beabadoobee, Soccer Mommy, Phoebe Bridgers Wie der Sound von Alanis Morissette & Co ein Revival erlebt

In den 90ern war Alanis Morissette ein Megastar, die mit ihrem Sound eine ganze Generation bewegte. 25 Jahre später klingen viele junge Sängerinnen wieder genau so - aber ihre Musik ist kein einfacher Abklatsch, sondern eine stimmige Weiterentwicklung.

Von: Jan Limpert

Stand: 05.08.2020 | Archiv

Pressebild von beabadoobee 2020 | Bild: Dirty Hits/Jordan Curtis Hughes

Vor 25 Jahren, am 13. Juni 1995 veröffentlichte Alanis Morissette ihr drittes Album "Jagged Little Pill". Es schlug auf der ganzen Welt ein, verkaufte sich bis heute über 30 Millionen Mal und machte die junge Frau mit Mütze und Cordhosen zum gefeierten Popstar. Der Hit "Ironic" läuft bis heute als Oldie bei einschlägigen Radiosendern.

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Alanis Morissette - Ironic (Official 4K Music Video) | Bild: Alanis Morissette (via YouTube)

Alanis Morissette - Ironic (Official 4K Music Video)

Am 31. Juli 2020 veröffentlichte Alanis Morissette ihr neuntes Album - es sollte ihr Comeback-Versuch sein. Doch viele Fans bedauerten, dass die acht Songs auf "Such pretty forks in the road" nicht mehr nach den alten Hits aus den 90ern klingen. Morissettes Stimme ist von der Zeit gezeichnet, ihre Songs dementsprechend angepasst und weit vom alten Hit-Potenzial entfernt. Der Sound ihres Erfolgsalbums, der damals schlicht als Post-Grunge oder Alternative Rock bezeichnet wurde, ist heute allerdings präsenter denn je.

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beabadoobee - Care | Bild: Beabadoobee (via YouTube)

beabadoobee - Care

Hört man sich die Songs von beabadoobee, Soccer Mommy, Phoebe Bridgers oder Clairo an, hat man das Gefühl, dass die jungen Sängerinnen nahtlos an "Jagged Little Pill" anknüpfen und neues Material direkt aus den 90ern liefern. Allen voran der eher unbekannte Morissette-Song "Perfect" wirkt wie eine Blaupause für die Songs der jungen Musikerinnen, die mit ihren melancholischen Gitarren-Tracks gerade Millionen von Hörer*innen abholen.

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Alanis Morissette Perfect | Bild: OoBelieveInAngelsOo (via YouTube)

Alanis Morissette Perfect

Die Weiterentwicklung einer Hitformel

Das Konzept ist leicht erklärt: die Songs leben von sanften und verträumten Gesangspassagen, die durch hallige, melodische E-Gitarren, Akustik-Gitarren und optional einfache, repetitive Drumbeats unterstützt werden, die die Songs stur nach vorne schieben.

Alanis Morissette war damals nicht die einzige, die in diese Kerbe schlug. Sheryl Crow, Tori Amos, Jewel - sie alle wurden mit einem ähnlichen Sound zu gefeierten Stars. Und heute völlig vergessene Bands wie Sixpence None the Richer konnten 1997 mit diesem Modell gleich zwei internationale Hits landen: "Kiss Me" und "There She Goes" – eine softe Cover-Version des gleichnamigen Songs der Band The La's.

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There She Goes (Official) | Bild: sixpenceofficial (via YouTube)

There She Goes (Official)

Es wäre allerdings falsch zu sagen, dass die neue Generation dieses Konzept einfach nur hirnlos vor sich hinproduzieren würden. Ganz im Gegenteil. Sie schnappen sich die essentiellen Teile, entwickeln Sound und Songstrukturen weiter und machen daraus ihr ganz eigenes Ding. So baut Phoebe Bridgers im Song "I Know The End" ein langes Outro mit Bläsern, Synthies und makabren Screams ein, wie man sie eher aus dem Metal kennt.

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Phoebe Bridgers - I Know the End (Official Video) | Bild: Phoebe Bridgers (via YouTube)

Phoebe Bridgers - I Know the End (Official Video)

Soccer Mommy setzt dagegen auf noch krassere Hall-Sounds und lässt "yellow is the new colour" mit einem Gitarren-Solo ausklingen, das in die Psychedelic-Richtung geht.

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Soccer Mommy - yellow is the color of her eyes (Official Music Video) | Bild: Soccer Mommy (via YouTube)

Soccer Mommy - yellow is the color of her eyes (Official Music Video)

Außerdem pushen einige der Musikerinnen Themen, die sonst eher weniger im Mainstream gehört werden, und kombinieren eingängige Songs mit queeren Texten. So beklagt beabadoobee in "She Plays Bass", dass sie gerne eine Bassistin daten würde:

"She plays bass, she plays bass.
Nothing matters 'cause we're both in space
How I wish we could just date
So you could teach me how to be more like you
Evif, ruof, eerht, owt, eno
Wish I was more like you"

beabadoobee in ‘She Plays Bass’

Der Wunsch, ihre Sexualität umkehren zu können wird symbolisch durch die rückwärts buchstabierten Worte Five, four, three, two, one ausgedrückt. Stumpfe Popsongs sehen anders aus.

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Bite The Hand | Bild: Julien Baker - Topic (via YouTube)

Bite The Hand

Die krasseste Weiterentwicklung des wiederbelebten 90er-Sounds haben jedoch ohne Zweifel boygenius hingelegt – eine Supergroup bestehend aus Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus. Der Sound des Trios klingt düster, durch den Einsatz von Mandolinen mitunter sehr folkig und die Texte sind aus der Perspektive queerer Frauen geschrieben. Dafür werden sie von Fans, Magazinen und Blogs gleichermaßen gefeiert.

"Here's the best part, distilled for you
But you want what I can't give to you
Your hands are grabbing while my hands are tied
I can't love you how you want me to"

Boygenius in ‘Bite the Hand’

Rabbit-Hole statt Algorithmus

Warum boygenius und Co. gerade innerhalb der letzten Jahre auf die Idee gekommen sind, Songs zu machen, die auf den ersten Blick wie ein Musikimport aus den 90ern klingen, kann man nicht genau sagen. Fest steht jedoch, dass das Wiederaufgreifen und Weiterentwickeln vergangener Sounds und Stile fester Bestandteil der Popmusik ist, sagt Prof. Dr. Jacke von der Uni Paderborn:

"Ich glaube, dass Popmusikkulturen immer mit Wiederholung und Innovation arbeiten und immer aufeinander verweisen. Man stelle sich eine verweisungslose Popmusikkultur vor – kann man kaum, wenn man mal wirklich mit dem Gedanken spielt. Pop ist ein großes Spielfeld zum Zitieren, Aufarbeiten, Verweisen, sich aber auch immer wieder Losreißen-Wollen."

Prof. Dr. Christoph Jacke, Studiengangsleiter Populäre Musik und Medien BA/MA an der Universität Paderborn; International Association for the Study of Popular Music

Ihre klangliche Nähe zu gewissen Künstlerinnen aus den 90ern ist für ihn auch eine Chance für die Hörer*innen, sich ernsthaft mit Musikgeschichte auseinanderzusetzen.

"Für uns war Alanis Morissette neu, für die jungen Leute sind das die genannten jüngeren Figuren. Dann wird geschaut, was die Orientierungspunkte sind und wie Popmusikgeschichte größer und länger geworden ist. Jede Generation hat ihre Alanis Morissette."

Prof. Dr. Christoph Jacke

Was Prof. Dr. Jacke beschreibt, ist die Möglichkeit durch Künstler*innen, die an Sounds von früher erinnern, Songs und Bands zu entdecken, die über die Jahre in Vergessenheit geraten sind. Das kann großen Spaß machen, denn so lassen sich Zusammenhänge erkennen und besser verstehen, wie Popmusik sich weiterentwickelt.

Ein Beispiel: beabadoobee nennt im Gespräch mit dem kanadischen Youtube-Kanal "Records in My Life" die Platte “Almost Happy” der eher unbekannten, belgischen Band K's Choice als großes Vorbild für ihren Sound.

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Almost Happy | Bild: K's Choice - Topic (via YouTube)

Almost Happy

Sucht man wiederum nach deren Einflüsse, kommt man schnell zu R.E.M. und von dort aus zu The Smiths und den Beatles. Und sind wir mal ehrlich: solche Nachforschungen auf eigene Faust funktionieren besser, als jeder Algorithmus auf einer Streaming-Plattform. Denn es sind ja strenggenommen die eigenen Lieblingskünslter*innen, die einem wiederum ihre Lieblingskünstler*innen weiterempfehlen - und nicht irgendeine seelenlose K.I.

Sendung: Plattenbau, 05.08.2020 - ab 19.00 Uhr