Sie wissen, was sie tun Salafisten und die Lust am Cyber-Dschihad

Sie wollen Sicherheitsbehörden linken, die Medien vorführen oder einfach nur für Angst und Schrecken sorgen: Wie gefährlich sind sogenannte Cyber-Dschihadisten? BR24 ist zwei aktuellen Fällen aus Bayern nachgegangen.

Von: Joseph Röhmel

Stand: 27.11.2016 | Archiv

Bild: colourbox.com; montage:br

"Ich distanziere mich vom Distanzieren", schreibt Boris H. auf seiner Facebook-Seite. Der Mann ist ein Internetphänomen. Jemand, der auf Twitter die Pariser Anschläge feiert, IS-Propaganda verbreitet und sich als "Kuffarhunter" ( "Jäger der Ungläubigen")  bezeichnet.

Eigentlich hat ihn das Münchner Amtsgericht schon im September zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Aber noch vor einigen Tagen war Boris H. auf seinem Facebook-Kanal aktiv. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung hat Berufung eingelegt.

Der drogensüchtige Internet-Salafist

Der gelernte Schweißer aus der Münchner Isarvorstadt ist ein Sozialfall. Jahrzehntelang nimmt er Drogen. Täglich erhält er Methadon, einen Substitutionstoff für Heroin und andere Opioide. Vor zwei Jahren findet er dann zum Islam, konvertiert in der inzwischen geschlossenen Moschee Darul Quran. Aber Boris H. kommt nicht zur Ruhe. Trauriger Höhepunkt: Der Münchner teilt im Internet eine Anleitung zum Bombenbau.

Boris H. vor Gericht Bild: BR/Julia Binder

Bei einer Wohnungsdurchsuchung betreten die Polizisten eine verwahrloste Einzimmerwohnung. Sie stellen Festplatten, Computer und Handys sicher. Darauf finden sie Zeugenaussagen zufolge gewaltverherrlichende Filme und Videosequenzen, islamistische Kampfgesänge, eine Herstellungsanleitung für Giftstoffe sowie Videos von Enthauptungen, Erschießungen und Hinrichtungen. In die Salafisten-Szene hat Boris H. lediglich virtuellen Kontakt. Ist er also ein echter Dschihadist im Internet oder nur ein Trittbrettfahrer, der sich durch das Teilen terroristischer Inhalte in Schwierigkeiten gebracht hat?

Das Bundeskriminalamt (BKA) nimmt jeden Fall ernst – egal ob Möchtegern-Dschihadist oder echter Terrorist. "Wir müssen konstatieren, dass solche Trittbrettfahrer, die sich mit dem globalen Dschihad solidarisieren bzw. identifizieren und keinen realen Kontakt zu der salafistischen bzw. dschihadistische Szene haben, zumindest propagandistische Zwecke verfolgen", teilt das BKA mit.

Der Fachblog Erasmus Monitor hat den Fall Boris H. intensiv verfolgt. "Relativ schnell konnte man an seiner Semantik und seiner Syntax erkennen, dass er regelrecht um Aufmerksamkeit buhlte – und das auf eine sehr unbeholfene Art", berichtet der Blog auf Anfrage von BR24. Immer wieder begegnet der Blog bei Recherchen derartigen Fällen.  

"Mach etwas, was bei Allah wirklich zählt"

Titelseite des Dschihad-Magazins, das an eine Rekrutierungskampagne der Bundeswehr erinnert. Bild: Kybernetiq

Der IS und Al-Kaida sind bekanntlich auf der Suche nach neuen Kämpfern. Allerdings nicht nur nach jenen, die auf dem Schlachtfeld tätig sind sondern auch vor dem Computer.  

"Mach etwas, was bei Allah wirklich zählt. Deine Karriereleiter Richtung Paradies. Mache dein Hobby zum Dschihad", heißt es in Kybernetiq – das erste deutschsprachige Cyber-Dschihad-Magazin mit einer Anleitung, wie man sich am besten vor Geheimdiensten tarnen kann. Vor einigen Monaten ist die erste Ausgabe erschienen. Nun folgte kürzlich der zweite Teil, der stark an eine Rekrutierungs-Kampagne der Bundeswehr erinnert: abstrakter Flecktarn mit dicken eingerahmten Botschaften. Auf BR-Anfrage schreiben die Autoren: 

"Um die Aufmerksamkeit der Muslime und Nicht-Muslime zu bekommen, haben wir bewusst versucht, mit der Bundeswehr-Kampagne zu provozieren. Im Islam gibt es auch einen Wehrdienst und auf den wollen wir aufmerksam machen. Jeder kann einen Beitrag zum Wohl der muslimischen Gemeinschaft leisten, dazu muss er nicht einmal Soldat sein und an der Waffe dienen."

Autoren von Kybernetiq auf Anfrage von BR 24

Markus Schäfert, Sprecher Verfassungsschutz Bild: BR

Wie gefährlich ist dieses Magazin? Nachgefragt beim bayerischen Verfassungsschutz. "Es ist ein Magazin, das Dschihadisten dabei unterstützen möchte, sich den Sicherheitsbehörden zu entziehen", sagt Sprecher Markus Schäfert. Er bezeichnet es als problematischen Aspekt, dass "Personen, die sich schon sehr weit radikalisiert haben, darin unterstützt werden, den Sicherheitsbehörden ihre Arbeit so schwer wie möglich zu machen".  

Für den intellektuellen Dschihadisten 

Laut Markus Schäfert ist Kybernetiq etwas für jene, die sich intellektuell mit komplexen technischen Fragestellungen auseinandersetzen können.

Schriftzug der Dschaisch al-Fatah Bild: Kybernetiq

Zudem grenze sich das Magazin stark von der Terrormiliz IS ab. "Wir haben in der zweiten Ausgabe festgestellt, dass es sich einer anderen dschihadistischen Gruppierung zuordnet", so Schäfert. In dem Magazin werde der arabische Schriftzug der Dschaisch al-Fatah - eine Al-Kaida nahe Allianz von regionalen Terrororganisationen - verwendet.

Aber wer genau steckt hinter Kybernetiq? Der bayerische Verfassungsschutz hat eine Person im Auge, die schon "während ihres Aufenthaltes in Bayern erhebliches Know-how angesammelt hat im Hinblick auf die sichere Internetkommunikation".

Zudem betreibe diese Person einen Twitteraccount mit einem Pseudonym, das sich auch als Pseudonym in dem Magazin Kybernetiq wiederfinde. "Zusammengenommen gehen wir stark davon aus, dass es sich dabei um einen Salafisten handelt, der aus Bayern ausgereist ist", berichtet Sprecher Schäfert.   

Kybernetiq: Journalisten haben schlecht recherchiert

Auszug aus dem Vorwort Bild: Kybernetiq

Die erste Ausgabe hatte schon ein großes Medienecho erzeugt. Damals hatten Journalisten und Experten eine Nähe zur Terrormiliz IS vermutet, obwohl sich Kybernetiq ganz klar vom IS distanziert. In der zweiten Ausgabe folgt nun die Reaktion in dem Vorwort. Wie die Autoren dem BR schreiben, eine "Klarstellung bezüglich den Verleumdungen und schlechten Recherchen der Qualitätsjournalisten".

"Mehrere Nachrichtenagenturen kopierten die Nachrichten, ohne Quellen und Beweise zu überprüfen. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke, die fast im Sekundentakt Nachrichten generieren, kommt die Wahrheit leider oft zu kurz", heißt es in dem Vorwort.     

"Die Macher stellen eine Öffentlichkeit für eine andere Realität in Syrien dar", sagt der Fachblog Erasmus Monitor. "Der Dschihad wird nicht nur durch den IS, sondern ist durch zahlreiche andere Gruppen geführt, die sich teilweise auch Al-Kaida verbunden fühlen."       

Auch dem Bundeskriminalamt ist das Magazin bekannt. "Die dschihadistisch geprägte Internetszene hat nach unserem Eindruck bislang nur sehr verhalten auf die beiden Ausgaben des Magazins reagiert", heißt es vom BKA.  

Kein Magazin für die Massen

Der Blog Erasmus Monitor hatte Gelegenheit, sich mit den Machern auszutauschen. "Die Autoren wollen kein Magazin für die Massen produzieren", sagt er.

"Früher waren sie in Deutschland und haben sich einen Spaß daraus gemacht, die Sicherheitsbehörden zu linken. Verfassungsschutz und Polizei haben sie jahrelang beobachtet, aber es ist ihnen nie gelungen, diese Leute zu verhaften oder an der Ausreise nach Syrien zu hindern."

Erasmus Monitor

Sie würden sich einen Spaß machen, mit den Behörden ein Katz- und Mausspiel treiben. Das Magazin mag nur für eine kleine Zielgruppe gedacht sein. Die Gefahren, die von Kybernetiq ausgehen, sind aber trotzdem schwer abzuschätzen. Deshalb schaut das Bundeskriminalamt ganz genau hin.  

"Nahezu einzigartig im Vergleich zu anderen elektronischen Publikationen ist die umfangreiche Angabe von überprüfbaren Quellen zu den beschriebenen Empfehlungen", so das BKA. "Die zielgerichtete Aufbereitung des Wissens für deutschsprachige Dschihadisten kann dazu führen, dass sich das Sicherheitsbewusstsein zumindest einzelner Nutzer in der dschihadistischen Szene steigert."