Report München


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Bombenkoalition gegen IS-Terroristen Programmiertes Chaos ohne Nachkriegsordnung?

Nach den Terroranschlägen von Paris beteiligt sich Deutschland mit 1200 Soldaten, Tornados und Kriegsschiffen. Doch was sich Koalition nennt, entpuppt sich als Machtspiel von Staaten mit jeweils ganz eigenen Interessen. Wie sinnvoll ist ein derart kurzfristiger Militäreinsatz? Wiederholen sich Fehler, die in Afghanistan und im Irak gemacht worden sind? Report München fragt bei internationalen Sicherheitsexperten nach und wirft einen kritischen Blick auf die deutsche Außenpolitik.

Von: Sebastian Kemnitzer, Hendrik Loven, Anna Tillack

Stand: 01.12.2015 | Archiv

Deutsches Tornado-Aufklärungsflugzeug, Ruinen von Homs | Bild: Fotos: dpa, Montage: BR

Krieg in Syrien. Tausende Tote durch Assads Bomben und durch den Terror des sogenannten Islamischen Staates.

Wir werden jetzt Teil dieses Konfliktes. Der IS-Terror ist in Europa angekommen. Angela Merkel mit Francois Holland in Paris. Blumen für die Toten der Terrorangriffe. Deutschland in der Koalition gegen den so genannten Islamischen Staat schickt Tornados und ein Kriegsschiff.

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender Münchner Sicherheitskonferenz: „Wenn wir uns nicht beteiligen und damit unseren eigenen besten Freunden Frankreich und unseren anderen europäischen Partnern zeigen, was wir von Solidarität halten, dann dürfen wir uns natürlich nicht wundern, wenn uns auch keine Solidarität entgegengebracht wird.“

Solidarität mit Frankreich. In Frankreich gibt es dazu ganz unterschiedliche Stimmen. Wir fahren am Freitag, als Frankreich um die Opfer der Anschläge trauert, in die Bretagne. Wir treffen Thomas Flichy de la Neuville – er unterrichtet hier an der Militärakademie Offiziere, forscht an der renommierten Pariser Universität Sorbonne und berät das französische Verteidigungsministerium. Die Luftangriffe der Franzosen in  letzter Zeit hätten nichts gebracht. Anders als der Deutsche Ischinger spricht er sich gegen Militärschlage aus.

Thomas Flichy de la Neuville: „Für Frankreich ist es klar, dass die öffentliche Meinung brauchte psychologisch, brauchten die Leute diese Luftangriffe, das brauchten sie und das hat Hollande verstanden, also das war eine empfindliche emotionale Reaktion auf die großen Angriffe von Paris. Die Leute hätten nicht verstanden, dass er nichts macht. Er hat schon nicht viel gemacht nach Charlie Hebdo. “

Doch gibt es einen Plan der Franzosen, was in Syrien eigentlich danach passieren soll?

Thomas Flichy de la Neuville: “Es gibt keine Strategie, weil es keinen gemeinsam Plan gibt. Es gibt keine Strategie, da wir nicht vorher politisch gedacht haben. Es gibt keine Strategie, weil die Verbündeten von heute sind keine echten Verbündeten.“

Jeder Verbündete vertritt eigene Interessen. Was bedeutet das für Deutschland? Schon einmal rief ein Verbündeter, damals die USA. Deutschland beteiligte sich an dem Krieg gegen die Taliban in Afghanistan. Doch der Erfolg der Mission ist umstritten. Und nicht nur diese Krisenintervention. Als völlig gescheitert gilt der Irak-Krieg der USA. Als deutscher Botschafter in Washington war Wolfgang Ischinger damals nah dran:

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender Münchner Sicherheitskonferenz: „Es wäre ganz verhängnisvoll, wenn wir die Lektionen nicht endlich lernen würden, die nahe liegen nach den Erfahrungen in Libyen, nach den Erfahrungen im Irak und in anderen Krisen. Natürlich dürfen wir alles, was jetzt der Umsetzung eines Waffenstillstands, der Herbeiführung des Friedens, des Einsatzes militärischer Mittel bedarf, dürfen wir überhaupt nur anfangen, wenn wir einen Plan haben.“

Hat Deutschland einen Plan? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen reist an die Krisenherde. Demnächst kommt wohl Syrien hinzu. Denn heute Morgen hat das Kabinett den Militäreinsatz verabschiedet. Doch davor ein ziemliches Hin- und Her: Noch am Sonntag hielt sie eine Kooperation mit syrischen Truppen für möglich.

Ursula von der Leyen, CDU, Bundesverteidigungsministerin (29.11.2015): „Deshalb ist es richtig über die syrischen Truppen zu sprechen, wenn klar ist, wenn diese Übergangsphase in Kürze begonnen hat, was mit Assad geschieht. Dann muss das neu bewertet werden.“

Dann am Montag, die Ministerin präsentiert einen 6-Punkte-Plan, darin ist die Rede von „politischen Zweckbündnissen“. Die Opposition interpretiert das am Montagmorgen so:

Jan van Aken, Die Linke: „Wenn ich schon den ersten Punkt lese: Wir brauchen ein militärisches, politisches Zweckbündnis auf Zeit. Das riecht ja ganz stark nach dem, was Hollande gesagt hat: möglicherweise jetzt auch einen militärischen Einsatz gemeinsam mit Asssad. Das ist doch der totale Wahnsinn.“

Dann wenige Stunden später die Klarstellung des Verteidigungsministeriums: man wolle nicht mit Assad zusammenarbeiten. Das erscheint chaotisch. Hat Deutschland kein Konzept, oder hat man sich zu spät mit Syrien beschäftigt?

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender Münchner Sicherheitskonferenz: „In der Tat, ich mache uns selbst den Vorwurf, dem Westen, keineswegs nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern dem Westen insgesamt, dass wir vier Jahre lang weggeschaut habe. Damals gab es ein paar tausend Opfer in Syrien, jetzt haben wir ein paar hunderttausend Opfer, wir haben Millionen von Flüchtlingen, davon bereits eine Million mehr oder weniger bei uns in Deutschland, wie lange wollen wir denn noch warten?

Was denken Syrer selbst darüber? Gestern Abend beim syrischen Akademikerverein in Berlin. Für die Syrer am Tisch gibt es nur ein Thema hier momentan: die Bombenangriffe auf ihr Heimatland. Gebannt verfolgen sie die aktuellen Entwicklungen. Was halten sie davon, dass Deutschland jetzt Soldaten schickt?

Mustafa Gumrok: „Seit 2001 kämpft man gegen Terrorismus, bis jetzt ohne Erfolg. Also das Konzept ist meiner Meinung nach falsch. Also was bedeutet, man muss mit den moderaten Syrern dort offen vor Ort kooperieren, sie unterstützen und dazu verhelfen, dass sie gegen ISIS kämpfen.“

Wäre das ein Weg? Auch für den Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger ist es entscheidend, dass moderate Kräfte und muslimische Länder mit eingebunden werden, sonst würde man die ISIS-Propaganda erfüllen, der Westen sei auf einem Kreuzzug:

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender Münchner Sicherheitskonferenz: „Wenn man an Bodentruppen denkt, dann sollten das Truppen sein, die von Ländern gestellt werden, die selbst muslimische Länder sind, arabische Länder sind, nach Möglichkeit Nachbarn sind, die genauso ein großes Interesse an Frieden in Syrien haben wie wir.“

Über Bodentruppen ist noch nicht entschieden, aber die Zeichen stehen auf Angriff – auch ohne echten Plan, geschweige denn für die Zeit danach.


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