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"Watch the Med" Diese Hotline hilft Flüchtlingen in Seenot

Weil jedes Jahr hunderte Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, haben sich Helfer in ganz Europa und Nordafrika zusammengetan, um die Rettung auf See zu verbessern. Ihr Werkzeug ist eine Telefon-Hotline.

Von: Frank Seibert

Stand: 19.10.2015 | Archiv

Watch the Med | Bild: BR

Die Journalistin Lisa wohnt in Wien - rund eintausend Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Wenn das Telefon der 35-Jährigen klingelt, sind aber trotzdem oft Menschen am anderen Ende der Leitung, die hilflos auf hoher See treiben. Flüchtlinge, deren Boot gerade kentert. Sie rufen um Hilfe. Auf Arabisch oder Farsi. Lisas Aufgabe ist es, die entsprechende Küstenwache zu verständigen.

"Man versucht, möglichst schnell die Stimmung, wenn sie sehr aufgeregt ist, ein bisschen zu beruhigen, die richtige Sprache zu finden, in der man gut kommunizieren kann und dann eben recht zackig herauszufinden, wo dieses Boot ist und was es da für dringliche Notwendigkeiten gibt - manchmal sind Schwangere oder Verletzte dabei."

Lisa von Watch the Med

Vor etwa einem Jahr haben sich ungefähr einhundert Freiwillige aus ganz Europa und Nordafrika zusammengetan und die Organisation "Watch the Med" - also "Beobachte das Mittelmeer" - gegründet und ein Alarmphone für Flüchtlinge in Seenot eingerichtet. Aber: Wieso können sie nicht einfach direkt bei der Küstenwache anrufen?

"Wir haben gesehen, dass Seenotrettung teilweise nicht gemacht wird, weil es Kompetenzstreitigkeiten gibt oder politisch ein Interesse darin besteht, Menschen abzuschrecken."

Lisa von Watch the Med

Manchmal, so sagt Lisa, versuchen die Rettungsschiffe erst einmal langwierig zu klären, wer zuständig ist. Und schieben die Verantwortung hin und her. Kostbare Zeit, die verstreicht. Außerdem hätten die Küstenwachen auch häufig nicht die Sprachkenntnisse, um mit den Geflüchteten zu kommunizieren. Watch the Med arbeitet mit Übersetzern.

Mittlerweile sei die Nummer gut verbreitet, sagt Lisa. Auch, weil das Team die Nummer an den Küstenorten verteilt, von wo aus die Flüchtlinge starten. Immer öfter kämen die Notrufe auch über Facebook oder Whatsapp. Das Alarmphone ist vierundzwanzig Stunden besetzt, die Besetzung ist in drei Schichten eingeteilt. Die Schiffbrüchigen rufen eine zentrale Nummer an und haben dann zum Beispiel Lisa am Ohr. Bis zu zwölf Mal passiert das in einer Schicht. Und Lisa muss dann aus ihrer Wohnung heraus versuchen, die Menschen, die Todesängste haben, zu beruhigen. Keine einfache Situation.

"Ich glaube, es wäre seltsam, wenn man sagen würde, es ist mir, wenn die Schicht vorbei ist, egal, dass da womöglich jemand ertrinkt. Die Leute, die uns anrufen, sind ja die, die man verfolgen kann. Aber dann gibt es diese Tausenden, die überhaupt niemanden anrufen können und einfach ertrinken. Natürlich beschäftigt mich das."

Lisa von Watch the Med

Watch the Med will aber nicht nur den Menschen akut in ihrer Not helfen, sondern auch langfristig etwas verändern. Mit den Informationen von ihren Aktionen wollen sie politischen Druck erzeugen. Nach jedem Einsatz versucht Lisa deshalb herauszufinden, wie die Rettung verlaufen ist. Und dokumentiert alles auf der Webseite der Organisation.

Hotline des Alarmphones

+334 86 51 71 61

Es geht Lisa darum, sichtbar zu machen, wie viele Menschen auf dem Mittelmeer in Not geraten - und damit auch zu zeigen, wie viel Leid erspart werden könnte, wenn die Europäische Union ihre Grenzpolitik ändern würde.

"Es macht mich narrisch, zu sehen, dass ein vollkommen unnötiges Grenzregime aufgebaut wird, um das Leben von Menschen zu gefährden. Vor allem weil das Grenzregime de facto nicht funktioniert. Es stoppt ja keinen - zum Glück."

Lisa von Watch the Med

Die Schlepper, die die Leute in die Boote setzen, sind für Lisa nicht das eigentliche Problem. Denn die könnten überhaupt nur arbeiten, weil es nicht möglich ist, Grenzen legal zu passieren. Nur eines würde Watch the Med langfristig überflüssig machen, sagt Lisa: offene Grenzen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg - deswegen hilft Lisa weiter Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Europa. Per Telefon. Von ihrer Wohnung aus in Wien.


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