Leben mit Diabetes Typ 1 Ursachen, Symptome und Behandlung der "jugendlichen" Zuckerkrankheit

Von: Bernd Thomas und Veronika Keller

Stand: 07.11.2023

Wer bei Diabetes nur an Ältere oder Übergewichtige denkt, liegt falsch. Jährlich erkranken rund 3.000 Kinder in Deutschland neu an Diabetes, genauer an Diabetes Typ 1. Die Krankheit trifft aber auch Jugendliche und Erwachsene. Die gute Nachricht: Mit Diabetes Typ 1 lässt sich leben, sogar als international erfolgreicher Profisportler. Bestes Beispiel ist Tennisstar Alexander Zverev.

Eine Diabetikerin steuert ihre Insulin-Pumpe. Diabetes Typ 1 und 2 unterscheiden sich grundlegend. Typ 1 ist nicht heilbar und trifft vor allem junge Menschen. Nur regelmäßiges Insulin kann helfen. | Bild: BR/Johanna Schlüter

Definition: Was ist Diabetes Typ 1?

Diabetes Typ 1 ist eine von mehreren Formen des Diabetes mellitus, der Stoffwechselerkrankung mit krankhaft erhöhtem Blutzuckerspiegel. Bei Diabetes Typ 1 zerstört das Immunsystem die körpereigene Insulinproduktion. Die Krankheit Diabetes Typ 1 entsteht durch einen andauernden Insulinmangel. Von den rund 373.000 Typ1-Diabetikern sind circa 32.000 Kinder. Rund 10 bis 11 Millionen Menschen leben in Deutschland mit Diabetes mellitus, Typ 1, Typ 2 und einigen weiteren, seltenen Formen.

Ursachen: Wie entsteht Diabetes Typ 1?

Diabetes Typ 1 entsteht durch eine Fehlfunktion des eigenen Immunsystems, die oft schon Jahre vor den ersten Symptomen beginnt. Typ 1 Diabetes ist eine sogenannte Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem soll fremde Keime abwehren. Doch bei Diabetes Typ 1 zerstört das Immunsystem die körpereigenen, gesunden Zellen der Bauchspeicheldrüse, die das Hormon Insulin herstellen, die Beta-Zellen. Die gehören zu den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse. Schließlich werden nur noch geringe Mengen oder gar kein Insulin mehr gebildet. Diabetes Typ 1 bildet sich aus. Schon bevor es zu ersten Symptomen kommt, lässt sich Diabetes Typ 1 durch einem Bluttest erkennen. Finden sich bestimmte Autoantikörper im Blut, weist das auf beginnenden Diabetes Typ 1 hin. Autoantikörper sind Eiweiße des Immunsystems, die körpereigene Zellen attackieren. Noch gibt es kein flächendeckendes Screening bei Kindern mit einem solchen Test.

Möglicher Trigger: Infektionen und Diabetes Typ 1   

Prof. Dr. med. Anette Ziegler. Diabetes Typ 1 und 2 unterscheiden sich grundlegend. Typ 1 ist nicht heilbar und trifft vor allem junge Menschen. Nur regelmäßiges Insulin kann helfen. | Bild: BR

"Warum die Krankheit entsteht, das wissen wir noch nicht wirklich. Wahrscheinlich spielen mehrere Faktoren zusammen. Wir haben immer mehr Hinweise darauf, dass wahrscheinlich frühkindliche Virusinfektionen zumindest ein Faktor sind, die diese Autoimmunität triggern können."

Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin am Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Munich

Hintergrundwissen: Insulin und Diabetes

Unser Zuckerstoffwechsel gleicht natürliche Schwankungen des Blutzuckerspiegels schnell aus. Denn Zucker, genauer Glukose, liefert den Zellen Energie, die sie zum Leben brauchen. Essen wir, wird das Homon Insulin ausgeschüttet. Gebildet wird es in der Bauchspeicheldrüse. Es sorgt dafür, dass Zellen Glukose aus dem Blut aufnehmen. Fehlt Insulin oder ist dessen Wirkung auf Dauer zu gering, erhöht sich der Blutzuckerspiegel. Die Stoffwechselkrankheit Diabetes entwickelt sich.  

Folgen: Das kann bei Diabetes Typ 1 passieren

Wie bei allen Diabetesformen kann es auch bei unbehandeltem Typ 1-Diabetes zu lebensgefährlichen Akutsituationen, Schäden an Gefäßen und Nerven, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Versagen von Organen kommen. Im Extremfall verläuft die Krankheit tödlich. Oft wird die Krankheit erst entdeckt, wenn Schäden auftreten. Diabetes-Typ 1 und Typ 2 beginnen schleichend und haben teilweise dieselben Symptome. Werden die übersehen, kann das für Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1 schnell gefährlich werden. Bei ihnen kann es rasch zu lebensbedrohlichen Entgleisungen des Blutzuckers kommen. Organe können so dauerhaft geschädigt werden.

Video: Diabetes Typ 1- Früherkennung bei Kindern

Gefährliche Symptome: Darauf solltet ihr achten!

Mädchen trinkt aus einem Wasserglas. Diabetes Typ 1 und 2 unterscheiden sich grundlegend. Typ 1 ist nicht heilbar und trifft vor allem junge Menschen. Nur regelmäßiges Insulin kann helfen. | Bild: colourbox.com

Starker Durst ist ein Symptom von Diabetes Typ 1.

Diese Symptome können auf Diabetes Typ 1 hindeuten:

  • Starker, andauernder Durst
  • erhöhter Harndrang
  • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
  • Gewichtsabnahme
  • Schlechte Wundheilung
  • trockene Haut
  • Sehstörungen

Wenn ihr diese Symptome beobachtet, unbedingt zum Arzt gehen und abklären lassen. Dort werden die Blutzuckerwerte dann oft mehrmals gemessen. Da mit einem Urintest und dem Messen des Blutzuckerlangzeitwertes, des so genannten HbA1c-Wertes, ein früher Diabetes Typ 1 nicht eindeutig erkannt werden kann, gibt es die Möglichkeit, den Bluttest zur Bestimmung der Inselautoantikörper zu machen.

Diabetes Typ 1 und Typ 2: Die Unterschiede auf einen Blick

Unterschiede gibt es bei der Entstehung, bei Therapie und Heilungschancen von Diabetes Typ 1 und Typ 2:

Diabetes Typ 1

  • Insgesamt rund 373.000 Menschen in Deutschland leben mit Diabetes Typ 1. Die meisten Patienten erkranken schon zwischen zehn und vierzehn Jahren, einige schon früher, manche aber auch erst als Erwachsene. Es kann jeden treffen. Nur rund 10 Prozent der Erkrankten haben Verwandte, die ebenfalls Diabetes Typ 1 haben. Die Zahl der Diabetiker Typ 1 nimmt in den letzten Jahren zu. Welche Faktoren dafür verantwortlich sind, ist noch nicht klar.
  • Diabetes Typ 1 hat nichts mit einem ungesunden Lebensstil zu tun, sondern mit einer Fehlfunktion des Immunsystems. Die Folge: Es wird immer weniger Insulin gebildet, bis es schließlich zu ersten klinischen Symptomen kommt. Diabetes Typ 1-Patienten müssen deshalb ihr Leben lang Insulin spritzen, damit ihr Zuckerstoffwechsel funktioniert.
  • Diabetes Typ 1 ist bisher nicht heilbar.
  • Wird das Risiko für eine Diabetes Typ 1-Erkrankung frühzeitig, am besten schon im frühen Kindesalter, durch einen Bluttest erkannt, lässt sich der Ausbruch der Krankheit manchmal hinauszögern. Noch gibt es kein Screening. Bekannt ist: Einmal begonnen, kann die fortschreitende Autoimmunerkrankung bestenfalls aufgehalten werden. Je später erste klinische Symptome auftreten und je mehr Reste an Insulin produzierenden Zellen erhalten bleiben, desto günstiger ist die Prognose, was Folgeschäden und Lebenserwartung betrifft. Die Therapie mit Insulin ist spätestens mit Beginn klinischer Symptome für alle Patienten lebensnotwendig.

Die Zahl der Patienten mit Diabetes Typ 2 steigt in den letzten Jahren deutlich an. Dabei könnten viele die Krankheit und auch ernste gesundheitliche Folgen selbst verhindern.

Diabetes Typ 2

  • Die insgesamt circa 9 Millionen Diabetes Typ 2-Patienten sind meist älter, obwohl inzwischen auch immer mehr Jugendliche und sogar schon Kinder daran erkranken.  
  • Bei Diabetes Typ 2 ist das Hormon Insulin zumindest am Anfang ausreichend vorhanden, doch die Wirkung des Insulins nimmt mit der Zeit ab.
  • Grund für die so genannte Insulinresistenz der Zellen sind unter anderem erbliche Veranlagung und Lebensstilfaktoren wie zu wenig Bewegung, einseitige Ernährung oder auch starkes Übergewicht.
  • Die Bauchspeicheldrüse versucht das zunächst durch gesteigerte Insulinproduktion auszugleichen.
  • Durch konsequente und grundlegende Änderungen des Lebensstils kann ein beginnender Diabetes Typ 2 manchmal wieder geheilt werden. Auch wenn die Krankheit schon ausgebildet ist, haben geänderte Lebensstilfaktoren wie eine ausgewogene Ernährung oder mehr Bewegung oft positive Effekte auf den weiteren Verlauf.
  • Schreitet die Krankheit fort, kann die Insulinproduktion nachlassen und ganz versiegen. Spätestens dann müssen auch Diabetiker Typ 2 Insulin spritzen.  

Diabetes Typ 1: Therapie mit Insulin

Die einzige Therapie für Diabetes Typ 1-Patienten ist die regelmäßige und lebenslange Gabe von Insulin. Das können sie sich entweder selbst ins Unterhautfettgewebe zum Beispiel am Bauch oder Oberschenkel spritzen oder dazu eine kleine Insulinpumpe nutzen. An regelmäßig wechselnden Körperstellen wird dazu eine Kanüle gelegt. Eine solche Pumpe ist oft Teil eines Insulinmanagement-Systems: Ein Sensor am Arm, auf dem Bauch oder dem Oberschenkel misst kontinuierlich den Zuckerwert. Die Pumpe berechnet daraufhin die nötige Insulinmenge und gibt sie ab.
Allerdings müssen Typ 1-Diabetiker trotzdem jedes Mal, wenn sie etwas essen, manuell eingeben, wieviel Gramm Kohlenhydrate sie zu sich nehmen. Das bedeutet, sie müssen lernen oder nachschlagen, wieviel Kohlenhydrate in den jeweiligen Lebensmitteln enthalten sind. Das dazu nötige Insulin muss dann vor dem Essen gespritzt werden, damit der Blutzuckerspiegel nicht entgleist.

Alltag mit Diabetes Typ 1: Wissen rettet Leben

Deutlich zu hohe oder zu niedrige Blutzuckerwerte müssen Typ 1-Diabetiker unbedingt vermeiden: Über- und Unterzuckerungen können gefährlich werden. Deshalb werden Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1 und deren Familien nach der Diagnose in Kliniken medizinisch geschult und danach regelmäßig von Diabetologinnen untersucht. Sinnvoll ist eine Schulung schon dann, wenn ein Bluttest zur Früherkennung, der ab circa vier Jahren möglich und sinnvoll ist, Hinweise auf eine Diabtes Typ1-Erkrankung gibt, obwohl noch keine klinischen Symptome aufgetreten sind. Denn Bescheid zu wissen, wie reagiert werden muss, kann Leben retten. Je weniger es zu gefährlichen Entgleisungen des Blutzuckers kommt, desto sicherer lassen sich mögliche Folgeschäden, etwa an Gefäßen, Nerven und Organen, einschließlich des Gehirns, vermeiden.

Hintergrundwissen: gefährliche Über- und Unterzuckerung bei Diabetes Typ 1

Eine Unterzuckerung oder Hypoglykämie kann leicht bei Anstrengungen vorkommen, aber auch zum Beispiel im Schlaf. Die Symptome sind unterschiedlich und reichen von:

  • Heißhunger,
  • Zittern und Schwitzen über
  • Schwindel,
  • Sprach- und Sehstörungen, bis hin zu
  • Bewusstlosigkeit und Krämpfen.

Um das zu verhindern, braucht es Kohlenhydrate, die schnell ins Blut gehen, zum Beispiel Traubenzucker, Gummibärchen oder eine reife Banane. Sinnvoll ist, eine Notfalltasche mit "schnellen" Zuckern dabei zu haben und das Umfeld zu informieren, was im Notfall passieren muss. Im Extremfall helfen Nasensprays und -spritzen mit dem Hormon Glukagon, das als Gegenspieler des Insulins die Freisetzung von Glukose aus der Leber anregt.

Eine milde Überzuckerung oder Hyperglykämie lässt sich mit Insulin korrigieren. Bei starkem Insulinmangel droht aber eine Ketoazidose, die mit sehr hohen Blutzuckerwerten verbunden ist. Der Körper kann den Zucker nicht aus dem Blut in die Zellen transportieren. Er greift auf die Energie der Fettreserven zurück, was zu einer Übersäuerung des Blutes führen kann – einer Ketoazidose. Die gefährlichen Folgen sind Austrocknung und Kreislaufversagen.
Nötig sind viel Flüssigkeit und ärztliche Hilfe. Ohne Behandlung kann es zu einem gefährlichen, diabetischen Koma kommen, das tödlich enden kann.

Anzeichen einer Ketoazidose sind

  • Bauchschmerzen,
  • Übelkeit und Erbrechen,
  • ein süßlich riechender Atem und
  • eine vertiefte Atmung.

Grundsätzlich gilt bei Notfällen, wie einer starken Unter- oder Überzuckerung mit Sprach- oder Sehstörungen, Übelkeit und Erbrechen: Den Notarzt rufen.

Diabetes Typ 1 und Ernährung: Naschen erlaubt

Ausgewogen und abwechslungsreich soll die Ernährung sein, spezielle Diäten braucht es nicht. Auch Süßigkeiten sind erlaubt - vorausgesetzt es gibt die richtige Dosis Insulin dazu. Diese berechnet sich aus der Menge der enthaltenen Kohlenhydrate und dem aktuellen Blutzuckerwert. So eine Einheit, passend vor der Mahlzeit gegeben, heißt Bolus. Das bedeutet aber, dass die geplante Portion auch wirklich aufgegessen werden muss. Denn sonst kommt es leicht zur Unterzuckerung.

Früherkennung von Diabetes Typ 1: Höhere Lebenserwartung

Menschen mit Diabetes Typ 1 haben bisher statistisch gesehen eine um einige Jahre geringere Lebenserwartung als die Allgemeinbevölkerung. Das besagen Studien, die Daten der vergangenen Jahrzehnte auswerten. Doch je mehr und je früher Kinder auf ein Diabetes Typ 1-Risiko untersucht werden, umso effektiver lässt sich ihre Gesundheit langfristig schützen. Wenige Tropfen Blut reichen dafür aus, und das Jahre bevor Symptome auftreten. Werden Betroffene gezielt behandelt, ihre Werte regelmäßig kontrolliert und überwacht, kann der Beginn der Krankheit manchmal hinausgezögert werden. Den Familien bleibt Zeit, sich auf die kommende Erkrankung vorzubereiten und bleibende Gesundheitsschäden durch akute Zuckerentgleisungen können verhindert werden. Wichtige Voraussetzungen für ein langes und gesundes Leben mit Diabetes Typ 1.

Mit Diabetes Typ 1: Spitzensport auf Weltniveau

24.07.2023, Hamburg: Tennis: Hamburg European Open (ATP-Turnier), Tennisstadion Rothenbaum. Alexander Zverev begrüßt Jungen und Mädchen bei einer Aktion seiner Stiftung zur Unterstützung an Diabetes (Typ 1) erkrankter Kinder. Diabetes Typ 1 und 2 unterscheiden sich grundlegend. Typ 1 ist nicht heilbar und trifft vor allem junge Menschen. Nur regelmäßiges Insulin kann helfen. | Bild: dpa-Bildfunk/Frank Molter

Tennisstar Alexander Zverev ist seit seinem vierten Lebensjahr Typ 1 Diabetiker. Er hat eine Stiftung für Diabtes Typ 1-Kinder ins Leben gerufen.

Sport und Höchstleistungen mit Diabetes Typ 1? Eine echte Herausforderung, aber kein Widerspruch, obwohl beim Sport der Blutzuckerspiegel schnell und stark sinken kann und das Risiko einer Unterzuckerung höher ist. Besonders wichtig ist, die Werte im Auge zu behalten oder anders gesagt, Insulinrate und Nahrungsaufnahme anzupassen. Wie erfolgreich das funktionieren kann, dafür ist Tennisstar Alexander Zverev das beste Beispiel. 2022 hat er seine Diabetes Typ 1-Erkrankung öffentlich gemacht. Die Diagnose bekam er schon als Vierjähriger. Während seiner Matches hilft ihm heute ein Sensor. Ist der Wert niedrig, nimmt er kohlenhydrathaltige Getränke oder Energy-Gels. Ist er zu hoch, spritzt er Insulin.
Übrigens: Auch Wassersport ist möglich - selbst mit Insulinpumpe. Manche Modelle können mit ins Wasser, andere werden für eine begrenzte Zeit abgenommen. Dann wird vorher und nachher der Zuckerwert kontrolliert.