Darum geht's:
- In vielen bayerischen Städten und Landkreisen ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt sehr angespannt.
- Die Zahl der ausreisepflichtigen Geflüchteten ohne Duldung, die in Privatwohnungen leben, hat – anders als behauptet – so gut wie keine Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Denn: Ausreisepflichtige leben nur in wenigen Ausnahmefällen in privaten Wohnungen.
- In Bayern fehlen laut dem Verband bayerischer Wohnungsunternehmen insgesamt 200.000 bezahlbare Wohnungen.
Fehlender Wohnraum und steigende Mieten betreffen viele Menschen in Bayern. Berechnungen des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW) zufolge fehlen in Bayern derzeit rund 200.000 bezahlbare Wohnungen.
AfD-Kandidatinnen und -Kandidaten in Bayern behaupten, dieses Problem ließe sich mit der Abschiebung Ausreisepflichtiger ohne Duldung bekämpfen. In Hessen, wo in diesem Jahr ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird, schreibt die AfD das etwas vereinfacht sogar auf ihre Wahlplakate. Katrin Ebner-Steiner, AfD-Spitzenkandidatin in Bayern, hielt zum selben Thema eine Rede im Bayerischen Landtag. Ihr Vorschlag: Statt neue Wohnungen zu bauen, setze sie auf die Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern, die sofort abgeschoben werden können. So werde Wohnraum frei. Auch in der BR24 Wahlarena wiederholte Ebner-Steiner diese Behauptung.
💡 Vollziehbar Ausreisepflichtige meist geduldet
Die meisten vollziehbar ausreisepflichtigen Personen in Bayern sind geduldet. Das bedeutet, dass sie aus "tatsächlichen" und "rechtlichen" Gründen aktuell nicht abgeschoben werden können (§ 60a AufenthG). Die Abschiebung ist also vorübergehend ausgesetzt.
Doch stimmt das, was Katrin Ebner-Steiner behauptet? Belegen Ausreisepflichtige, die sofort abgeschoben werden könnten, in Bayern zahlreiche private Wohnungen? Der #Faktenfuchs hat mit Experten gesprochen, die Situation in Bayern analysiert und stichprobenartig Zahlen für drei Landkreise und kreisfreie Städte in Bayern angesehen, in denen die Wohnungsnot besonders groß ist.
Die kurze Antwort: Die vom #Faktenfuchs befragten Experten stimmen darin überein, dass die Abschiebung Ausreisepflichtiger kaum Wohnraum in Bayern schaffen würde. Denn Ausreisepflichtige sind in Bayern im Regelfall dazu verpflichtet, in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Zwar gibt es Ausnahmen von dieser Regel (dazu später mehr), diese sind nach Einschätzung der Experten aber selten. Auch die Zahlen zu Ausreisepflichtigen in Privatwohnungen, die der #Faktenfuchs aus verschiedenen Landkreisen und kreisfreien Städten erhalten hat, sind so niedrig, dass sie die Menge der in Bayern benötigten Wohnungen kaum beeinflussen.
Die lange Antwort: So viele Ausreisepflichtige leben in Bayern
In Bayern lebten Ende Juli dieses Jahres 33.251 Menschen, die "vollziehbar ausreisepflichtig" sind. 24.802 von ihnen – also knapp 75 Prozent – sind geduldet (Stand 31.07.2023). Das teilt das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration dem #Faktenfuchs auf Anfrage per Mail mit.
Eine Duldung werde erteilt, wenn eine Abschiebung aus "tatsächlichen oder rechtlichen Gründen derzeit nicht möglich ist" – die Person also beispielsweise erkrankt ist, die notwendigen Papiere fehlen oder die Sicherheitslage im jeweiligen Land eine Wiedereinreise verhindert. Ohne eine solche Duldung leben aktuell in Bayern 8.449 vollziehbar ausreisepflichtige Menschen. Ähnliche Zahlen hat auch Ebner-Steiner in der BR24-Wahlarena genannt. Dass davon aber nur ein kleiner Bruchteil in Privatwohnungen lebt, verschweigt sie. Demgegenüber stehen die Zahlen zum fehlenden Wohnraum: Berechnungen des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW) zufolge fehlen in Bayern derzeit 200.000 bezahlbare Wohnungen.
Wie sind Ausreisepflichtige untergebracht? Der Regelfall
Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums sind Asylbewerber für die Dauer des Asylverfahrens verpflichtet, in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung – meist Sammelunterkünfte – zu wohnen. Vorgesehen ist, dass sie dort wohnen, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Entscheidung trifft. Im Falle einer Ablehnung gilt diese Pflicht bis zur Ausreise.
Zuständig für die Erstaufnahme sind in Bayern die sogenannten Ankerzentren – laut dem Mediendienst Integration, einer Informations-Plattform in Trägerschaft des Rats für Migration, meist "große Unterkünfte wie ehemalige Kasernen mit Mehrbettzimmern und Vollversorgung", die vom Freistaat betrieben werden. Asylverfahren sollen hier schneller bearbeitet werden, da verschiedene Behörden vor Ort zusammenarbeiten.
Ist eine Abschiebung nicht möglich, zum Beispiel weil die Person erkrankt ist oder die Sicherheitslage im jeweiligen Land eine Wiedereinreise verhindert, endet nach spätestens 18 Monaten die Verpflichtung, im Ankerzentrum zu wohnen; bei Familien nach sechs Monaten. Doch auch im Anschluss an diese Zeit leben ausreisepflichtige Geflüchtete im Regelfall in Gemeinschafts- oder dezentralen Unterkünften – die anders als die Ankerzentren aber nicht der Freistaat betreibt, sondern die Regierungsbezirke beziehungsweise Landkreise und kreisfreie Städte.
Im Regelfall beziehen ausreisepflichtige Geflüchtete also keine Privatwohnungen. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums seien die Gebäude, die als staatliche Asylunterkünfte in Betracht kommen, oftmals nicht mit Wohnungen für Privatpersonen vergleichbar. Es würden keine Einzelwohnungen, sondern größere Unterkünfte gesucht. Bei dezentralen Unterkünften nutzt die Stadt München beispielsweise Container.
Welche Ausnahmen gibt es?
Ausreisepflichtige können in bestimmten Fällen beantragen, aus einer Gemeinschaftsunterkunft ausziehen zu dürfen. Unter die Ausnahmen fallen vor allem Familien und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern sowie Personen, deren Asylverfahren seit vier Jahren abgeschlossen ist, die also geduldet werden. In Ausnahmefällen kann ein Auszug Personen gestattet werden, die schwanger oder krank sind. Auch Menschen, die ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten, kann in Ausnahmefällen der Einzug in eine eigene Wohnung gewährt werden.
Über den Antrag entscheidet das jeweilige Landratsamt oder die kreisfreie Stadt, in der der Antragsteller lebt, sofern der künftige Wohnsitz weiterhin im selben Landkreis beziehungsweise derselben kreisfreien Stadt liegt. In den übrigen Fällen ist die Bezirksregierung zuständig. Sie entscheidet in Absprache mit dem örtlichen Träger der Unterkunft und je nach Fallkonstellation mit der Ausländerbehörde über den Auszug. Das teilt die Bezirksregierung Oberbayern dem #Faktenfuchs auf Anfrage per E-Mail mit.
Personen ohne Duldung haben schlechtere Chancen
Das sind die rechtlichen Grundlagen. Die Praxis sieht jedoch von Ort zu Ort verschieden aus. Das bestätigen dem #Faktenfuchs sowohl Stephan Dünnwald, Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats als auch Boris Kühn von der Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim. Kühn hat für den Mediendienst Integration im Juli 2023 eine Expertise zur kommunalen Unterbringung von Geflüchteten verfasst.
Kühn sagt: Die Behörden hätten bei der Entscheidung, wer privat wohnen darf, einen Ermessensspielraum. Manche Landkreise und kreisfreie Städte legten die Regeln großzügiger aus als andere.
Ausreisepflichtige – insbesondere solche ohne Duldung, die tatsächlich unmittelbar abgeschoben werden können – hätten bei einem Antrag auf Auszug aus der Sammelunterkunft keine Chance. Auch Geduldete dürfen in der Regel nur unter besonderen Umständen ausziehen, erklärt Kühn weiter. Viel häufiger sei der gegenteilige Fall: Dass der Wohnungsmarkt so angespannt ist, dass sogar anerkannte Flüchtlinge, die eigentlich aus der Sammelunterkunft ausziehen müssten, keine Wohnung finden und deshalb weiterhin in der Unterkunft als "Fehlbeleger" geduldet werden.
Voraussetzung für die Genehmigung des Auszugs sei zudem ein vorhandener Mietvertrag, ergänzt Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat. Man müsse die Miete also vorstrecken können, bis der Antrag genehmigt wird. Auch Kühn sagt, die Wohnungssuche sei extrem schwierig. "Zur weit verbreiteten Benachteiligung wegen Namen, Herkunft, Religion – die durch eine Reihe von Studien belegt ist – kommt die Tatsache, dass kaum jemand eine Wohnung an Personen mit derart unsicherem Aufenthalt vermieten will."
Wie viele Ausreisepflichtige leben in Privatwohnungen?
Es lässt sich nicht genau sagen, wie viele Ausreisepflichtige ohne Duldung in Bayern in Privatwohnungen leben. Denn die Art der Unterbringung wird laut dem bayerischen Innenministerium im sogenannten Ausländerzentralregister nicht erfasst. Der #Faktenfuchs hat deshalb stichprobenartig Bezirksregierungen und Landkreise oder kreisfreie Städte angeschrieben, in denen die Wohnungsnot in Bayern besonders ausgeprägt ist.
Drei Beispiele, bei denen die Datenlage vergleichsweise gut ist:
Beispiel 1: Der Landkreis Landshut in Niederbayern
Auf Nachfrage des #Faktenfuchs teilt das Landratsamt mit, dass aktuell (Stand:14.09.23) keine Personen ohne Duldung, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, in privaten Unterkünften leben. Gegenwärtig gestatte die Behörde elf ausreisepflichtigen Personen mit Duldung die private Wohnsitznahme. Im Landkreis Landshut fehlten Ende 2022 laut einer Berechnung des Eduard Pestel Instituts, das Wohnungsmarkt-Analysen für Kommunen erstellt, 2.648 Wohnungen. Für manche ausreisepflichtigen Personen ist die Bezirksregierung von Niederbayern zuständig. Sie teilt dem #Faktenfuchs mit, dass in ganz Niederbayern rund 158 ausreisepflichtige Familien ohne Duldung in privaten Wohnungen leben. Zahlen für einzelne Landkreise können sie nicht nennen. In den Städten Landshut und Passau sowie den Landkreisen Landshut und Dingolfing-Landau fehlen nach Angaben des Eduard Pestel Instituts insgesamt gut 6.000 Wohnungen. Auf der anderen Seite stehen aber in der Stadt Straubing und den übrigen Landkreisen zusammen über 6.800 Wohnungen leer.
Beispiel 2: Der Landkreis Ebersberg in Oberbayern
Auch im Landkreis Ebersberg sind Wohnungen Mangelware. Laut den Berechnungen des Eduard Pestel Instituts fehlten hier Ende 2022 4.003 Wohnungen. Das Institut schränkt aber ein: Die Zahl dürfte leicht nach oben verzerrt sein, weil in die Wohnungssuchenden auch die Personen einfließen, die seit Herbst 2022 im Ankerzentrum Ebersberg untergebracht sind. Diese allerdings werden nach ihrem Auszug nicht unbedingt im Landkreis bleiben, sondern auf ganz Bayern verteilt.
Laut dem Landratsamt Ebersberg leben im Landkreis 25 Ausreisepflichtige in privaten Wohnungen. Davon seien 24 im Besitz einer Duldung. Lediglich bei einer Person liegen keine Duldungsgründe vor. Hinzu kommen die Personen, für die die Bezirksregierung zuständig ist. Diese genehmigte im Jahr 2022 zwei Anträge von Personen, die grundsätzlich zum Wohnen in einer Asylunterkunft verpflichtet sind, für den Landkreis Ebersberg. Ein weiterer Antrag befindet sich noch in der Prüfung. Ob es sich bei den drei Anträgen um Personen im Asylverfahren oder Ausreisepflichtige mit oder ohne Duldung handelt, kann die Bezirksregierung nicht sagen.
Beispiel 3: Die Stadt München
In der Stadt München werden laut Eduard Pestel Institut knapp 23.000 Wohnungen benötigt. Nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates der Stadt München haben alle 502 ausreisepflichtigen Personen, die in der Landeshauptstadt in privaten Unterkünften leben und in den Zuständigkeitsbereich der Stadt fallen, eine Duldung. Das heißt, wie erwähnt, dass sie nicht einfach abgeschoben werden können. Die Regierung von Oberbayern hat für das Jahr 2022 ergänzende Zahlen und gibt an, in diesem Zeitraum für München von 400 Anträgen auf private Wohnsitznahme 110 genehmigt zu haben. Darunter fallen den Angaben zufolge Menschen mit und ohne Duldung und Menschen, über deren Asylantrag noch nicht entschieden wurde. Wie viele Anträge, die bei der Regierung Oberbayern eingehen, auf Ausreisepflichtige ohne Duldung entfallen, ist statistisch nicht erfasst.
Die Zahlen zeigen: In jedem der untersuchten Beispiele ist der Anteil an Wohnungen, die durch ausreisepflichtige Personen ohne Duldung belegt sind, im Verhältnis zu den benötigten Wohnungen sehr gering.
Fazit
Abschiebungen haben kaum Einfluss auf den Wohnungsmarkt, da Ausreisepflichtige im Regelfall in Sammelunterkünften untergebracht sind. Nur in wenigen Ausnahmefällen können Ausreisepflichtige einen Antrag stellen, um aus einer Sammelunterkunft ausziehen zu dürfen – etwa weil sie schwanger oder schwer krank sind, weil sie minderjährige Kinder haben oder weil sie in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Personen ohne Duldung bekommen selten eine solche Ausnahmegenehmigung.
Vollständige Zahlen dazu, wie viele der 8.449 ausreisepflichtigen Personen ohne Duldung in Bayern in einer privaten Wohnung wohnen, gibt es nicht. Eine Stichprobe von drei Landkreisen beziehungsweise Städten zeigt aber, dass die Auswirkungen auf den angespannten Wohnungsmarkt in den drei untersuchten Beispielen sehr gering sind.
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