Syrien-Rückkehrer aus der Oberpfalz Zwei mutmaßliche Terrorhelfer einer Islamisten-Gruppe vor Gericht

Immer wieder sind in den letzten Jahren Männer aus dem Raum Weiden nach Syrien zu Terrorgruppen ausgereist. Zwei mutmaßlichen Rückkehrern wird nun der Prozess gemacht. Einer von ihnen soll für den Dschihad rekrutiert haben. Die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München ist trauriger Höhepunkt eines Familiendramas.

Von: Joseph Röhmel

Stand: 27.03.2018 | Archiv

Bild: picture-alliance/dpa

Ende Mai 2017 nehmen Spezialkräfte der Polizei in Neustadt an der Waldnaab den 38-jährigen Türken Fatih K. fest – ein mutmaßlicher Ex-Kämpfer einer Terrorgruppe in Syrien. Mehrere Wohnungen werden durchsucht – auch in Österreich, wo die Mutter von Fatih K. lebt. Mit dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden ist die Frau offensichtlich gar nicht einverstanden. Sie meldet sich in einem Facebook-Video zu Wort. In diesem wirkt die ältere Dame gebrechlich, weint und klagt an: "Mein Sohn Fatih ist ein braver. Warum seid ihr hinter ihm her?"

Bei den "Soldaten Syriens"

Seit der Aktion vom Mai sitzt der 38-jährige Fatih K. in Untersuchungshaft. Er muss sich seit heute gemeinsam mit dem 26-jährigen Türken Abdullah Ka. vor Gericht verantworten. Abdullah Ka., der sich auf freiem Fuß befindet, kommt ebenfalls aus Neustadt und soll sich 2013 mit Fatih K. in Syrien aufgehalten haben - bei der "Junud al Sham", zu deutsch "die Soldaten Syriens", eine Al-Kaida-nahe Dschihadisten-Gruppe.

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat und unerlaubter Besitz von Kriegswaffen legt die Generalstaatsanwaltschaft München den Männern zur Last. Ihnen drohen langjährige Haftstrafen.

Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft München ist Fatih K. noch einmal 2014 ohne Abdullah Ka. in Syrien gewesen. Er habe, so der Vorwurf, den Umgang an der Kriegswaffe gelernt und auch an Kampfhandlungen teilgenommen.

Fatih K. ein Rekrutierer?

Beim Prozess dürfte es auch um die Frage gehen, aus welchem Grund die beiden Angeklagten Abdullah Ka. und Fatih K. in Syrien waren. Wurden sie zum Dschihad verführt oder waren sie selbst Verführer?

Terrorfürst Muslim Abu Walid al-Shishani, Führer der Junud al-Sham, inmitten von Kindern. Bild: keine Namensnennung

Um diese Frage zu beantworten, braucht es auch Verständnis, wer hinter der "Junud al Sham" in Syrien steckt. Führer der Gruppe ist Muslim Margoshvili, der den Kampfnamen "Muslim Abu Walid al-Shishani" trägt. Einst absolvierte der Georgier in der russischen Armee eine Ausbildung. Später kämpfte er in Tschetschenien gegen die Russen. Seit 2012 tötet der Terrorfürst in Syrien und bildet sich ein, er mache das alles im Namen Allahs. Auf einem Video zeigt er sich mit Kindern im Grundschulalter, die schwere Waffen tragen und den Terroristen feiern.

Der Dschihadist mit dem langen roten dichten Vollbart ist für militante Salafisten weltweit ein Vorbild - eine Vaterfigur, der junge Männer und Kinder zu Kämpfern machen will.    

Eine Moschee in Weiden und der Syrien-Konflikt

Auch Fatih K. aus der Oberpfalz soll nach BR-Informationen ein großer Fan von Terrorfürst Muslim Abu Walid al-Shishani gewesen sein. Fatih K. versuchte offenbar, Mitglieder für die "Junud al-Sham" zu rekrutieren. Doch wo hat er rekrutiert? Im Fokus der Ermittler war und ist auch eine Moschee in Weiden, die der Verfassungsschutz als salafistisch einstuft. Der Bayerische Rundfunk recherchiert schon länger im Umfeld des "Islamischen Zentrums Weiden".

Der BR traf bereits gut zwei Jahren Fatih K. vor der Moschee. Bereits zu diesem Zeitpunkt stand er im Verdacht, in Syrien beim Kämpfen gewesen zu sein. Ein Interview lehnte er ab.

Fatih K. und auch Abdullah Ka. verkehrten immer wieder im Islamischen Zentrum - offensichtlich kein Zufall, wenn man die Entwicklung der Moschee und einiger Personen in den letzten Jahren betrachtet. 

Der "liebe Schwager" Mehmet

Im Frühjahr 2017 trifft der BR den Imam der Weidener Moschee. Der junge Mann nennt sich Ibrahim und ist Teil eines Familienclans. Er hat quasi in Strukturen eingeheiratet, die auch beim Prozess eine Rolle spielen könnten. Sein Schwager Mehmet ist zur Junud al-Sham gereist und vor gut vier Jahren dort getötet worden.

Der Imam vermisst Mehmet und bedauert, dass ein junger Mensch mit fast Mitte 20 sein Leben in Syrien lassen musste - aufgerieben in einem Kampf weit weg von der Lebensrealität in der Oberpfalz. "Ich denke, wir hätten ihm klarer machen müssen, dass seine Familie ihn braucht", sagt der Imam. Sein Schwager Mehmet leitete in Syrien das "deutsche Haus" der "Junud al-Sham" – ein Trainigscamp mit vielen deutschen Kämpfern. Der begeisterte Fußballer Mehmet, berichtet Ibrahim, sei ein lieber, hilfsbereiter Mensch gewesen, aber der Syrien-Konflikt habe seinen Schwager aufgewühlt.

Laut einer Zeugenaussage während eines Dschihadistenprozesses hatte Mehmet gute Kontakte zu Schleusern. Er habe, so der Zeuge im Dezember 2017, nach Orientierung in seinem Leben gesucht und habe diese bei der "Junud al-Sham" gefunden. Allerdings soll er im Umfeld von Killern wie Terrorfürst Abu Walid al-Shishani auch verroht sein und die Auspeitschung von Mitkämpfern befohlen haben, die Befehle missachtet hätten.

Imam distanziert sich von Terror

Als Mehmet noch lebte, war der bewaffnete Kampf in Syrien auch Thema in der Weidener Moschee. Das geht aus dem Buch "Der Dschihadist" des Aussteigers Irfan Peci hervor. "Als ich dort die Moschee besuchte, merkte ich schnell, dass einige Brüder fehlten. Die kämpfen in Syrien, erzählten mir die anderen stolz", berichtet Peci in dem Buch.

Nach dem Tod Mehmets soll nach BR-Informationen aber nicht mehr über den bewaffneten Kampf gesprochen worden sein. Fürchteten die Angehörigen des Islamischen Zentrums verstärkt in den Fokus von Verfassungsschutz und Polizei zu geraten? Hatten sie Angst vor Abhöranlagen? Möglicherweise werden auch solche Fragen beim Prozess gegen Fatih K. und Abdullah Ka. eine Rolle spielen. Im Gespräch mit dem BR jedenfalls hat sich der Weidener Imam Ibrahim von Terror und Gewalt distanziert. 

Ein Angeklagter mit getötetem Mehmet verwandt

Die familiären Bindungen sind sehr eng. Der Angeklagte Abdullah Ka. ist Stiefbruder des getöteten Mehmet. Mehmets Stiefvater wiederum ist der Neffe der Mutter des in Untersuchungshaft sitzenden Fatih K.. Auch der Neffe hat sich kurz nach der Festnahme im Mai 2017 auf Facebook geäußert: "Die Wohnung der 70-jährigen schwer behinderten Mutter des angeblichen Dschihadisten wurde von schwer bewaffneten Beamten gestürmt. Die arme alte Frau wurde gedemütigt und liegt jetzt im Krankenhaus."

Eine gesamte Familie, so scheint es, steht hinter den Angeklagten. Der Grund liegt im komplexen Syrienkonflikt selbst, der bis in die tiefste bayerische Provinz hineinwirkt. Für das Umfeld der beiden mutmaßlichen Syrien-Rückkehrer aus der Oberpfalz leistet die "Junud al-Sham" Widerstand gegen den Despoten Assad. Zudem hätten Fatih K. und Abdullah Ka. niemals vorgehabt, Anschläge in Deutschland zu verüben.

Nur gilt die Junud al-Sham ganz offiziell als Terrorgruppe. Nach Angaben deutscher Sicherheitsbehörden ist diese "getrieben von radikal-islamistischen Anschauungen". Sie wolle unter Inkaufnahme ziviler Opfer, den Staat Syrien in seiner jetzigen Form zerschlagen und einen islamischen Gottesstaat unter Geltung der Scharia errichten.

Auch Deso Dogg einst bei Junud al-Sham

Zudem sind im Laufe des Syrien-Konflikts nicht wenige Kämpfer der Junud al-Sham zur Terrormiliz IS übergelaufen. Als prominentestes Beispiel gilt der Ex-Rapper Deso Dogg alias Denis Cuspert, der offenbar inzwischen getötet wurde.