Als die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober Israel angriff, reagierte die Türkische Gemeinde in Bayern schnell. Der Verband veröffentlicht eine Pressemitteilung, in der er den "schrecklichen Angriff" verurteilt und deutlich macht, dass er bedingungslos an der Seite der jüdischen Gemeinden in Deutschland steht.
Trotzdem bleibt der Umgang mit dem Nahostkonflikt für viele Türken im Freistaat ein viel diskutiertes Thema. Das liegt auch am türkischen Präsidenten Erdogan. Der hatte die Terrororganisation Hamas vor einigen Tagen als "Gruppe von Befreiern" bezeichnet.
Generell keine Sympathie mit der radikalen Hamas
"Auch hierzulande gibt es bestimmte radikale Strömungen, die die Hamas als Befreiungsorganisation sehen", sagt Vural Ünlü, Sprecher der Türkischen Gemeinde in Bayern. "Aber das ist zum Glück nicht mehrheitsfähig."
Generell gebe es bei den Türken in Bayern nämlich keine weit verbreitete Hamas-Sympathie, stellt Ünlü klar. Allerdings nehme er durchaus eine "Grundempathie" mit der palästinensischen Bevölkerung wahr.
Präsident Erdogan positioniert sich klar
Der türkische Präsident hingegen macht inzwischen eindeutig klar, auf welcher Seite er im Nahostkonflikt steht. Dabei hatte er sich anfangs noch bemerkbar zurückgehalten. Nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel bot sich Erdogan als Vermittler an. Eine Rolle, mit der er schon im Ukraine-Krieg Erfolge vermelden konnte, und so sogar das Getreideabkommen zwischen den Kriegsparteien durchsetzte. Gerne hätte er so einen Erfolg im Nahostkonflikt wiederholt. Aber in der Praxis wurde daraus nichts.
"Es wurde schnell klar, dass Israel nicht mit Erdogan verhandeln will. Und auch die Hamas hat gesehen, dass es für sie mit Erdogan nichts zu gewinnen gibt. Erdogan stand also mit leeren Händen da", sagt Berk Esen, Professor für Politikwissenschaften an der Sabanci Universität Istanbul im Interview mit dem ARD-Studio Istanbul. "Mit einem gemäßigten Kurs konnte Erdogan international also nichts erreichen, deshalb ändert er nun seine Taktik", so Esen.
Dabei reagiert Erdogan wohl auch darauf, dass sich die Stimmung in der Türkei langsam ändert. "Als am Anfang noch 1.400 Menschen in Israel ermordet wurden, da konnte Erdogan die Hamas nicht verteidigen", sagt Prof. Ömer Taspinar vom Brookings Institute in der türkischen Politiksendung Medyascope. "Aber als sich die Umstände veränderten, als Tausende an der palästinensischen Front starben, da hat sich Erdogans Position und die der türkischen Öffentlichkeit verändert. Man darf ja nicht vergessen, Erdogan lässt ständig Meinungsumfragen durchführen. Der weiß ganz genau, woher der Wind weht."
Laut Umfrage etwas mehr als ein Drittel der Türken für Neutralität
Wie die Türken über den Nahostkonflikt denken, hat vor gut einer Woche das Institut Metropoll erfragt. Demnach wünschen sich zwar 34,5 Prozent der Befragten, dass sich die türkische Regierung neutral verhält. Gleichzeitig sprechen sich aber 18,1 Prozent für eine Unterstützung der palästinensischen Seite aus, solange man sich von der Hamas distanziert. 11,3 Prozent fordern auch eine Unterstützung der Hamas. Nur drei Prozent der Befragten wollen, dass sich die türkische Regierung hinter Israel stellt.
Erdogan bedient antiisraelische Rhetorik
Klar ist: Mit seiner antiisraelischen Rhetorik bedient Erdogan vor allem sein eigenes, konservativ-islamisches Wählerklientel. Innenpolitisch könnte ihm das nützen, denn Ende März stehen in der Türkei wichtige Kommunalwahlen an. Neu ist der türkische Umgang mit der Hamas aber nicht. In der Vergangenheit hatte Erdogan immer wieder Vertreter der Terrororganisation in seinem Präsidentenpalast empfangen – zuletzt war Ismail Haniyeh, Leiter des Politbüros der Hamas, im Juli offiziell zu Gast in der Türkei.
Erst vor knapp zwei Wochen sprach Erdogan erneut mit Hamas-Chef Haniyeh. Damals, noch ganz der Rolle des Vermittlers, forderte er in einem Telefonat Möglichkeiten für Hilfslieferungen in den Gazastreifen und warb für einen dauerhaften Frieden in der Region.
Anstehender Besuch Erdogans sorgt in Deutschland für Aufregung
Doch nun, im Nahostkonflikt, läuft es nicht wie geplant. Die Vermittlungsversuche von Erdogans Außenminister Hakan Fidan um einen Waffenstillstand bleiben offenbar hinter den Erwartungen zurück.
In Deutschland sorgt unterdessen ein möglicher Besuch von Erdogan für Aufregung - am Rande des Länderspiels gegen die Türkei in Berlin. CSU-Chef Söder sagte im Münchner Merkur, Erdogans Anti-Israel Worte seien gefährlich. Und auch Vural Ünlü von der türkischen Gemeinde Bayern hofft, dass Erdogan "diesen Nonsens nicht noch einmal auf deutschem Boden wiederholt."
Im Video: Innenministerin verbietet Hamas in Deutschland
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