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Tracks der Woche #48/16 Husky, Schlachthofbronx feat. Riko Dan, Novaa, Sinkane, Yalta Club

Die Tracks der Woche zeigen Überlebensstrategien im postfaktischen Zeitalter: Musik als Ersatz-Religion, Widerstand im Untergrund, Flucht in eine Traumwelt, Optimismus oder selbst zum Rätsel werden.

Von: Sophie Kernbichl

Stand: 25.11.2016 | Archiv

Husky, Schlachthofbronx, Novaa, Sinkane, Yalta Club 2016 | Bild: Husky, Danny Jungslund, Edward Beierle, Sinkane, Yalta Club

Husky - Late Night Store

Passend zum Beginn der Glühwein- und Christkindlmarkt-Saison starten wir mit ein wenig Blasphemie: Mit seinen schulterlangen Naturlocken, dem Vollbart und seinem zutiefst zufriedenen Gesichtsausdruck sieht Husky Gawenda, Sänger der Band Husky, ein bisschen aus wie ein Indie-Jesus. Und mit ihrem gefühlvollen Folk haben sich Husky bereits eine beachtliche Jüngerschar erspielt. Ihr neuer Song "Late Night Store" zeigt, wie das australische Duo am liebsten Musik macht: minimalistischer Instrumentaleinsatz und volle Aufmerksamkeit auf die Vocals; denn gutes Songwriting ist den beiden heilig. Raus kommt dabei ein dezenter, aber nicht langweiliger Song, der sich bekannt und doch neu anfühlt. Nachdem die Jungs an ihrem letzten Album "Rucker’s Hill" drei Jahre lang geschraubt haben, war es fast etwas überraschend, dass es ein Jahr später schon einen neuen Song gibt und sogar schon Album Nummer drei angekündigt wurde.

Schlachthofbronx feat. Riko Dan - Copper And Lead

Das Münchner Duo Schlachthofbronx ist bekanntermaßen Verfechter des "Blurred Vision"-Prinzips, das auf einem eigens angefertigten Soundsystem basiert. Heißt konkret: Bass, bis die Sicht unscharf wird, weil alles wackelt und wummert. Die Leute sollen ihre Musik fühlen - und zwar im eigentlichen Wortsinn. Umso spannender wird es deshalb, wenn sich Schlachthofbronx noch einen fähigen Sänger dazuholen. Vor allem, wenn es sich dabei um den Londoner MC Riko Dan handelt, der die ersten Sekunden gleich mal a capella bestreitet - einfach, weil er es kann. Die rohen Rap-Parts, die typischen Schlachthofbronx-Beat und eine aufheulende Sirene im Hintergrund lassen "Copper and Lead" nach abgefuckter Lagerhalle unter den Bahngleisen klingen. Schlachthofbronx haben den Spaß an brachialen Songs nicht verloren, was auch auf der neuen EP "Haul & Pull Up" zu hören sein wird.

Novaa - Rose

Wenn ihr bis jetzt noch nichts von der kreidebleichen Frau mit den blauen Haaren gehört habt, dann haltet euch schon mal fest. Die Newcomerin aus Mannheim widmet sich einem selbstgegründeten Genre: Organic Electronic. Soll heißen, Novaa singt nicht einfach über ein von einem Produzenten vorgefertigtes Musikbett, sondern komponiert und bastelt alles eigenhändig. Und das alles im zarten Alter von 19 Jahren. Die gesamte Bandbreite ihres Könnens zeigt Novaa auf ihrem kürzlich erschienenen Album "Stolen Pieces". Neben acht weiteren Songs findet sich darauf auch die Single "Rose". Kein anderer Track inszeniert Novaas filigrane Stimme so gut wie dieser: ein bisschen Hall, dann ein reduzierter Gesangspart, bevor es mit hart geschnittenen Soundfetzen richtig schön verspult wird. "Rose" möchte kein massentauglicher Ohrwurm sein, sondern eine Reise ins Unbekannte. Ein wenig erinnert das Konzept an Kollegin Björk, von der die 19-Jährige bekennender Fan ist.

Sinkane - U'huh

Jemandem, der seine Single "U'huh" nennt, würde man für gewöhnlich nicht unbedingt Tiefgang und Raffinesse attestieren. Doch der Schein trügt, denn Sinkane sind durchaus ernst zu nehmende Musiker. Mit wechselnder Besetzung fusioniert der Londoner Ahmed Gallab gekonnt unterschiedliche Stilrichtungen. In "U'huh" trifft Free Jazz auf Funk und sudanesischen Pop. Dem Ganzen fehlt es weder an Soul noch an einer lebensbejahenden Message: "kulu shi tamaam" singt er auf Arabisch, was so viel heißt wie "alles ist großartig". Im Video zu "U'huh" flimmern historische Szenen von sozialen Unruhen in Detroit und Newark aus den 60ern über klobige Fernsehapparate, gleichzeitig wird aber auch ausgelassen gefeiert. Was Sinkane damit sagen wollen: Wir haben schon Schlimmeres überlebt, wir werden es auch dieses Mal hinkriegen. Mit dem für Februar 2017 angekündigten Album "Life & Livin' It" werden Sinkane hoffentlich noch mehr musikalischen Zuspruch finden.

Yalta Club - Stars

Yalta Club haben scheinbar eine Schwäche für griechische Mythologie: Ihre EP "ΜΙΔΑΣ" ist nach König Midas benannt, der sich von Dionysos wünschte, dass alles, was er berührt, zu Gold wird. Weil aber auch alles Essbare zu Gold wurde, wäre Midas beinahe kläglich verhungert. Eine hübsche Sage über die Gefahren der Maßlosigkeit, die sich - wie Yalta Club finden - ganz gut auf unsere Gesellschaft übertragen lässt. Seit dem Release der EP sind einige Monate vergangen und jetzt hat das französische Sextett die neue Single "Stars" veröffentlicht. Die klingt mit ihren fröhlichen Gitarren und dem pushenden Chor allerdings durchwegs positiv. Und auch der Text ist leicht verdaulich. Ein kompletter Sinneswandel oder alles nur ironisch gemeint? Bis zur Tour nächstes Jahr sind wir hoffentlich schlauer, dann kommt die rätselhafte Band Ende Januar nach München und Nürnberg.


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