Interview // Casper und Marteria über ihr Album "1982" "Oh mein Gott, the boys are back in town"

Endlich ist es da, das von Fans heiß ersehnte, erste gemeinsame Album von Casper und Marteria. Im Interview erzählen die beiden Rapper, wie sie die Zusammenarbeit noch näher gebracht hat und warum "1982" persönlicher ist, als ihre Soloplatten.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 29.08.2018 | Archiv

Brandenburg, Heimland: Die Musiker Marteria und Casper stellen ihr gemeinsames Album «1982» vor.  | Bild: picture alliance/Britta Pedersen/dpa

Wer auf Festivals unterwegs war - oder Casper und Marteria bei Insta folgt, hat das türkise Casteria-Mobil möglicherweise schon am ein oder anderen Ort in Deutschland erspäht: Die zwei Rapper aus Rostock und Bielefeld fahren seit Wochen mit dem aufgemotzten Chevy-Truck durch Deutschland. Zwischen Berlin, Ostsee, Taubertal und Ostwestfalen haben sie inzwischen ein paar tausend Kilometer runtergerissen, mehrere spontane Gigs auf der Ladefläche gespielt, die Heimat des jeweils anderen erkundet und viele, viele Gespräche hinterm Steuer geführt.

PULS: Ihr seid schon die ganze Zeit mit diesem türkisen Auto unterwegs - wer von euch hat das ausgesucht?

Casper: Wir beide zusammen. Wir haben ja den Song "Champion Sound" geschrieben. Und da haben wir uns gedacht - das ist vom Vibe ja total "Monster Truck"-ig. Und seitdem hat uns der Monster Truck nicht losgelassen. Dann sind wir auf automobile-suchen-und-finden-billig-kaufen-weltweit.de gegangen, haben den gefunden und umfolieren lassen.

Marteria: Der hat jetzt keine Straßenzulassung, aber ich sag mal, ein, zwei Autogramme für die Polizisten, dann geht das schon. Braucht halt zwei Spuren auf der Autobahn. (Anm. d. Red.: Der Truck hat ein Nummernschild)

Casper: Das ist ja wie unser Batman-Licht. Sobald man den Monster-Truck irgendwo stehen sieht, weiß man, "Oh mein Gott, the boys are back in town!"

Wenn man sich Videos von euch zwei anguckt - oder auch das "Track by Track" zum Album - da wirkt ihr wie so ein altes Ehepaar. Habt ihr das Gefühl selbst auch?

Marteria: Finden wir gut. Altes Ehepaar, das assoziiere ich ja mit sehr positiven Dingen: vertraut, blindes Verständnis, bleiben lange zusammen, trotz aller Schwierigkeiten, lieben Reisen, Teppiche und wir tuppern auch gerne.

Casper: Kauzige Essgewohnheiten auch. Aber bei uns wird nicht "Altes Ehepaar"-mäßig rumgezickt und wir schlafen auch nicht in getrennten Betten.

Abgesehen von Monster Trucks, Wrestling und Tuppern: Ihr habt wahnsinnig viel gemeinsam. Meint ihr, das ist Zufall?

Marteria: Das ist alles schön, aber auf der anderen Seite haben wir auch total viele Unterschiede, die das überhaupt interessant machen. Wenn Ben jetzt genauso wäre wie ich, dann wäre das ja mega langweilig. Da braucht man ja kein Kollabo-Album zu machen! Ich finde das ja gerade schön, dass wir auch sehr, sehr unterschiedlich sind und man vom anderen was abgucken kann oder guckt, wie der mit Sachen umgeht. Wir haben auch Phasen voller Ängste, wo man nicht weiß, ob etwas klappt oder nicht. Und das ist schon schön, dass wir uns haben und gegenseitig um Rat fragen können.

Casper: Vor allem ist es so, dass wir eine wichtige Phase in unseren Karrieren und unserem Leben auch ungefähr gleichzeitig bestritten haben - 2010, 2011 als unsere großen Alben erschienen sind. Der ganze Wirbel danach, wo wir quasi in einen Wirbelsturm der Euphorie, des Hypes und des Trubels geschubst wurden. Wenn ich mit Freunden, meiner Mutter oder meiner Frau darüber rede, können die schon irgendwie verstehen, dass das stressig ist oder war. Aber nur Marten kann das wahrscheinlich 1:1 nachvollziehen. Dadurch kann man viel tiefer über Erlebnisse reden.

Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Erinnert ihr euch noch an euer erstes Aufeinandertreffen?

Casper: Ich erinnere mich ziemlich gut daran. Das muss so 2000 gewesen sein. Da war ich mit meinen Homies aus der Rapcrew Kabelage aus Hannover unterwegs, mit denen ich früher auf ganz vielen Jams gespielt habe. Nach einem Jam bin ich noch mit den Jungs nach Hannover gefahren und wir sind in die "Faust" gegangen. Zur gleichen Zeit, war ein junger Marten Laciny bei der Bundeswehr, und da haben wir uns eben vor der "Faust" getroffen und ganz betrunken, ganz trottelig abgefreestylet. Und dann hab ich ihm eine meiner ganz naiv aufgenommenen Demo-CDs in die Hand gedrückt.

Marteria: Ich hatte leider keine Demo-CDs, sonst hätte ich dir natürlich auch eine gegeben.

Auf diese Begegnung spielt ihr auch in den Lyrics zum Opener "1982 (Als Ob’s Gestern War)" eures Albums an. Ich habe eh das Gefühl, dass ihr beide sehr viel konkreter mit eurer persönlichen Story umgeht auf den Lyrics zu "1982", als auf euren Soloalben bisher.

Marteria: Dadurch, dass wir beide daran geschrieben haben, kamen auf einmal sehr persönliche Sachen dabei raus, wo ich sehr schnell gemerkt habe: Wow, das ist irgendwie krass, das hab ich noch nicht gesagt. Das finde ich ganz wichtig bei Musik, dass man sich nicht wiederholt. Meine persönliche Lebensgeschichte habe ich in "Endboss" schon mal auf eine spielerische Weise dargestellt, was so mein erster Song war, den ein paar mehr Leute als meine Mutter und meine sechs Freunde gehört haben. Und auf "1982" ist es sehr, sehr echt dargestellt. Das ist mir auch schon beim Schreiben aufgefallen, dass das einfach so gekommen ist, das musste man nicht erzwingen. Das war was Besonderes.

Casper: Ich glaube, diese persönliche Note kommt auch daher, dass wir ja viele persönliche Gespräche geführt haben. "Hey, wie war denn bei euch so ein Freitagabend in der Kleinstadt?" Oder "Wie war's bei dir auf dem Dorf?" - "Naja, wir sind eben rumgefahren und haben geguckt, wie wir Scheiße bauen können." Da hat man drüber geredet, sich kaputtgelacht und dann: "Ey, das ist der Song!" Wir haben einen Beat gesucht, den Song gemacht und dann auch sehr unmittelbar Sachen geschrieben. Wie wir früher wie Idioten auf Partys Jacken geklaut haben, um da Geld zu zocken. Ich bin da jetzt nicht stolz drauf - aber das habe ich sonst nie so auf einem Song erzählt, obwohl wir das eine Weile immer gemacht haben. Das ist schon verrückt, dass das auf einer Kollabo-Platte passiert und nicht solo, aber ich führe das einfach darauf zurück, dass wir da diese ganzen Gespräche hatten.

Apropos Kleinstadt und Dorf: Ihr seid zusammen nach Ostwestfalen in Caspers Heimat gefahren - und an die Ostsee nach Rostock zu Marteria. Casper ist im Westen Deutschlands und in den USA groß geworden, Marteria im Osten. Merkt ihr da heute noch Unterschiede?

Casper: Ich find das schon oft krass, wenn wir rumfahren und uns unterhalten und ich sage: "Hey, kennst du das und das noch aus deiner Kindheit?" Und Marten antwortet dann "Nö, das gab’s bei uns nicht." Da hatten wir neulich erst das große "Wie war's im Osten?"-Gespräch. Das sind Sachen, die ich schon lange weiß, aber im Gespräch wurde mir noch mal vor Augen geführt, wie krass es ist, dass dieses Land geteilt war.

Marteria: Für dich ist das ja auch so gar nicht relevant gewesen. Du bist als kleines Kind nach Amerika gegangen und erst nach dem Mauerfall wieder gekommen. Für mich als Kind war das im Osten mega. Das war ja unfassbar kinderfreundlich, lange Ferien im Freien, zelten, man lernt sehr, sehr viel über die Natur. Man ist irgendwie mal nach Ungarn gefahren oder nach Prag - das ist jetzt auch nicht scheiße. Ich glaube, wenn dann im Teenager-Alter so ein Freiheitsgedanke kommt, dann geht der Scheiß los, weil man denkt, "Fuck, was soll das, warum kann ich da nicht hin?" Solche Gespräche habe ich mit meiner Mutter zum Beispiel auch viel. Die hatte einen Freund aus Westberlin und kam deswegen auch unter Beobachtung der Staatssicherheit, deswegen hat sie auch eine riesige Stasiakte. Was Wahnsinn ist!

Casper: Ich weiß noch, wo mir das zum ersten Mal klar wurde. Als wir wieder in Deutschland waren, hat mein Vater mir noch oft Post geschickt - und der hat immer noch West-Germany drauf geschrieben. Das "West" war aber immer durchgestrichen. Nach dem fünften, sechsten Mal habe ich meine Mutter gefragt, was da überhaupt los war.

Im Osten zieht es die jüngeren Leute ja eher weg, da verwaisen einige Gegenden geradezu. Marteria - ist das ein Grund, warum du, aber auch Bands aus eurem engeren Umfeld wie "Feine Sahne Fischfilet" und "Kraftklub", sich so für die Heimat engagieren?

Marteria: Auf jeden Fall. Ich bin sehr, sehr glücklich, dass es bei uns in Mecklenburg-Vorpommern jetzt Feine Sahne Fischfilet gibt. Die machen sehr viel mit ihrer "Noch nicht komplett im Arsch"-Kampagne und zeigen, dass es auch eine andere Seite gibt. Die stellen sich dagegen, alles dem Naziwahnsinn zu überlassen oder alles Fremde zu verurteilen. Das ist wichtig und genauso machen’s eben auch Kraftklub in ihrer Region, in Chemnitz und engagieren sich da sehr. Es gibt so unfassbar viele Idioten, gegen die man sich stemmen muss.

Casper: Wir sind ja in den letzten Wochen viel durch Dörfer getingelt - und ich komm auch aus einer dorfigen Gegend. Wenn man bei uns in Bösingfeld durch die Mittelstraße fährt, da waren früher ganz, ganz viele Läden. Da ist jetzt alles leer. Und die Leute werden frustrierter und genervter, die zieht’s dann immer mehr nach Bielefeld. Das schürt dann so einen ungesunden Frust und auch so eine irrationale Wut. Die sich dann kanalisiert auf irgendwelche Gruppen, die diese Wut nicht verdient haben. Und ich habe das Gefühl, dass das alles damit zu tun hat - die idiotischen Parolen und fragwürdige Parteien. So wie Amerika nicht New York oder L.A. ist, ist Deutschland ja auch nicht Berlin, Hamburg und München. Eigentlich ist es die 80 Prozent dazwischen. Ich glaube, da muss man richtig investieren - da muss man auch lokal- und großpolitisch in die Struktur und Modernisierung investieren. Weil ich glaube, dass man ein richtig zufriedenes Land nur mit einer zufriedenen Provinz haben kann.

Ihr spielt zusammen nächstes Jahr fünf Champion Sound Open Airs überall in Deutschland. Aber der südlichste Termin ist in Dresden, was ist mit euren Fans im Süden?

Casper: Da muss man mal kurz gespannt sein…

Sendung: Plattenbau, 30.9.20128 - ab 19 Uhr.