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Medizin-Nobelpreis 2016 Preis geht an Zellbiologen Ohsumi

Sein Thema ist die Forschung zu Prozessen in den Zellen, der sogenannten Autophagie, der "Selbstverdauung" der Zellen. In diesem Jahr erhält der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi dafür den Nobelpreis für Medizin.

Stand: 04.10.2016 | Archiv

Medizin-Nobelpreis 2016 an den Zellforscher Yoshinori Ohsumi | Bild: picture-alliance/dpa

Der 71-jährige Japaner erhält den Medizin-Nobelpreis 2016 für die Entschlüsselung der lebenswichtigen Müllentsorgung in Körperzellen. Forscher hoffen dank Yoshinori Ohsumis Entdeckung, Therapien gegen diverse Krankheiten zu entwickeln.

Müllabfuhr der Körperzellen

Zellen haben die Fähigkeit, sich gewissermaßen selbst zu fressen: Sie bauen eigene Bestandteile ab, die der Organismus verwerten kann. Auch Fehlentwicklungen in der Zelle können durch diese Prozesse beeinflusst werden. Dieser Recyclingvorgang dient auch dazu, Viren oder Bakterien abzuwehren, ist also ein wichtiger Bestandteil der Immunabwehr des Körpers.

Funktioniert dieser Autophagie genannte Prozess nicht mehr, erstickt die Zelle an ihren eigenen Abfallprodukten. Das kann zu schweren Krankheiten wie Demenz, Alzheimer, Parkinson oder Diabetes Typ 2 führen. Die Forschung des Zellbiologen könnte es eines Tages möglich machen, ein solches gestörtes Zellrecycling künstlich wieder anzustoßen.

Preis für grundlegende Forschung

Der Molekularbiologe, der seit 2009 eine Professur am Institut für Technologie innehat, zeigte sich überrascht darüber, dass er die Ehrung erhält. Es sei, so Ohsumi, eine Freude für einen Forscher, die nicht zu übertreffen sei. Seit 27 Jahren arbeitet er an seinem Thema.

"Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich das alles verstanden habe. Es gibt noch vieles zu entdecken, und ich möchte meine Forschung weitertreiben."

Yoshinori Ohsumi

Mit den entscheidenden Experimenten startete der Forscher, der in Fachkreisen als offen, bescheiden und warmherzig gilt, erst in den frühen 1990er-Jahren. Gemeinsam mit seinem Team untersuchte er Hefezellen. Damals war bereits bekannt, dass bestimmte Zellorganellen, die Lysosomen, Zellbestandteile abbauen. Für diese Entdeckung hatte bereits 1974 Christian de Duve den Nobelpreis erhalten. Ohsumi identifzierte in den Hefezellen die am Recycling-Vorgang beteiligten Enzyme und fand auch die dafür verantwortlichen Gene. Später zeigte er, dass dieses System ähnlich auch beim Menschen existiert.

Ohsumi als Pionier in der Autophagie-Forschung

Dank seiner Pionierarbeit hätten wir heute ein Verständnis der Mechanismen von Autophagie, erklärte Maria Masucci, Mitglied der Nobelpreis-Jury. Ohsumi habe ein total neues Wissen darüber geschaffen, wie die Zelle ihren Inhalt recycelt, teilte das Komitee mit.

"Seine Entdeckungen haben den Weg geebnet, um die immense Wichtigkeit der Autophagie in vielen physiologischen Prozessen zu verstehen, beispielsweise bei der Anpassung an Mangelversorgung oder bei der Antwort auf Infektionen."

Nobelpreis-Komitee

So baut die Zelle in Hungerzeiten Bestandteile zur Energiegewinnung ab. Das System ist aber auch wichtig zur Bekämpfung von Infektionen, beim embryonalen Wachstum und bei der Reaktion auf Stress.

1974 hatte Oshumi an der Universität Tokio promoviert und anschließend drei Jahre an der Rockefeller Universität in New York geforscht. Nach seiner Rückkehr gründete er sein eigenes Labor in Tokio, wo er seit 2009 eine Professur am Institut für Technologie hat. 2006 wurde Oshumi schon mit dem Preis der Japan Academy und 2012 mit dem renommierten Kyoto-Preis geehrt.

Chronik: Medizin-Preisträger der vergangenen Jahre

  • 2015: William Campell (Irland), Satoshi Ōmura (Japan), Tu Youyou (China) für die Bekämpfung von krankheitsübertragenden Parasiten
  • 2014: John O'Keefe (USA) und das Ehepaar May-Britt und Edvard Moser (Norwegen) für ihre Forschungen darüber, wie das menschliche Gehirn Ortsinformationen speichert und verarbeitet
  • 2013: James Rothman (USA), Randy Schekman (USA) und Thomas Südhof (Deutschland u. USA) für ihre Entdeckungen zu Transportprozessen in Zellen.
  • 2012: Der Japaner Shinya Yamanaka und der Brite John Gurdon für ihre Entdeckung, wie sich reife, spezialisierte Körperzellen in unreife, pluripotente Zellen umprogrammieren lassen.
  • 2011: Der US-Forscher Bruce A. Beutler, der Franzose Jules A. Hoffmann und der Kanadier Ralph M. Steinman haben mit ihren Forschungen Schlüsselprinzipien der körpereigenen Immunabwehr aufgeklärt.
  • 2010: Der Brite Robert Edwards brachte die erste künstliche Befruchtung einer menschlichen Eizelle im Reagenzglas zustande - und schuf damit das erste "Retortenbaby".
  • 2009: Die US-Amerikaner Elizabeth H. Blackburn, Carol W. Greider und Jack W. Szostak haben herausgefunden, was Zellen altern lässt und dabei das "Jungbrunnen"-Enzym entdeckt.
  • 2008: Der Heidelberger Tumorforscher Harald zur Hausen für die Entdeckung der Papilloma-Viren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen, sowie die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung des Aidserregers HIV.
  • 2007: Die US-Forscher Mario R. Capecchi und Oliver Smithies sowie der Brite Martin J. Evans für ihre Technik, bei Versuchsmäusen gezielt Gene auszuschalten
  • 2006: Die US-Forscher Andrew Z. Fire und Craig C. Mello für eine
  • Technik, mit der sich Gene gezielt stumm schalten lassen.
  • 2005: Barry J. Marshall und J. Robin Warren (beide Australien) für die Entdeckung des Magenkeims Heliobacter pylori und dessen Rolle bei der Entstehung von Magengeschwüren.
  • 2004: Richard Axel und Linda Buck (beide USA) für die detailgenaue Enträtselung des Geruchssinns.
  • 2003: Paul C. Lauterbur (USA) und Sir Peter Mansfield (GB) für ihre Beiträge zur Anwendung der Kernspintomographie in der Medizin.
  • 2002: Sydney Brenner (GB), H. Robert Horovitz (USA) und John E. Sulston (GB) für die Erforschung des programmierten Zelltods als Grundlage zum Verständnis von Krebs, Aids und anderen Krankheiten.
  • 2001: Leland H. Hartwell (USA), Sir Paul M. Nurse (GB) und R. Timothy Hunt (GB) für Erkenntnisse über die Zellteilung, die neue Wege in der Krebstherapie ermöglichen.

Deutsche Medizin-Nobelpreisträger

Mit dem ersten Nobelpreis für Medizin wurde 1901 ein Deutscher ausgezeichnet: Emil von Behring. Er bekam ihn für seine Erfolge in der Serumtherapie, die im Kampf gegen die Diphtherie entscheidende Fortschritte brachte. Und die erste deutsche Frau, die einen Nobelpreis erhielt, bekam ihn ebenfalls im Fach Medizin. Zuletzt wurde 2013 ein Deutscher im Bereich Medizin geehrt: Thomas Südhof, der in Deutschland geboren wurde und aufwuchs, aber auch die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, hat mit zwei US-Kollegen das Rätsel gelöst, wie Zellen ihr Transportsystem organisieren. Einen Überblick über alle deutschen Medizin-Nobelpreisträger finden Sie in dieser Bildergalerie.


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