Videos von Bhakdi oder Wodarg, die eigenmächtige Corona-"Analyse" eines inzwischen suspendierten Mitarbeiters des Bundesinnenministeriums, die Rede vom angeblichen "Impfzwang" - geschickt von der Schwiegermutter oder vom Bruder, von der Schulfreundin oder der Kollegen: Das haben viele erlebt in den vergangenen Monaten.
Die Corona-Pandemie betrifft jede und jeden – und es zu ignorieren, wenn enge Bekannte oder Verwandte zweifelhafte Informationen teilen, halten Experten für problematisch. Nicht nur, weil es schwierig ist, sich ohne Streit zu begegnen, wenn man nicht dieselben Sicherheitsvorkehrungen treffen will, sondern auch, weil es während einer Virus-Pandemie unmittelbar gefährlich ist, falschen Informationen aufzusitzen.
Falschinformationen in Pandemie-Zeiten sind gefährlich
"Jede Entscheidung, die ich treffe in Bezug auf sichereres oder riskanteres Verhalten hat nicht nur Folgen für mich, sondern auch für andere", sagte Emily Vraga von der University of Minnesota zu den US-amerikanischen Faktencheckern von Politifact. Genau das macht es auch so wichtig, zu widersprechen.
Deshalb äußern sich viele Experten dazu, wie es funktionieren kann, mit Menschen zu sprechen, die an irreführende Inhalte glauben. Wir sammeln die Tipps.
Verunsicherung - oder Verschwörungsmythos?
Bevor man in eine Debatte einsteigt, ist es wichtig, eine Unterscheidung zu treffen: Begegnet man gerade einem Menschen, der verunsichert ist und deshalb dubiose Links und Videos verschickt – oder mit einem, der von Verschwörungsmythen fest überzeugt ist? Letztere sind, da sind sich Experten einig, kaum zu erreichen.
Bei Anhängern von Verschwörungsideologien ist eine Frage sehr beliebt: "Cui bono?" (Wem nützt es?) Diese Frage tragen sie oft wie einen Ausweis ihres kritischen Denkens mit sich. Die Frage ist aber ein rhetorischer Trick, kombiniert mit einem Fehlschluss. Wenn jemand von etwas profitiert, ist er nicht auch automatisch verantwortlich oder die Ursache dafür. Bei Verschwörungsmythen gelangt man mit dieser Frage allerdings nur zu unbeweisbaren Geschichten und einer unrealistisch klaren Trennung in Gut und Böse. Gerade bei der Coronavirus-Pandemie führt die Frage danach, wer davon profitiert, nicht zu den Ursachen. Wie bei solchen Menschen analytisches, wissenschaftliches Denken – weg von den Mustern der Verschwörungsmythen - gestärkt werden kann, können auch Experten kaum beantworten.
Sich selbst hinterfragen - immer
Es gebe dazu keine überzeugenden empirischen Untersuchungen, schrieb etwa Roland Imhoff in einer Antwort an BR24. Er ist Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz und forscht auch zu Verschwörungsmentalität. "Ich glaube, es kann schon sinnvoll sein, sich selbst und seine eingeübten Ansichten auch aktiv zu hinterfragen", schrieb er. Wie weit das aber eben führt, wenn sich selbst für eine kritisch denkende Person hält und damit bei Verschwörungsmythen als Antwort ankommt, ist unklar.
Deshalb sind Zeit und Kraft den Experten zufolge besser investiert in die Unsicheren, die tatsächlich noch Fragen haben.
Empathie ist wichtig bei der Diskussion über "Fake News"
Gerade in sozialen Netzwerken kann es laut einer Studie der Universitäten Cornell, Northeastern und Hamad Bin Khalifa einen Unterschied machen, die Fakten klar zu stellen. Besonders, wenn man die Person kennt.
Der erste Schritt ist, empathisch zu sein, Verständnis für die Verunsicherung zu zeigen. Es kommt darauf an, dem Gegenüber nicht das Gefühl zu geben, dumm oder naiv zu sein. Nicht so gut: "An so einen Mist glaubst du?" Besser: "Davon habe ich auch schon gehört. Und es ist derzeit wirklich nicht einfach, zu entscheiden, was man glauben soll oder was richtig ist." Wie der Familienpsychologe Joshua Coleman in The Atlantic erklärt, ist es wichtig, sich selbst offen für andere Argumente zu zeigen – denn damit ist implizit die Bitte verbunden, der andere möge das auch tun. Zu sagen: "Das könnte stimmen, aber ich habe auch einiges gelesen, was dem widerspricht. Darf ich dir das mal schicken?"
Es geht auch darum, anzustoßen, dass sich das Gegenüber selbst hinterfragt – und man sich selbst auch. Gerade bei Corona verbreiten fast alle Inhalte, deren Bedeutung man selbst nicht einschätzen kann wie Virologen oder Epidemiologen. "Hier wäre wichtig zu reflektieren, welchen Status oder welche Haltung man selbst zu diesen Inhalten hat", schrieb die Linguistin Sandra Reimann von der Universität Regensburg in einer Antwort an BR24. "Ist das die emotionale Perspektive? Hat man selbst den Expertenstatus (qua Ausbildung oder Studium)? Oder gibt es andere Gründe der Verbreitung?"
Verunsicherung hängt oft mit Gefühlen zusammen. Deshalb empfiehlt die Harvard-Forscherin Rachael Piltch-Loeb in The Atlantic, auch über die eigenen Gefühle zu sprechen: "Mir hat dieser Artikel hier geholfen, ich fühle mich wohler mit dem wissenschaftlichen Hintergrund darin."
Gefühle beschreiben - aber nicht gefühlsgetrieben sprechen
Aber: Empathisch bedeutet eben nicht, selbst emotional zu reagieren. Gefühle zu beschreiben, die bestimmte Informationen in einem auslösen, ist nicht dasselbe wie gefühlsgetrieben miteinander darüber zu reden. Aufgeregt, verärgert oder herablassend zu reagieren führe nur dazu, dass man sich weiter voneinander entferne, sagte Claire Wardle, Mitgründerin der Faktenchecker-Projekts First Draft News, in einem Interview.
Auch hier gilt: Besser als kategorisch zu widersprechen oder Überlegungen als irrsinnig abzutun ist, das Verbindende zu betonen – auf der Faktenebene. Die Frage, woher das Corona-Virus stammt, ist interessant. Das kann man zugestehen, ohne einem Verschwörungsmythos anzuhängen.
Den richtigen Ton zu finden, hängt allerdings auch vom Gegenüber ab. Erste Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass man den Ton wählen kann, der zur Beziehung passt, weil man auch sonst in einem solchen Ton miteinander redet – und sei es vielleicht sogar sarkastisch.
Die Beziehung und die Situation berücksichtigen
Um niemanden bloßzustellen, sollte man auch Beziehung und Situation berücksichtigen, in der man sich befindet. Vor anderen sollte man diplomatisch korrigieren – oder gleich nur unter vier Augen. Wer sich angegriffen fühlt, denkt weniger analytisch, wie Drew Margolin, Kommunikationswissenschaftlerin an der Cornell University bei Politifact erklärt,– was eine faktenbasierte Diskussion erschwert. In sozialen Medien kann es allerdings nützlich sein, öffentlich zu widersprechen – wegen der anderen Nutzer, die mitlesen.
Die Fakten betonen
Wer Falschinformationen korrigieren möchte, sollte auch darauf achten, das Falsche nicht zu wiederholen – sondern im Gespräch das zu betonen, was stimmt, schreibt der Faktenchecker Daniel Funke bei Politifact. Kommt man nicht drum herum, sich auf die Falschinformation zu berufen, kann man vage darauf verweisen: "Ich habe gesehen, was du zum Maskentragen geschrieben hast."
Wer selbst Quellen teilen will, denen er vertraut, sollte darauf achten, solche zu wählen, dem das Gegenüber vielleicht auch vertrauen kann. Wer zum Beispiel dem Robert-Koch-Institut nicht traut, sieht das beim Gesundheitsamt vor Ort vielleicht schon wieder etwas anders.
Und auch hier gilt: Mehrere Quellen sind besser als eine.
Manchmal kann es auch funktionieren, die Verantwortung für Falschinformationen nicht demjenigen zuzuschreiben, der sie weitergeschickt hat. Sondern zum Beispiel die Frage zu stellen, ob etwa die Aussage eines Politikers wirklich so gefallen sei – oder das Zitat vielleicht nicht ganz richtig wiedergegeben wurde.
Fazit
Fest überzeugte Anhänger von Verschwörungsmythen sind schwer von ihren Überzeugungen abzubringen. Mit Verunsicherten jedoch lohnt sich eine Diskussion. Dabei ist das Wichtigste, Empathie für die Unsicherheit zu zeigen und niemanden bloßzustellen. Beim Austausch von Quellen hilft es, zu bedenken, welche Quellen auch für das Gegenüber vertrauenswürdig sein könnten.
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