Interview mit Rechtsrock-Experte Dr. Thorsten Hindrichs Ist die deutsche Popmusik nach rechts gerückt?

Bands wie Frei.Wild oder Haudegen spicken ihre Texte mit Worten wie "Heimat" oder "Volk" - Begriffe, die auch Pegida und Co. gern nutzen. Der Erfolg, den sie damit haben, ist fast unheimlich. Wir wollten wissen, warum das so ist.

Von: Stefan Sommer

Stand: 16.03.2018 | Archiv

Thorsten Hindrichs | Bild: Andreas Linsenmann

Wo hört Deutschrock auf und wo fängt Rechtsrock an? Thorsten Hindrichs von der Universität Mainz kennt sich mit Bands wie Frei.Wild, den Böhsen Onkelz, Eisbrecher, der Goitzschen Front, Haudegen und Hämatom bestens aus. Seit Jahren erforscht er die Entwicklung deutscher Rockmusik und ihre Verbindungen zur rechten Szene. Mittlerweile ist der "neue Deutschrock" nämlich auch kommerziell erfolgreich und belegt regelmäßig die oberen Plätze der Albumcharts.

PULS: Herr Hindrichs, ist deutsche Popmusik nach rechts gerückt?

Thorsten Hindrichs: Ich glaube, man muss sehr vorsichtig sein, alle Deutschrockbands als "rechts" zu labeln. Nach dem ersten "Karriereende" der Böhsen Onkelz 2005 sind viele Bands in diese Lücke gestoßen, die ich als "neue Deutschrockszene" bezeichnen würde. Diese Bands beziehen sich auf einen Punkrock-Kontext und unterlegen das mit deutschen Texten. Inhaltlich wird dort oft mit Konstruktionen gearbeitet, die Anknüpfungspunkte für populistische oder sogar rechtspopulistische Einstellungen bieten. Die Vertreter dieser neuen Deutschrockszene inszenieren sich gerne als Underdogs, als Leute von unten - einfache Leute, die gegen das Establishment rebellieren oder zumindest vorgeben, das zu tun. Das ist eine Denkfigur, die wir auch in rechtspopulistischen Ideologien finden könnten. Aber: Frei.Wild haben sich beispielsweise deutlich gegen Pegida und AfD ausgesprochen.

Hat der neue Deutschrock rechtspopulistische Positionen salonfähiger gemacht?

Das ist ja nun leider keine Beobachtung, die nur für deutsche Popmusik gilt. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Heute ist es plötzlich möglich, Dinge auszusprechen, bei denen vor zwanzig Jahren noch eine Tabuisierung stattgefunden hatte. Das kulminiert dann alles in der berühmten Redewendung: "Das wird man ja noch sagen dürfen." In der Sarrazin-Debatte kam das auf. Popmusik ist so der Ausdruck, wie eine Gesellschaft zum aktuellen Zeitpunkt tickt. Das ist aber keine Einbahnstraße: Natürlich können auch Bands, indem wie sie sich artikulieren, solche Diskurse beeinflussen. 

Warum ist diese Musik gerade so erfolgreich?

Es passt zum Zeitgeist, es gibt momentan einen Markt dafür. Wenn es keine Leute gäbe, die sich mit Konstrukten wie "Heimat" auseinandersetzen würden oder stolz auf ihre "Heimat" wären, hätten diese Bands auch keinen Erfolg.

Die Texte dieser Bands handeln oft von einem Zusammenhalt gegen einen anonymen Feind. Wie funktioniert das?

Das ist die "Wir gegen die"-Konstruktion. Das kommt in vielen Varianten in diesen Texten vor: Wir, die einfachen Leute, die Leute von der Straße, das Volk - gegen die "da oben". Das ist aber keine Erfindung dieser neuen Deutschrockszene. Neu ist höchstens, dass sie das so konsequent und flächendeckend betreiben. Schon in den späten 70ern funktionierten Songs wie "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" von Marius Müller-Westernhagen sehr ähnlich. Alles spielte da auf seine Rolle in "Theo gegen den Rest der Welt" an. Das ist dieselbe Konstruktion: Theo als einfacher Arbeiter, der gegen die Bosse "da oben" rebelliert.

Was in dieser neuen Deutschrock-Szene das Wir-Gefühl verstärkt, ist die sehr enge Bindung an die Fans. Es gibt unglaublich viele neue Deutschrockbands, die ihre Fans als Familie begreifen und sich so inszenieren. Und es gibt wiederum viele Fanclubs, die sich als "Freunde" oder "Familie" der Band bezeichnen. 

Wer sind denn "die da oben" in dieser Szene?

Das ist manchmal schwer zu sagen. Bei Frei.Wild beispielsweise sind es "Gutmenschen und Moralapostel" und "Regierungskapellen", in anderen Fällen sind es "die Medien", "die Systempresse", "die Lügenpresse" oder "Akademikerinnen und Akademiker", die das Bild des "einfachen Menschen von unten" nicht so ganz erfüllen.

Neben diesen Feindbildern propagiert diese Szene auch ein ganz bestimmtes Männer-, und Frauenbild. Wie sieht das aus?

Das ist in der Tat auffällig, ja. Es sind Rollenbilder, die sehr konservativ bis archaisch angelegt sind. Das lässt sich daran beobachten, in welcher Weise Frauen thematisiert werden - falls sie überhaupt vorkommen. Das ist ein Phänomen, das fast auf alle Bands dieser Szene zutrifft: Es herrschen eher rückwärtsgewandte Rollenklischees vor. Das heißt, wenn es um Frauen geht, gibt es nur zwei Varianten: Heilige oder Hure. Es propagiert die Frau als Sehnsuchtssort, die Frau als das Mütterliche, die Frau, die zuhause auf den Helden wartet. Das ist die Frau in der neuen Deutschrockszene. Das passt bei Frei.Wild beispielsweise auch zu einem sehr seltsamen Volksbegriff, mit dem sie operieren. Ganz böse lässt sich das auf eine Blut-und-Boden-Ideologie runterbrechen. Das Südtiroler Volk wird bei Frei.Wild über Verwandtschaftsverhältnisse, über Genealogie definiert. Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik ist aber eben jeder Deutscher, der einen deutschen Pass hat. Fertig.

Frei.Wild positioniert sich öffentlich aber auch klar gegen jeden "politischen Extremismus". Wie passt das dazu?

Bei Frei.Wild ist auffällig, dass sie sich gegen Rechtsextremismus wie gegen Linksextremismus positionieren. Die Band setzt da rechts und links meist gleich. Das halte ich für sehr gefährlich. Rechtsextremismus funktioniert in Sachen Musik, Politik und Ideologie doch ganz anders, als die linke Szene - die ist doch wesentlich heterogener.

Im neuen Deutschrock sind also nicht alle Freunde von Frei.Wild oder den Böhsen Onkelz?

In den letzten Jahren hat sich eine einst sehr hermetische Szene geöfffnet - da beginnt etwas aufzubrechen. Anfang letzten Jahres hat sich die Band Haudegen zum Beispiel im Song "1939" sehr kritisch mit Frei.Wild auseinandergesetzt und auch in den sozialen Medien von ihren Erfahrungen bei Deutschrockfestivals gesprochen, wo regelmäßig schwarz-weiß-rote Fahnen geschwungen wurden. Sie haben deutlich gemacht, dass sie mit solchen Leuten nichts zu tun haben wollen. Ähnlich ist das bei der Goitzschen Front, die auf Konzerten mit "FCK Nazi"-Shirts auftreten und sich deutlich gegen Rechte positionieren. Da kann man allerdings beobachten, dass wenn sie solche Sujets in ihren Social-Media-Kanälen teilen, ihre Fans damit nicht grundsätzlich einverstanden sind. Das sind erste Anzeichen einer Veränderung in der Szene.

Sendung: Plattenbau, 19.03.2018 - ab 19.00 Uhr