibt es nicht.

Die meisten Vermisstenfälle klären sich in drei Tagen

Oft liegen zwischen der Öffentlichkeitsfahndung nach einer vermissten Person und dem Widerruf, weil sie aufgefunden wurde, nur wenige Stunden. 76 Prozent der Vermisstenfälle konnten letztes Jahr nach Angaben des BLKA in weniger als drei Tagen geklärt werden – wobei ein Vermisstenfall auch dann als geklärt gilt, wenn die Person tot aufgefunden wurde. Nur von fünf Prozent der Vermissten gibt es demnach auch nach 56 Tagen noch kein Lebenszeichen.

Im Audio: 358 Kinder in Bayern vermisst (Stand: Mai 2023)

Polizeieinsatz (Symbolbild)
Bildrechte: picture alliance / pressefoto_korb | Micha Korb
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Polizei

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!