Bioplastik Echte Alternative oder neues Problem?

Von: Heike Westram

Stand: 27.07.2021

Bioplastik wird immer beliebter und häufiger verwendet. Aber oft ist der Bio-Kunststoff gar nicht "bio" - weder nachhaltig noch umweltverträglich. Biobasiert und/oder biologisch abbaubar - wo Bioplastik eine echte Alternative sein kann.

Collage zu Bio-Kunststoffen. Bioplastik hat viele Gesichter: Vom Bambus-Becher über die kompostierbare Mülltüte. Doch wie nachhaltig ist Bio-Kunststoff wirklich? Welche verschiedenen Arten gibt es und woran erkenne ich die? | Bild: dpa/Zacharie Scheurer, European Bioplastics e.V., BR/Johanna Schlüter, BR/Lisa Hinder, Collage: BR

Bioplastik: Was ist das eigentlich?

Als Bioplastik werden sowohl Kunststoffe bezeichnet, die biologisch abbaubar sind, als auch Kunststoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurden (Biopolymere). Diese müssen nicht zwangsläufig biologisch abbaubar sein - etwa Naturfaser-Harz-Gemische für Kaffeebecher aus Biokunststoff. Bioplastik ist kein geschützter Begriff!

gute Idee: Mulchfolie aus Biokunststoff

Salatanbau auf Mulchfolie. Inzwischen gibt es biologisch abbaubare Mulchfolie aus Bioplastik. | Bild: picture alliance/imageBROKER

In der Landwirtschaft wird viel Plastik eingesetzt, das auf den Feldern verbleibt, - etwa bei Depot-Düngern oder Mulchfolien

Immer wieder sind in der Landwirtschaft Hilfsmittel im Einsatz, bei denen Plastik in den Boden eingebracht wird und dort manchmal auch einfach bleibt - etwa Kunststoffhüllen mit Depot-Dünger, die ganz allmählich auf dem Acker zu Mikroplastik zerfallen und verboten werden sollen. Mulchfolien dagegen gibt es bereits aus "im Boden bioabbaubaren Kunststoff" - mit Siegel. Da bleibt am Ende wirklich nichts mehr übrig, was nicht in die Erde darf.

Bambus-Becher & Co: Mehr drin, als erhofft

Kennt man doch: Da steht dieses meist niedlich gefärbte, super-leichte und geschmackvolle Geschirr im Laden, Schüsselchen, Teller und Becher - und dann ist das auch noch aus Bambus! Da sieht man doch gleich den Koala vor sich, ach nein, der Panda war's. Und der Panda, der steht doch für Umweltschutz, nicht?

Bambus-Becher sind im Trend als Bioplastik. Doch biologisch abbaubar sind diese biobasierten Kunststoffe nicht.  | Bild: picture alliance / dpa Themendienst

Bambus-Becher - eine Mogelpackung?

Aber: Von wegen! Für den großartigen Naturstoff Bambus ist das Ende als Kaffeebecher vermutlich das unrühmlichste. Der Bambus-Becher ist nicht biologisch abbaubar. Damit er so schön bunt und dabei noch spülmaschinenfest ist, sind Melaminharze als Klebstoff drin. Und - wie die Stiftung Warentest im Sommer 2019 feststellte - oft genug auch Schadstoffe, die etwa jeder zweite Bambusbecher ans Getränk abgibt.

Dazu kommt, dass der Bambus bei uns ja nicht gerade reichlich wächst, sondern in großen Mengen aus China importiert werden muss.

Video: Wie bio ist die Biotüte?

Zitat: Weniger nachhaltig als normales Plastik

"Ein Bambus-Kunststoffbecher ist meist nicht mal so nachhaltig wie ein reiner Kunststoffbecher. Denn diesen Kunststoff kann ich am Ende wieder recyceln, weil er sortenrein ist. Bei den Mischungen aus Bambus, Maisstärke und Melamin geht das nicht. Die können nur verbrannt werden."

Uwe Lauber, Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt in Stuttgart

Aufgezeigt: Einteilung der Bio-Kunststoffe

Bioplastik – biobasiert und/oder biologisch abbaubar | Bild: IfBB, Hochschule Hannover | Grafik: Bayerischer Rundfunk

Biobasiert oder biologisch abbaubar?

biobasiert:

  • besteht (z.T.) aus Biomasse (Zucker, Stärke oder Pflanzenfasern) oder Bio-Polymeren, die z.B. von Algen oder Bakterien erzeugt wurden
  • kann mit erdöl-basiertem Kunststoff vermengt sein ("Blends")
  • kann Harze und andere Stoffe enthalten
  • kann biologisch abbaubar sein
  • nur 23,2% der biobasierten Kunststoffe sind biologisch abbaubar (Stand: 2016)
  • nicht immer recyclebar, außer in Verbrennungsanlagen

biologisch abbaubar:

  • zersetzt sich im Boden oder beim Kompostieren zu mind. 90 % in Wasser, Sauerstoff, CO2 und Humus
  • manchmal aber nur unter Industrie-Bedingungen wie Kompostieranlagen
  • manchmal zu langsam für Kompostieranlagen
  • kann, muss aber nicht biobasiert sein
  • auch erdölbasierter Kunststoff ist u.U. biologisch abbaubar

Wichtig für die Abbaubarkeit eines Kunststoffes ist nicht sein Ausgangsmaterial, sondern die chemische Struktur des Stoffes: Biobasiertes Plastik wie Bio-PET oder Bio-PVC verhält sich wie synthetisch erzeugtes Plastik.
Neuartige Biopolymere wie etwa PLA (Polylactide aus Zucker), die für Verpackungsfolien oder Plastikflaschen verwendet werden, sind dagegen biologisch abbaubar, solange sie nicht mit anderen Kunststoffen vermengt werden.

gute Idee: Nylonstrümpfe vom Bauernhof

Bioplastik aus Chicorée: Wissenschaftlern der Universität Hohenheim ist es gelungen, aus Chicorée-Wurzeln HMF und PEF zu erzeugen - Biokunststoffe, mit denen beispielsweise biobasierte Plastikflaschen oder Nylonstrümpfe hergestellt werden können. | Bild: Universität Hohenheim

An der Universität Hohenheim werden aus Chicorée-Wurzeln Biokunststoffe erzeugt - für Plastikflaschen oder Nylonstrümpfe.

Ok, Plastikflaschen könnte man komplett vermeiden, wenn man stattdessen etwas mehr schleppt. Aber auf Nylonstrümpfe verzichten? Könnte für manche und manchen ein herber Verlust sein.

An der Universität Hohenheim wird ein biobasierter Kunststoff aus landwirtschaftlichen Resten hergestellt: Nach der Ernte von Chicorée beispielsweise bleiben europaweit rund 800.000 Tonnen der Wurzeln als Abfall übrig. Aus den Chicorée-Rüben lässt sich Inulin gewinnen, ein Vielfachzucker. Und daraus erzeugen die Wissenschaftler das Biopolymer Hydroxymethylfurfural (HMF) - eine Basischemikalie für Kunststoff.
An den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung (DITF) wird aus dem gewonnenen HMF der Kunststoff PEF erzeugt - zu 100 Prozent biobasiert.

Dieser Kunststoff ist Ressourcen-schonend hergesellt: Weder fließt Erdöl in das Biopolymer, noch wird zusätzliche Landmasse für den Anbau verbraucht. Je nach Verarbeitung könnte das Endprodukt auch biologisch abbaubar sein. Doch an der Universität Hohenheim zielt man darauf ab, dass der Kunststoff am Ende wiederverwertbar ist.

Ende 2018 eröffnete die Universität Hohenheim eine kleine Bioraffinierie, in der die Kunststoffbasis HMF aus Chinagras erzeugt wird. Seit April 2021 arbeitet die Universtität mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zusammen, um eine Bioraffiniere-Farm zu entwickeln, in der der Bio-Kunststoff nachhaltig und abfallfrei erzeugt werden kann - inklusive Energiegewinnung in Biogasanlagen und einem wertvollen Nebenprodukt: nährstoffreichen Dünger aus den Pflanzenresten.

Zitat: Recycelbar statt abbaubar

"Wir machen KEINE biologisch abbaubaren Kunststoffe, sondern recycelbare. Es ist nämlich wesentlich umweltfreundlicher, Kunststoffe wieder zu verwenden, als sie zu kompostieren. Und Kunststoffe, die man kompostieren kann, kann man nicht recyceln.
Man kann aber, wenn man will, PEF biologisch abbaubar machen. Wenn man denn unbedingt will. Allerdings müssen Sie dann Ihre Kleidung (hier wäre das eine Jacke oder Mantel)  sehr trocken lagern und schnell verbrauchen. Und bitte auch nicht zu sehr schwitzen! :-)"

Prof. Dr. Andrea Kruse, Institut für Agrartechnik, Universität Hohenheim, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, Oktober 2020

youtube Bioplastik-Schüsselchen DIY

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Make your very own bioplastic bowl! | Bild: ScienceLuxembourg (via YouTube)

Make your very own bioplastic bowl!

Rezept: Koch dein eigenes Bioplastik!

1 EL Stärke
1 TL Essig
4 EL Wasser
1 TL Glycerin (aus Apotheke oder Drogeriemarkt, bevorzugt aus pflanzlichen Fetten)

Quelle: Science Luxemburg

Grundstoffe mit dem Schneebesen gründlich mischen und bei mittlerer Hitze in einem Topf erhitzen. Dabei immer weiter rühren, bis der Brei deutlich eindickt.
Masse in Förmchen füllen oder auf einem Blech ausrollen und trocknen lassen. Fertig!

UND: nicht nur biobasiert, sondern vollständig biologisch abbaubar.

Experte: Kunststoff-Müllberge

"Ein viel größeres Problem haben wir damit, dass gut fünfzig Prozent der jemals produzierten Kunststoffmenge auf Deponien irgendwo auf der Welt lagern, die sich langsam in die Welt verbreiten - als Mikroplastik oder sonstige Plastikfragmente, die kontinuierlich unsere Welt zumüllen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Kunststoffe erzeugen und verwenden, die zumindest aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, aber unbedingt biologisch abbaubar sein müssen."

Professor Cordt Zollfrank, TUM Campus Straubing

gute Idee: Leckere Teller aus Weizenkleie

Teller aus Weizenkleie: Weizenkleie fällt als Nebenprodukt bei der Mehlgewinnung und gilt eher als Abfallprodukt. Der polnische Müller Jerzy Wysocki presst die Kleie zu Tellern, die Einwegteller aus Plastik ersetzen können. Sie sind nicht nur biologisch abbaubar, sondern auch essbar. Und sie duften, so der Müller. | Bild: picture alliance

100 % biologisch abbaubar - und essbar: Teller aus Weizenkleie

Teller aus Weizenkleie: Weizenkleie fällt als Nebenprodukt bei der Mehlgewinnung und gilt eher als Abfallprodukt. Der polnische Müller Jerzy Wysocki presst die Kleie zu Tellern, die Einwegteller aus Plastik ersetzen können. Sie sind nicht nur biologisch abbaubar, sondern auch essbar. Und sie duften, so Wysocki in einem Interview mit dem rbb im Februar 2020: "Nach der ersten Pressung wusste ich: Das ist es! Wie der Teller roch, wie schön er war!" Die Teller bestehen allerdings streng genommen nicht aus Biokunststoff. Trotzdem oder gerade deshalb eine echte Alternative zu Plastik-Einweg-Geschirr.

Bio-Plastik-Müll: Biotonne oder gelber Sack?

  • Derzeit leider meistens: weder noch!
Plastik in der Biotonne | Bild: mauritius-images

Bioplastik in die Biotonne?

Nicht in die Biotonne oder den Kompost
Biobasierte Kunststoffe sind größtenteils überhaupt nicht biologisch abbaubar und gehören daher weder auf den Kompost noch in die Biotonne. Biologisch abbaubare Kunststoffe zersetzen sich häufig erst bei hohen Temperaturen, wie sie industrielle Kompostieranlagen bieten, aber nicht der heimische Kompost. Für die industriellen Kompostieranlagen braucht das bioabbaubare Plastik aber oft zu lange.

Müllsäcke hängen an Jägerzaun | Bild: picture-alliance/dpa

Biobasierter Kunststoff wird derzeit meist nicht recycelt

Nicht zum Wertstoff-Recycling
Auch im gelben Sack oder der gelben Tonne ist Bioplastik derzeit noch nicht gut aufgehoben. Zwar können biobasierten Kunststoffe recycelt werden - auch zu neuem Granulat und nicht nur neuen Parkbänken. Dazu muss allerdings der Kunststoff sortenrein sein, keine Mischung. Und das Bioplastik müsste dann von den Infrarot-Sortiermaschinen erkannt werden. Solange der Anteil an Bioplastik immer noch so gering ist, rechnet sich die Wiederverwertung und dafür notwendige Umrüstung für die Abfallwirtschaft nicht, erklärte ein Entsorgungsunternehmen in Moosburg an der Isar im Juli 2020 dem Bayerischen Rundfunk.

Bioplastik landet als Restmüll in der Verbrennung und gehört in die Restmülltonne. Das wird übrigens oft auch als Recycling bezeichnet, denn es entsteht ja Energie durch die Verbrennung. Naja.

Video: Verbrannt statt kompostiert

Nachgefragt: Spart Bioplastik CO2?

Tatsächlich könnte man biobasierte Kunststoffe als CO2-Senke betrachten, also als etwas, das Kohlendioxid aufnimmt und speichert und damit die Atmosphäre und das Klima entlastet. Beispiel Green-PE: Das ist eine Polyethylen-Folie, die nicht auf Erdöl basiert, sondern aus Zuckerrohr hergestellt wird. Im Zuckerrohr ist - wie in jedem Baum und jeder Pflanze - CO2 gebunden. Laut Herstellerangaben stecken damit in jedem Kilogramm Green-PE-Folie drei Kilogramm Kohlendioxid.

Allerdings natürlich nur so lange, bis die Folie sich entweder zersetzt hat oder auf der Müllkippe verbrannt wurde - dann wird all das CO2 wieder frei.

Schau genau: So erkenne ich die verschiedenen Bio-Kunststoffe

Pro & Contra: Weniger Plastikmüll im Meer dank Bioplastik?

Pro
"Der Weg, den wir hier gehen, ist: Kunststoffe aus biologischen Materialien zu produzieren, die in wenigen Wochen abgebaut sind und damit gar nicht erst ins Meer gelangen." Thomas Brück, TU München, Werner Siemens-Lehrstuhl für Synthetische Biotechnologie

Contra
"Selbst wenn ich einen Stoff finde, der hinterher tatsächlich von den Mikroorganismen komplett zu Wasser und CO2 verstoffwechselt wird, heißt das nicht, dass auf dem Weg dorthin nicht eben doch Mikroplastik oder kleinste Fragmente entstehen können." Hanna Behnsen, Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik, Hochschule Hannover

Greenwashing: Das gute "Bio"-Image

In den vergangenen Jahren ist die Menge an produzierten Bio-Kunststoffen laufend gestiegen. 2018 wurden weltweit 3,4 Millionen Tonnen biobasierte Kunststoffe erzeugt. Die Menge an biologisch abbaubarem Plastik ist dagegen fast gleich geblieben. Aber die Vorsilbe "bio" kann den Verbraucher täuschen, etwa, wenn bei Bio-PE-Folie eine Schicht Aluminium zwischen zwei Schichten Bioplastik liegt und auf der Verpackung trotzdem steht: "zu 80 Prozent aus Biomasse". Klingt gut, hilft aber vor allem dem Image des Anbieters.

Plastik aus Öl ist pfui, Kunststoff aus Pflanzen ist hui

Im September 2020 veröffentlichte das nova-Institut eine tiefenpsychologisch basierte Verbraucher-Studie zu Bio-Kunststoffen. Es zeigte sich, dass der Begriff Kunststoff negativ besetzt ist: Kunststoffe werden als "schlecht" wahrgenommen und töten die Tiere im Meer. Doch wenn der Rohstoff wechselt, wechselt auch das Image: Bambus ist toll, der Bambus-Becher also auch. "Auf diese Weise werden in den Köpfen der Verbraucher die Eigenschaften der Rohstoffe direkt auf die Endprodukte übertragen. Eigenschaften der Pflanzen werden auch für die Endprodukte erwartet," heißt es in der Studie.

Zitat: Ein gutes Gefühl

"Bioplastik gibt den Leuten ein gutes Gefühl: Viele würden das Einweg-Besteck ablehnen, tun es aber nicht bei der vermeintlichen biologischen Abbaubarkeit. Am Ende führt das vielleicht dazu, dass die Leute mehr für solche Einweg-Produkte bezahlen. [Bioplastik] ist sehr lukrativ für die KunststoffIndustrie und die Verpackungshersteller, führt aber dazu, dass noch mehr Plastik in der Umwelt landet."

Thomas Fischer, Deutsche Umwelthilfe e.V.

gute Idee: Biobasiert und gar kein Kunststoff

Einwegbesteck aus Holz. Wenn schon Einweg, dann aber richtig bio. | Bild: picture-alliance

Einwegbesteck aus Holz: noch besser als aus biobasiertem Kunststoff