Report München


11

Milliardenschäden im Gesundheitssystem Wie Gauner Kasse machen

Zwischen 16 und 18 Milliarden Euro – so hoch ist Schätzungen zufolge der Schaden, den Gauner Jahr für Jahr im Gesundheitssystem anrichten. Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland stoßen immer wieder auf haarsträubende Fälle: Ärzte, die bei Toten Behandlungen abrechnen oder Berufskriminelle, die gezielt Lücken im System ausnutzen. Experten kritisieren die fehlende Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft für ein Problem, das gewaltige Ausmaße angenommen hat.

Von: Ulrich Hagmann, Fabian Mader, Lisa Wreschniok

Stand: 06.06.2023

Felix Wallström vom Roten Kreuz in Kitzingen in Unterfranken erinnert sich noch genau an diesen Einsatz im vergangenen Herbst. Mit seinen Kollegen wurde er zu einer Pflegeeinrichtung für Senioren gerufen. Die Zustände dort - schockierend. Er ist noch heute überzeugt: Ohne das Eingreifen des Roten Kreuzes wäre es zu "Gesundheitsschäden, vielleicht bis hin zum Tod gekommen."

Schockierende Zustände

Mehrere Senioren muss das Rote Kreuz in stationäre Einrichtungen bringen. Den bedrohlichen Zustand einiger Bewohner belegen Unterlagen, die dem SWR und dem ARD-Politikmagazin report München vorliegen.

Die Behörden werfen den Betreibern gefährliche Körperverletzung und Betrug vor. Denn sie ließen die Senioren den Ermittlern zufolge verwahrlosen, rechneten aber eine Top-Pflege ab. Auch Leistungen, die sie nicht erbracht haben. Insgesamt sollen sie so fast 5 Millionen Euro erbeutet haben. Und einen luxuriösen Lebensstil finanziert haben.

Die Ermittlungen leitet eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Nürnberg. 14 Staatsanwälte kümmern sich ausschließlich um Abrechnungsbetrug, also korrupte Ärzte, Pfleger und Apotheker. Für den Leiter der Abteilung, Oberstaatsanwalt Findl, kein ungewöhnlicher Fall. Es sei einfach "unglaublich viel Geld" im System, das viele Möglichkeiten eröffne, "sich zu bereichern."

Ausmaß unbekannt

Seit Jahren fordert er mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Denn bis zu geschätzte 18 Milliarden Euro gehen den gesetzlichen Krankenkassen pro Jahr durch Betrug verloren. Wie groß die Summe genau ist, lässt sich in Deutschland jedenfalls nicht sagen. Anders als etwa in Großbritannien gibt es hierzulande keine sogenannte Dunkelfeldstudie. Sie würde mit wissenschaftlichen Methoden ermitteln, wie viele Taten unentdeckt bleiben - und so das Ausmaß des Betrugs enthüllen. Experten wie Oberstaatsanwalt Findl fordern sie seit Jahren.

Auf Anfrage von report München verweist das Bundesgesundheitsministerium bezüglich dieser Dunkelfeldstudie an das Bundesjustizministerium. Dort wiederum heißt es: Man stehe dazu in Austausch mit dem Gesundheitsministerium.

Gernot Kiefer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen fordert die Bundesregierung auf, den Betrug im Gesundheitswesen ernster zu nehmen. Man könne sich diese "Langsamkeit in der Problemwahrnehmung und Problembekämpfung" nicht mehr leisten.  Denn die Krankenkassen stünden unter Finanzdruck. Jeder Euro, der in dunkle Kanäle laufe, täte in dieser Situation besonders weh.

Milliardenverluste für Krankenkassen

Tatsächlich müssen die Krankenkassen im kommenden Jahr ihre Beiträge wohl erneut erhöhen. Mitte 2022 schätzte das Bundesgesundheitsministerium das Finanzloch der gesetzlichen Krankenkassen auf 17 Milliarden Euro - das entspricht in etwa dem Volumen, das den Kassen durch Betrug jährlich verloren geht.

Die größte Herausforderung für die Ermittler: Patienten merken oft gar nicht, wenn betrogen wird. Denn was passiere, nachdem eine Arzthelferin eine Karte eingelesen hat, sehe der Versicherte nicht, so Richard Findl von der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg.

Um mehr schwarze Schafe zu entdecken, hat er mit seinem Team ein anonymes Hinweisgebersystem eingerichtet. Die Staatsanwälte können Nachfragen stellen und so Hintergründe zu den Vorwürfen klären, der Hinweisgeber bleibt dabei anonym.

Über dieses System kam auch den Hinweis auf die Pflegedienste im bayerischen Kitzingen, die mit Falschabrechnungen Millionen erbeutet haben sollen, zur Generalstaatsanwaltschaft nach Nürnberg. Drei Betreiber sitzen in Haft, demnächst beginnt ihr Prozess. Die Ermittlungen laufen weiter. Denn der mutmaßliche Haupttäter soll an einem ganzen Netzwerk von Pflegediensten in mehreren Bundesländern beteiligt sein oder mit ihnen in Verbindung stehen. Die Schadenssumme von fünf Millionen Euro könnte sich also noch erhöhen.

Manuskript des report-Films zum Druck

Manuskript als PDF:


11

Kommentieren

Jutta G. , Mittwoch, 07.Juni 2023, 15:08 Uhr

4. Abrechnungsbetrug durch Ärzte

Der Bericht hat mich erschüttert, ich bin 65 Jahre und kann mich an andere Skandale dieser Art in dern Vergangenheit erinnern. Dass es bei den Pflegeeinrichtungen oft nicht mit rechten Dingen zugeht, ist mir schon lange bekannt.
Dass es aber möglich ist, bei Kassenpatienten noch immer in dem dargestellten Ausmaß zu betrügen ist mir ein Rätsel. Auch die niedergelassenen Ärzte sind ja mittlerweile an ihr Budget gebunden. Auch die Arztpraxen bekommen doch nur noch Fallpauschalen. Wie kommt es, dass ein Arzt dann noch zusätzliche Leistungen abrechnen kann?
Als Privatpatientin weiß ich, wie Arztrechnungen aussehen und ich reklamiere mindestens ein Viertel der Rechnungen. Bei Kassenpatienten war ich bisher der Meinung, dass solche Betrügereien nicht mehr möglich sind.
Warum wird dieses System nicht endlich mal grundlegend reformiert! Die Betrugsskandale wiederholen sich in gleichmäßigen Abständen!

Antworten

M. Siefke, Mittwoch, 07.Juni 2023, 09:35 Uhr

3. Milliardenschäden im Gesundheitssystem

Guten Tag.

Zunächst einmal finde ich es gut, daß Sie zu den einzelnen Themen ausführlichen Text zum nachlesen anbieten, nicht nur Videos.

Daß ca. 16 - 18 Milliarden unberechtigt von den Krankenkassen bezahlt werden für Abrechnungen, die nicht den Tatsachen entsprechen, trägt wohl auch zu den Defiziten der Krankenkassen bei.
Diese "Kostensteigerungen" werden von den Kassen beklagt. IKK schlägt vor: Keine Kostenübernahme mehr für den Zahnersatz. Aber für Gaunereien, milliardenschwere Schäden an dem Gesundheitssystem, der Gesellschaft ist das Geld offenbar da.
Wer sich soviel Geld einfach wegnehmen läßt, hat kein Recht laut zu klagen.
Die Krankenkassenkarte wird beim Arzt abgegeben, dann wird abgerechnet. Der Patient weiß wohl was der Arzt gemacht hat, aber nicht was dieser abrechnet.
Ein Blankoscheck und ein ganz schlechtes Vorbild für alle.

Antworten

bemme2, Mittwoch, 07.Juni 2023, 07:48 Uhr

2. Abrechnungsbetrug

Bei den Zahnärzten werden z.B. die Abrechnung von Ehrenamtsträgern in den KZV überhaupt nicht geprüft - null ... und es gab dann auch schon öfters mal entsprechende ... korrekturhinweise ... an abweichende Ehrenämtler: "dann prüfen wir da halt mal genauer".
Das System der KVen und KZVen ist eine reine Betrugsverschleierungsmaschinerie und dient allein zur Anonymisierung von Arztabrechnungen - und nicht von Patientendaten, wie immer behauptet wird.

Antworten

Ulrich, Dienstag, 06.Juni 2023, 21:12 Uhr

1. Milliarden Schaden Gesundheitssystem

Hallo,
bin 67 Jahre alt und nicht überrascht wegen dieser kriminellen Energie. Habe ich schon lange so vermutet...ohne Abitur und Studium.
Ich glaube auch nicht das sich durch ihren Beitrag etwas in unserem Land ändern wird.
Siehe Pflege, Krankenhaus, Bildung usw.
Unsere "gewählten Berufspolitiker" sind abhängig beschäftigte Meinungsverkünder.
Schade eigentlich, mfG.

Antworten