Dschihadisten-Prozess in München Flüchtlinge zu Freiheitsstrafen verurteilt

Im Prozess gegen zwei Flüchtlinge und mutmaßliche Syrien-Kämpfer hat das Münchner Oberlandesgericht das Urteil gefällt. Es war bayernweit der erste Prozess mit Flüchtlingen, die sich wegen Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung verantworten mussten.

Von: Joseph Röhmel

Stand: 19.09.2017 | Archiv

Bild: picture-alliance/dpa

Wegen Beteiligung am Dschihad in Syrien hat das Oberlandesgericht München einen Flüchtling zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die zweijährige Freiheitsstrafe seines 23-jährigen Freundes wird zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil entspricht der Forderung der Bundesanwaltschaft.

Die Verteidigerin des 25-jährigen Syrers Kamel T. war sichtlich enttäuscht, als sie den Gerichtssaal verließ. Ihr Mandant habe mit einer Verurteilung zu vier Jahren Haft nicht gerechnet. Er werde Revision einlegen.

Einer der mutmaßlichen Dschihadisten ist gelähmt

Azad R. sitzt im Rollstuhl Bild: picture-alliance/dpa

Der 23-jährige Freund Azad R., mit dem sich Kamel T. bei der als dschihadistisch eingestuften Ahrar al Sham in Syrien aufgehalten hat, sitzt im Rollstuhl. Er wurde bei einem Gefecht verletzt und ist seitdem gelähmt, was sich strafmildernd ausgewirkt hat. Unter anderem deshalb wurde seine zweijährige Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. "Sie werden ihre Verletzung ihr gesamtes Leben mit sich herumtragen. Sie bedeutet einen tiefen Einschnitt in ihre Lebensqualität", sagte der Richter. Zudem war Azad R. zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt, weswegen das Jugendstrafrecht angewandt wurde. 

Er sei hineingerutscht in die Ahrar al-Sham, habe sein Land von Assad befreien wollen, sagte der Richter.

Wie gelangte Azad R. zur Terror- Gruppe?

Der junge Mann war zunächst in die Türkei gegangen, weil er sich unter anderem vor dem Wehrdienst drücken wollte. Als er wieder in sein Land zurückkehrte, war Bürgerkrieg. Sein ursprüngliches Ziel, seine Heimatstadt Damaskus, konnte er nicht erreichen. Die Verbindung war unterbrochen und der Weg deshalb zu gefährlich. Stattdessen fand er Unterschlupf bei der Ahrar al Sham.  

Ahrar al-Sham pflegt Kontakte zu Al-Kaida

Ein Post auf Twitter bei einer Kampfaktion von Ahrar al-Sham im August 2016 Bild: picture-alliance/dpa

2011 gegründet gilt die Vereinigung als eine der größten Gruppierungen der syrischen Aufstandsbewegung - vor allem 2013 und 2014 mit geschätzten 10.000 bis 20.000 Kämpfern. Zunächst operierte sie vor allem in der Provinz Idlib, dann zusätzlich in Hama und Aleppo. Nach Erkenntnissen der Generalbundesanwaltschaft will sie den syrischen Machthaber Bashar al-Assad stürzen und einen Gottesstaat errichten. Auch pflegt die Gruppe enge Kontakte zum Al-Kaida-Netzwerk.

Nationalistischer Terror

Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg hat sich intensiv mit der Vereinigung auseinandergesetzt. Ahrar al-Sham ist Steinberg zufolge stark nationalistisch. Selbst nach einem Sturz des Assad-Regimes seien die Nachbarstaaten nicht bedroht. Es gehe also nicht um die Bekämpfung der westlichen Zivilisation.

Angeklagte gehörten nicht zur Terrorgruppe - sagt der Verteidiger

Mit großem Unverständnis reagierte der Verteidiger des 23-jährigen Azad R. Er könne, so der Anwalt, den gesamten Prozess nicht nachvollziehen. Hier werde deutsches Recht auf einen Konflikt angewandt, der sich in einem ganz anderen Land abspiele. Aus seiner Sicht und der seiner Kollegin waren die beiden Männer keine Mitglieder der Terrorgruppe. Und sie hätten auch nicht die Errichtung eines Staats mit den Gesetzen der Scharia verfolgt. Zudem werde die Ahrar al Sham mit Geldern aus Saudi Arabien unterstützt, einem Verbündeten der Bundesrepublik.

Angeklagte gehörten einer terrorischtischen Vereinigung an - so die Richter

Das heutige Urteil nahmen die Männer regungslos hin. Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sah das Gericht in beiden Fällen als erwiesen an. Sie hätten von August 2013 bis April 2014 im Gebiet um Aleppo unter anderem Wachdienste für Ahrar al-Scham geleistet und so am Kampf gegen andere Rebellen und syrisches Militär teilgenommen. Handybilder, die während des Prozesses vorgelegt wurden, zeugen davon.

Begründung des Gerichts

Kamel T.H.J. von seiner Anwältin Martina Walter Bild: picture-alliance/dpa

Nach Feststellung des Gerichts wollte Ahrar al-Scham in Syrien einen autoritären Staat mit den Gesetzen der Scharia errichten. Der Richter sagte, es handle sich dabei um eine terroristische Vereinigung, weil sie "ihre Zielvorstellungen mit Mord und Totschlag durchsetzte". Die Angeklagten hätten davon gewusst. Zugleich hätten sie jedoch "für eine bessere Welt" und gegen den Machthaber Baschar al-Assad kämpfen wollen.

Bei Kamel T. sei eine salafistische Motivation hinzugekommen. Azad R. sei hingegen ein Mitläufer gewesen. In Syrien wurden der 23-jährige Azad und der 25-jährige Kamel Freunde. Nach der schweren Verwundung Azads pflegte Kamel ihn und brachte ihn schließlich über die Balkanroute nach Deutschland. Im Frühjahr letzten Jahres wurden die beiden Männer in einer Asylbewerberunterkunft in Bamberg verhaftet. Seit Ende März standen sie vor Gericht.