LGBTQI-Community Fünf Gründe, warum der CSD auch nach der "Ehe für alle" wichtig ist

2017 wurde die "Ehe für alle" beschlossen - also alles gut? Braucht es dann überhaupt noch Veranstaltungen wie den "Christopher Street Day"? Ja, den braucht es. Und wie!

Von: Robin Köhler

Stand: 12.07.2018 | Archiv

CSD-Grafik | Bild: BR

1. Die Diskriminierung gegen LGBTQI-Menschen hat nicht aufgehört.

Die offene Ablehnung gegenüber Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transgender und queeren Menschen hat in den letzten Jahren abgenommen. Aber: "Was wir heute sehen, sind vor allem subtile Formen der Abwertung", sagt Professorin Beate Küpper, die an der Hochschule Niederrhein zu dem Thema forscht. "Während heterosexuelle Paare ihre neue Liebe in der Öffentlichkeit und beim Familientreffen offen zeigen können, haben es gleichgeschlechtliche Paare nach wie vor schwerer." Bei einer Online-Befragung, die Küpper 2015 durchgeführt hat, gaben ein Fünftel der befragten Lesben und Schwulen an, dass es in ihren Familien nicht erwünscht ist, sich mit ihren Partnern zu zeigen. Ein Drittel sagte, dass die Familie das Thema leugnet oder totschweigt.

Und es gibt weitere Formen subtiler Diskriminierung: "Es wird nicht gesagt: Ich habe etwas gegen die! Aber viele sind gegen Förderung oder besondere Unterstützung dieser Menschen." 2017 ergab eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: 40 Prozent meinen, dass Homosexuelle zu viel Wirbel um ihre Sexualität machen. Immerhin ein Viertel der Befragten sagte, dass Homosexualität zu viel Platz in den Medien einnehme.

2. Wir sind weniger tolerant, als wir denken.

"An der Oberfläche ist die deutsche Gesellschaft sehr tolerant. 83% der Deutschen äußerten sich positiv über die Ehe für alle", sagt Küpper. Gegenüber der eigenen Toleranz herrscht allerdings auch Selbstüberschätzung. Denn je näher das Thema kommt, desto schneller schwindet auch Akzeptanz. "Einem schwulen Arbeitskollegen stehen viele positiv gegenüber. Wenn es aber um den Betreuer in der KiTa oder gar die eigenen Kinder geht, ist es deutlich weniger Leuten egal und oft sogar unangenehm."

Das hat laut Küpper auch historische Gründe: "Die Diskriminierung oder auch Verfolgung Homosexueller hat in Deutschland eine lange Geschichte." Erst im vergangenen Jahr ist beispielsweise entschieden worden, Homosexuellen, die aufgrund des abgeschafften Paragraphen 175 verurteilt wurden, eine Entschädigung zu zahlen. Der Paragraf hatte Sex zwischen Männern unter Strafe gestellt. "Auch wenn vieles besser geworden ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass das von heute auf morgen weg ist", sagt Küpper.

3. Wir solidarisieren uns mit der LGBTQI-Community im Ausland.

Mit Blick auf das Ausland sollten wir uns nicht selbst überschätzen. "Im Vergleich mit westeuropäischen Ländern ist Deutschland keineswegs besonders tolerant. Die Niederlande sind zum Beispiel deutlich weniger homophob", sagt Küpper. Trotzdem ist es richtig, dass es in süd- und osteuropäischen Ländern noch mehr offene Diskriminierung gegenüber der LGBTQI-Community gibt. Mit den LGBTQI-Communities aus genau diesen Ländern können wir uns auf dem CSD solidarisieren.

Beim WM-Gastgeber Russland steht seit einigen Jahren "Propaganda für Homosexualität" unter Strafe. Das heißt: Menschen dürfen sich vor Minderjährigen nicht positiv über gleichgeschlechtliche Liebe oder Sex äußern. Aktivisten beklagen, dass auch Küsse oder andere Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit so ausgelegt werden und jedes Bussi zu Strafen führen würde. Der CSD in Istanbul wurde Anfang Juli von der Polizei mit Gewalt unterdrückt und es kam zu einigen Festnahmen. Umso wichtiger, in Deutschland ein Zeichen zu setzen.

4. Rechte Parteien versuchen die Zeit zurückzudrehen.

Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Europa könnte bisherige Fortschritte gefährden. Laut Beate Küpper besteht durchaus die Gefahr von Rückfällen: "PEGIDA zum Beispiel ist gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes auf die Straße gegangen. Gleichzeitig waren dort Plakate zu sehen, auf denen stand, dass die Homoehe die Familie zerstöre." Studien zeigen, dass Personen mit antisemitischen, fremdenfeindlichen und antimuslimischen Einstellungen oft auch Vorurteile oder Abneigungen gegenüber Homosexuellen und Transgender-Menschen haben.

Das zeigt sich laut Küpper auch in Parteiprogrammen, beispielsweise bei der AfD: "Da werden Gender Studies und die Förderung von Gleichstellungsmaßnahmen abgelehnt. Das sind die gleichen Einstellungen, nur in politische Forderungen gegossen."

5. Die "Ehe für alle" löst nicht alle Probleme.

Wer denkt, dass mit der "Ehe für alle" das Thema Gleichberechtigung der LGBTQI-Community beendet ist, macht es sich zu leicht. Ja, gleichgeschlechtliche Paare können jetzt heiraten, Kinder adoptieren und genießen damit die gleichen Rechte wie heterosexuelle Ehepaare. Aber es gibt immer noch Benachteiligungen: Wenn zum Beispiel zwei lesbische Frauen ein Kind bekommen, gilt nur die biologische Mutter als Mutter. Ihre Partnerin muss noch ein aufwändiges Adoptionsverfahren durchlaufen, bevor beide als eingetragene Eltern gelten.

Nächster Punkt: Krankenkassen. "Die Hilfe bei künstlicher Befruchtung wird lediglich für heterosexuelle Paare gezahlt", sagt Küpper. Generell zeigen sich für lesbische Paare auf dem Weg zum eigenen Kind noch Benachteiligungen, da viele Spender ihre Samen nicht für homosexuelle Paare bereitstellen. Auf dem Weg zur Gleichberechtigung gibt es also noch viel zu tun, mehr als viele von uns denken. Deshalb: Auf zum CSD! Bunt und laut sein, abtanzen und ein Zeichen setzen. Love wins!

Sendung: Filter, 13.07.2018 - ab 15 Uhr