Bundestagswahl 2017 "Die Deutschen haben keine Wunschkoalition"

Jetzt zählt‘s – Deutschland wählt ein neues Parlament. Die AfD wird wohl erstmals darin einziehen, die FDP zurückkehren. Sieben Parteien statt wie bisher fünf also, das heißt: Die politische Vielfalt nimmt zu. Das heißt aber auch: Die Suche nach einer neuen Regierung dürfte sehr schwierig werden.

Von: Florian Haas

Stand: 24.09.2017 | Archiv

Bild: pa/dpa/Martina Rädlein

Eine Liebesheirat war es nicht, vielmehr eine Zwangsehe. Und wer war schuld? Die Wähler natürlich.

Das Wahlergebnis 2013 Bild: BR

Sie hatten die FDP aus dem Bundestag geschmissen, der AfD den Einzug vermasselt, Grüne und Linke hinein befördert, der Union ein starkes und der SPD ein schwaches Ergebnis beschert. Das war in dem Fall doppelt ungünstig für die Sozialdemokraten, denn die hatten vor der Wahl eine rot-rot-grüne Koalition ausgeschlossen – diese wäre rechnerisch nach dieser Wahl im Herbst 2013 kein Problem gewesen. Union und Grüne merkten schnell, dass sie mehr trennt als verbindet. Es kam, was kommen musste: die Große Koalition. Wie schon 2005, wie schon 1966. 

2013 - Die Bundesregierung steht. Bild: picture-alliance/dpa

Ende November und damit zwei Monate nach der Wahl unterzeichneten die damaligen Parteichefs Merkel, Seehofer und Gabriel den Koalitionsvertrag, sicher nicht glücklich, sondern sichtbar ernüchtert. Aber auch sichtlich erleichtert. Sie hatten Neuwahlen verhindert und – nicht ganz unwichtig in der Politik - die Macht im Land übernommen (Gabriel) beziehungsweise diese nach dem Ende von Schwarz-Gelb behalten (Merkel, Seehofer). Kurz vor Weihnachten wählte der Bundestag Merkel erneut zur Kanzlerin. Die Ehe hielt so lange wie geplant, volle vier Jahre. 


Ende November, kurz vor Weihnachten, vier Jahre Ehe. Ob das diesmal zu schaffen sein wird? Alles deutet daraufhin, dass die Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen kompliziert werden dürften, womöglich so kompliziert wie nie zuvor. Denn sofern nicht alle Meinungsforschungsinstitute auf eine noch nie dagewesene Weise daneben liegen, dann ist klar: Die Zahl möglicher Koalitionen wird begrenzt sein - und die dafür in Frage kommenden Partner verbindet mitunter herzlich wenig. Roberto Heinrich vom Meinungsforschungsintitut Infratest dimap verweist zudem auf jüngste Umfragen:   

"Die Deutschen haben keinen klaren Favoriten. Es gibt kein Koalitionsmodell, das der Mehrheit gefällt."

Roberto Heinrich

Aber es gibt zwei Modelle, die - wenn man so will - als am wenigsten schlimm empfunden werden: Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot.  

SPD fürchtet eine erneute Große Koalition 

Umgesetztes Wahlziel der SPD - der Mindestlohn Bild: picture-alliance/dpa

Was also spricht für eine neue Große Koalition? Zunächst vermutlich das Ergebnis der heutigen Wahl. Auch wenn Union und SPD im Vergleich zu 2013 wohl beide Verluste kassieren, dürfte es für die Schwarz-Rot locker zur erneuten Regierungsbildung reichen. Nicht nur rechnerisch, auch inhaltlich steht einer erneuten "GroKo" wenig im Weg. Die CDU unter Merkel ist nach links gewandert und hat sich der SPD angenähert, was diese für die Durchsetzung einiger Kernziele genutzt hat (Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse) und wieder nutzen könnte. 

Ein Asylbewerber aus Eritrea trägt einen Gürtel mit Deutschlandschnalle. Bild: picture-alliance/dpa

Auf der anderen Seite hat die SPD verschärfte Asylgesetze mitgetragen - wenn auch nicht die Forderung der CSU nach einer Flüchtlings-Obergrenze, die ja auch von der CDU abgelehnt wird. Trotzdem: Dieses Problem sollte zu klären sein. Ein anderes eher nicht: die Stimmung an der SPD-Basis. Die SPD-Anhänger bewerten die jüngste Arbeit von Schwarz-Rot überwiegend kritisch - ein eklatanter Widerspruch übrigens zu den Unions-Anhängern; außerdem fürchten viele SPDler in einer abermaligen Junior-Partnerschaft unter Merkel den völligen Gesichts- und Profilverlust. Allerdings ist die Oppositionsbank die wohl einzige Alternative für die SPD. Von einer Neuauflage einer rot-grünen Koalitoin ist man Lichtjahre beziehungsweise viele Millionen Wählerstimmen entfernt. Und selbst eine rot-rot-grüne Dreierkoalition ist allen demoskopischen Daten zufolge nicht möglich. 

Jamaika? Schwierig. Schwarz-Gelb? Schwieriger als früher 

Symbolbild für eine schwierige Konstellation Bild: pa/dpa/Kay Nietfeld

Aber auch die Union steckt im Dilemma. Zwar wollen die meisten Bundesbürger, dass die Union weiterhin die Kanzlerin stellt, wie Roberto Heinrich von Infratest dimap untermauert: „Die Deutschen setzen ganz klar auf Merkel." Weniger auf Merkel setzt aber FDP-Chef Christian Lindner. Die „Ein-Mann-Partei“ (Handelsblatt) hat sich im Wahlkampf abgegrenzt, die Kanzlerin vor allem in der Flüchtlingspolitik attackiert; auch bei Fragen der Inneren Sicherheit oder in der Finanz- und Europapolitik sind beide weit auseinander. Anders als im Jahr 2009, als die Union und die FDP einander glückstaumelnd in die Arme fielen, wäre Schwarz-Gelb diesmal sicher keine Traumhochzeit. Die Betonung liegt auf „wäre“. Denn von „ist“ kann keine Rede sein. Zusammen kommen Union und FDP mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf keine gemeinsame Mehrheit. 

Diese Mehrheit gäbe es nur, wenn man die Grünen mit ins Boot holen würde und unter einer neu zu hissenden Jamaika-Flagge in unbekanntes bundespolitisches Fahrwasser vordringt. Auf Landesebene ist Jamaika schon einmal gescheitert, im Saarland. In Schleswig-Holstein liefen die ersten Monate aber recht gut zuletzt. Nun dürfte es auch im Bundestag zu einer schwarz-gelb-grünen Kombination reichen.

Realos an der Grünen-Spitze

Das Spitzenduo der Grünen Bild: dpa/Bildfunk/Bernd Thissen

Mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt haben die Grünen zudem zwei Spitzenkandidaten vom sogenannten Realo-Flügel nominiert, sprich: wer jetzt Grün wählt, der findet sich womöglich eher mit Schwarz-Grün ab - anders als vor vier Jahren, als Jürgen Trittin Spitzenkandidat der Grünen war. Trittin, ein Mann vom linksorientierten Fundi-Flügel der Grünen und vor allem für die CSU ein rotes Tuch. Die Christsozialen wären von Grün wohl auch jetzt viel schwerer zu überzeugen als die Christdemokraten, das Stichwort auch hier: Flüchtlingspolitik. Aber das womöglich noch größere "Hindernis" sind die Liberalen. Umwelt, Steuerpläne, Migrationsfragen – die Differenzen sind enorm. Sondierungsgespräche würde man also führen. Ob es aber darüber hinausgeht, ist fraglich. 

Keine Stimm-Splitting-Empfehlungen, keine klaren Aussagen

Der Neuanfang aus der außerparlamentarischen Opposition scheint gelungen. Bild: picture-alliance/dpa

Generell gilt: Die Bundesbürger finden Zweier-Koalitionen mehrheitlich besser als Dreier-Koalitionen. Aber bei dieser Wahl wird es ihnen schwer gemacht, sich bewusst für ein Duo zu entscheiden. Die Parteien haben vorab zum einen kaum eine Option ausgeschlossen. Zum anderen haben sie keine Tipps oder Kampagnen zum Splitting von Erst- und Zweitstimme gegeben - anders als früher, als etwa die FDP mit dem Einverständnis der Union oft massiv um die Zweitstimme warb.

"Diesmal haben wir die Situation keinerlei Situationssignale gesendet wurden, weder von größeren noch kleineren Parteien."

Roberto Heinrich, Infratest Dimap 

Bild: picture-alliance/dpa

Ach ja, eine Option gäbe noch. Aber dass die Linkspartei mit der Union und der FDP sondiert, ist mehr politischer Witz als denkbare Realität. Und mit der AfD will und wird ja keiner regieren, das haben alle anderen Parteien versprochen. Es wird also schwierig. Zumal also möglichen Partner der Union angekündigt haben, im Falle eines Falles ihre Mitglieder zu einem Koalitionsvertrag abstimmen zu lassen. Das ist sehr basisfreundlich, stellt in Sachen Koalitionsfindung aber eine weitere Hürde dar.

Immerhin: Eine Frist gibt es bei der Koalitionsbildung nicht. Die Verhandlungspartner können sich Zeit lassen, die alte Regierung bleibt so lange geschäftsführend im Amt, bis eine neue steht. Notfalls wäre auch eine Minderheitsregierung möglich. Oder aber: Neuwahlen.