Archivbild vom 25.10.2021: Die Angeklagte Jennifer W. im Gerichtssaal.
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Die Bundesanwaltschaft forderte vor dem Oberlandesgericht München eine deutlich höhere Haftstrafe für die IS-Rückkehrerin Jennifer W.

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14 Jahre Haft für IS-Rückkehrerin Jennifer W.

Das Oberlandesgericht München hat die IS-Rückkehrerin Jennifer W. in einem Revisionsverfahren verurteilt – zu 14 Jahren Freiheitsstrafe. Vor rund acht Jahren hatte sie zugesehen, wie ein jesidisches Mädchen in praller Mittagssonne qualvoll starb.

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Seine Mandantin sei geschockt, sagte Verteidiger Tarig Elobied nach der Urteilsverkündung. Das Urteil sei enttäuschend und "etwas zu scharf".

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat die IS-Rückkehrerin Jennifer W. zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, in einem Fall mit Todesfolge. Die heute 32-jährige Frau aus Lohne in Niedersachsen war im Oktober 2021 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit noch zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die Bundesanwaltschaft ging in Revision und erreichte die Zurückverweisung an eine andere Strafkammer des Münchner Gerichts.

Der 9. Strafsenat fällte nun die Entscheidung im zweiten Verfahren. Anders als der 8. Strafsenat in der früheren Entscheidung vom Oktober 2021 ging das Gericht nun nicht mehr von einem minder schweren Fall aus.

Nebenklage: Angeklagte hat zentrale Rolle gespielt

Verteidiger Elobied hatte gefordert, dass es bei zehn Jahren Freiheitsstrafe bleibt. Im Gerichtsaal blieb die Angeklagte während der Urteilsverkündung regungslos – wie versteinert klammerte sie sich an ihren Stuhl. Auf der anderen Seite des Saals saß die Mutter des getöteten jesidischen Mädchens. Daneben eine Übersetzerin, die ihr die Worte der Richterin ins Ohr flüsterte.

Manchmal schaute die Mutter mit ihren traurig wirkenden Augen um sich. Schon im ersten Verfahren war sie immer wieder der Frau begegnet, die eine Mitschuld am Tod ihrer Tochter trägt. Das sei belastend, betonten die Anwälte der Jesidin. Jennifer W. habe lange geschwiegen – und so habe die Mutter immer wieder als Zeugin vor Gericht erscheinen müssen, um Jennifer W. die Tat nachzuweisen. Zermürbend sei das gewesen, so die Anwälte.

Die Mutter und ihre fünfjährige Tochter lebten 2015 im Irak – als Sklaven im Haushalt der Angeklagten und ihres Ehemanns. Die Mutter war Nebenklägerin im Prozess. "Die Reaktion unserer Mandantin ist, dass sie sich freut über dieses Urteil, aber natürlich auch sagt, dass es ihre Tochter nicht zurückbringt", sagte die Berliner Verteidigerin Nathalie von Wistinghausen. "Für uns war es von Anfang an offensichtlich, dass die Angeklagte eine ganz zentrale Rolle gespielt hat. Und das spiegelte sich immer in den Aussagen der Mandantin wider, dass die Angeklagte oft der Auslöser von Bestrafung durch ihren Ehemann war."

Jennifer W. war 2014 im Alter von 23 Jahren in das Herrschaftsgebiet des sogenannten Islamischen Staates (IS) gereist. Schon 2015 kehrte sie nach Deutschland zurück. Dort brachte sie auch ein Kind zur Welt. Erst 2018 konnte sie mithilfe eines V-Manns der US-Bundespolizei FBI überführt werden. Auf der Durchreise wurde sie an einer Raststätte in Neu-Ulm verhaftet. Weil die Verhaftung in Bayern erfolgte, musste sich die Niedersächsin in München vor Gericht verantworten. Fünf Jahre saß sie zuletzt in Untersuchungshaft, diese Dauer wird auf die nun verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Jennifer W. hielt Mutter Pistole an den Kopf

Gegen den Ehemann der Angeklagten hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main 2021 eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Er war es, der das Kind unter sengender Sonne angebunden hatte.

Sie habe – aus Angst, ihr Ehemann könne sie anschreien oder gar schubsen – dem kleinen Mädchen nicht geholfen, obwohl ihr das durchaus zuzumuten gewesen wäre, bilanzierte die Bundesanwaltschaft. "Sie hat gewusst, dass das Kind leiden wird", hieß es. "Handlungstreibend ist egoistische Bequemlichkeit."

Auch das Gericht ist davon überzeugt, dass die Angeklagte das Kind hätte retten können und der Mutter durch ihr Verhalten schwerste psychische Störungen zugefügt hat, unter denen sie bis heute leidet.

Sie hat die "Versklavung von Mutter und Tochter mitgetragen", sagte Gerichtssprecherin Bettina Kaestner. Außerdem habe Jennifer W. die Mutter mit einer Pistole bedroht, nachdem das Mädchen gestorben war. Sie habe so verhindert, dass die Mutter ihre Emotionen ausleben konnte. Bis heute leidet die Mutter laut Gutachten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil nach einer Revision der Bundesanwaltschaft in Teilen aufgehoben. So stand die IS-Rückkehrerin seit Juli wieder in München vor dem Oberlandesgericht. "Die Bundesanwaltschaft hat das Revisionsziel erreicht. Das Strafmaß liegt nur wenige Monate unter dem Strafmaß der Bundesanwaltschaft", sagte Bundesanwalt Jochen Weingarten, der 14 Jahre und sechs Monate gefordert hatte.

Jennifer W.: "Es tut mir leid"

Beim zweiten Verfahren in München veränderte Jennifer W. ihre Strategie. Sie räumte alle Taten umfassend ein, aber verwies auch darauf, dass es belastend sei, dass sich das Verfahren immer noch hinziehe. So sei sie nicht in der Lage, ihre Straftat aufzuarbeiten, sagte die Angeklagte. Lediglich das beim Verfassungsschutz Niedersachsen angesiedelte Aussteigerprogramm "Neustart" kümmere sich um sie.

Während des Verfahrens flossen auch Tränen. "Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid", sagte die Angeklagte: "Ich weiß, dass ich das absolut nicht gutmachen kann und dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann."

Sie habe sich "falsch verhalten im vorigen Verfahren", sagte die 32-Jährige, die selbst Mutter einer Tochter ist, nun. "Ich wollte es einfach nicht wahrhaben." Sie habe Angst gehabt vor der Strafe, aber nun wolle sie zu dem stehen, was sie getan habe. Es sei "wahrscheinlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt mal Verantwortung übernehme, und es tut mir leid, dass es so spät kommt."

Die Verfahren sind laut den Beteiligten für die jesidische Community ein Zeichen, dass die deutsche Justiz die Verbrechen des IS an den Jesiden konsequent aufarbeitet – auch ein Trost für die Mutter des getöteten Mädchens.

Im Video: IS-Rückkehrerin Jennifer W. zu 14 Jahren Haft verurteilt

Das Oberlandesgericht München hat die IS-Rückkehrerin Jennifer W. in einem Revisioinsverfahren zu 14 Jahren Haft verurteilt.
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Das Oberlandesgericht München hat die IS-Rückkehrerin Jennifer W. in einem Revisionsverfahren zu 14 Jahren Haft verurteilt.

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