Führungsmacht wider Willen oder Zuchtmeister? Wie sich Deutschlands außenpolitische Rolle verändert hat

Ukraine-Krise, IS, Brexit, Putschversuch in der Türkei – die Liste der außenpolitischen Herausforderungen der letzten vier Jahre ist lang. Außenpolitik war für die Minister Steinmeier, Gabriel und die Kanzlerin hauptsächlich Krisenpolitik. Welches Gewicht hat Deutschland außenpolitisch inzwischen?

Von: Daniel Pokraka

Stand: 18.09.2017 | Archiv

Bild: picture-alliance/dpa

München, Februar 2014, Sicherheitskonferenz. Die große Koalition ist erst wenige Wochen alt – da rufen Bundespräsident Gauck, Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier eine neue deutsche Außenpolitik aus. Abgestimmt – und, was die beiden Herren betrifft, fast wortgleich.

"Früher, entschiedener und substanzieller einbringen"

Gauck erklärte: "Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen," und Steinmeier sagte: "Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen."

Wochenlang beschäftigt dieser konzertierte Auftritt Öffentlichkeit und Fachleute. Viele befürchten – manche hoffen – dass Gauck, von der Leyen und Steinmeier die Bürger auf mehr Offenheit für Bundeswehr-Einsätze vorbereiten.

"Militärische Komponente in der Debatte überbewertet"

Die kompletten Redetexte geben das allerdings nicht so recht her, Steinmeier etwa spricht von Militär als äußerstem Mittel, Zurückhaltung bleibe geboten, nur dürfe man das eben nicht mit Heraushalten verwechseln. Daniela Schwarzer von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt jetzt - dreieinhalb Jahre später: "Die militärische Komponente wurde meiner Ansicht nach überbewertet. Da ist Deutschland letztendlich seiner verteidigungspolitischen Politik der Zurückhaltung eher treu geblieben."

Bei der Hauptaufgabe deutscher Außenpolitik in den Jahren 2014 bis 2017 ist deutsches Militär auch nicht gefragt – in der Ukraine-Krise. Russland annektiert die Krim – und Deutschland steigt schnell und ohne großen Widerspruch zum wichtigsten europäischen Vermittler auf.

Deutschland als ständiger Vermittler in der Ukraine-Krise

Das Normandie-Format wird geboren – damit Russland und die Ukraine mit deutscher und auch französischer Hilfe und Beteiligung im Gespräch bleiben. Vierer-Gespräche, immer wieder, auf der Ebene von Spitzenbeamten, unter den Außenministern – bis hin zu Viererrunden mit Merkel, Putin, Poroschenko und Hollande, mehrmals auch in Berlin. Die USA sind nicht dabei; Europa kümmert sich, anders als bei den Sanktionen gegen Russland, selbst um das Problem, und zwar unter deutscher Führung.

Für Deutschland ist diese Rolle allerdings nicht neu, sagt die Politik-Expertin Daniela Schwarzer: Deutschland sei quasi wider Willen in eine zentrale Rolle gerückt – und das nicht zum ersten Mal. Schon in der griechischen Verschuldungs- und Bankenkrise sei Deutschland zum maßgeblichen Akteur in der Frage geraten, wie Europa zusammengehalten werden könne und wie viel man bereit ist, dafür zu leisten.

Führungsmacht wider Willen – oder Zuchtmeister?

Deutschland, die Führungsmacht wider Willen – davon sprechen auch andere Wissenschaftler. Wieder andere schätzen Deutschland – gerade mit Bezug auf die Griechenland-Krise – ganz anders ein: als Zuchtmeister.

In Südeuropa dürften bei diesem Begriff viele das Bild von Wolfgang Schäuble im Kopf haben; deutsche Europapolitik wird in der Schuldenkrise zu einem ordentlichen Teil im Finanzministerium gemacht. Regelmäßig wird den Griechen von Deutschland aus zugerufen, sie müssten ihre Hausaufgaben machen. Deutsche Schulmeisterei, finden viele.

Flüchtlingskrise – Grenzen deutscher Führungsmacht

In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode tritt die Griechenland-Krise dann in der öffentlichen Wahrnehmung zurück – gesprochen wird jetzt fast nur noch über die Flüchtlingskrise, die vor allem der Kanzlerin die Grenzen der deutschen Führungskraft aufzeigt. Einen allseits akzeptierten Schlüssel für die Verteilung von Flüchtlingen kann Angela Merkel in Europa nicht ansatzweise durchsetzen.

Stattdessen bekommt es Deutschland mit einer Schwächung der Europäischen Union und einem Aufschwung des Nationalismus zu tun. Und zwar nicht nur in Europa – wie der Wahlsieg von Donald Trump zeigt. Was der Machtwechsel im Weißen Haus für Berlin bedeutet, zeigt sich am Tag nach der Wahl – als Angela Merkel dem künftigen US-Präsidenten Bedingungen für eine Zusammenarbeit stellt. Sie listet Werte wie Demokratie, Menschenwürde und Minderheitenrechte auf und bietet Trump ihre Partnerschaft ausdrücklich auf Basis dieser Werte an.

Zentrale Herausforderungen: Russland und USA

Für Daniela Schwarzer von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist Trumps Wahlsieg neben dem Verhältnis zu Russland die größte Herausforderung der deutschen Außenpolitik. Weil Trump die Nato und den freien Handel in Frage stellt. Die Konsequenz: Eine Rückbesinnung auf Europa und die Einsicht, dass Europa für sich und seine Nachbarschaft mehr Verantwortung übernehmen müsse.

Dabei dürfte Deutschland auch in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen. Seit 1990 ist diese Rolle gewachsen, einigermaßen stetig, die zu Ende gehende Legislaturperiode ist da keine Ausnahme, auch wenn es eine außenpolitisch besondere war. Auf absehbare Zeit ist Deutschland – ob als Zuchtmeister oder wider Willen – Führungsmacht in Europas Mitte.