09.09.2014: In dieser inzwischen geschlossenen Moschee soll Twana H.S. jahrelang aktiv gewesen sein.
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09.09.2014: Außenansicht der Darul-Quran-Moschee in der Ruppertstraße in München.

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Festgenommener IS-Mann war Behörden seit Langem bekannt

Ein irakisches Paar soll jesidische Mädchen versklavt haben. Am Dienstag wurden die mutmaßlichen Mitglieder der Terrororganisation Islamischer Staat in Bayern festgenommen. Der Mann ist den Behörden seit Langem als Salafist und IS-Mitglied bekannt.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Das in Bayern festgenommene irakische Paar, das jesidische Mädchen versklavt haben soll, ist den Behörden nach BR-Recherchen seit Langem bekannt. Der im Landkreis Roth festgenommene Mann Twana H.S., ein ehemaliger Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats (IS), war bereits 2019 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden.

In Münchner Moschee radikalisiert

Der 2002 erstmals nach Deutschland eingereiste Mann hatte sich laut damaliger Anklage in München radikalisiert. Seine Frau Asia R.A., mit der er nach islamischem Recht verheiratet ist, war mit ihm nach Deutschland gekommen. Nach BR-Informationen besuchte der inzwischen 42 Jahre alte Mann jahrelang die Münchner Darul Quran-Moschee, eine bekannte Salafisten-Moschee, die laut Bayerischem Verfassungsschutzbericht von 2015 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten geschlossen wurde. Er soll sich in München radikalisiert und der salafistischen Szene angehört haben.

2015 reiste er laut damaliger Anklage über die Türkei in den Irak aus, um sich dem IS anzuschließen. Er sei in dieser Zeit militärisch geschult worden und lernte unter anderem den Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- und Brandvorrichtungen. Später war er demnach Mitglied einer Kampftruppe.

Paar soll jesidische Mädchen versklavt haben

Wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Mittwoch mitteilte, soll das nun festgenommene IS-Paar spätestens seit Ende 2015 ein fünfjähriges Mädchen als Sklavin gehalten haben. 2017 soll ein zwölfjähriges Mädchen dazugekommen sein. Der Mann habe beide Kinder mehrmals vergewaltigt. Seine Frau habe dafür das Zimmer hergerichtet und eines der Mädchen geschminkt.

Die Mädchen hätten "unentwegt" Hausarbeit und Kinderbetreuung leisten müssen, hieß es weiter. Auf vermeintliche Verfehlungen sei mit körperlicher Gewalt reagiert worden. So habe Twana H. S. das ältere Mädchen einmal mit einem Besenstiel geschlagen. Seine Frau habe die Hand des kleineren Kindes mit heißem Wasser verbrüht und beide wiederholt dazu gezwungen, zur Bestrafung für jeweils eine halbe Stunde auf einem Bein zu stehen.

Kinder an andere IS-Mitglieder weitergereicht

Die Kinder hätten ihre eigene Religion nicht ausüben dürfen. Stattdessen mussten sie islamische Gebete und Glaubensregeln befolgen, wie die Bundesanwaltschaft weiter mitteilte. Vor der Ausreise aus Syrien im November 2017 habe das damalige Ehepaar die Mädchen an andere IS-Mitglieder weitergereicht. Dies alles habe dem erklärten Ziel des IS gedient, den jesidischen Glauben zu vernichten.

H. S. und R. A. wurden am Dienstag in Regensburg und dem Landkreis Roth festgenommen. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs habe Untersuchungshaft angeordnet. Sie seien des Völkermords, des Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechens und der Mitgliedschaft im IS dringend verdächtig.

Frau lebte mit ihren Kindern in Gemeinschaftsunterkunft

Die am Dienstagmorgen in Regensburg festgenommene 28 Jahre alte Frau war in einer Unterkunft für Asylsuchende an der Städtischen Sportanlage am Weinweg im Stadtwesten untergebracht. Das bestätigte die Regierung der Oberpfalz dem BR. Die festgenommene Irakerin lebte dort mit ihren zwei minderjährigen Kindern. Die Gemeinschaftsunterkunft besteht aus mehreren Containern, insgesamt leben dort etwa 85 Menschen, unter anderem aus Syrien, dem Irak, dem Iran sowie aus Äthiopien. In der Unterkunft sind vor allem Familien untergebracht, teilweise aber auch alleinreisende Personen. Die Stadt Regensburg hatte laut einer Sprecherin geprüft, die Frau abzuschieben. Dies sei aber rechtlich nicht möglich gewesen, weil sie einen Duldungs-Status habe.

Verteidigung betont Unschuldsvermutung

Die 28-jährige Asia R. A. wird in dem Verfahren von Strafverteidiger Shervin Ameri vertreten. Das bestätigte Ameri auf BR-Anfrage. Er sei bereits bei ihrer Festnahme am Dienstagmorgen dabei gewesen. Im Gespräch mit dem BR weist er auf die Unschuldsvermutung hin, die für seine Mandantin gelte. Zudem sei in Betracht zu ziehen, dass Asia A. in sehr jungen Jahren im IS-Gebiet zwangsverheiratet worden ist, so Ameri weiter.

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Die festgenommene Frau lebte in dieser Regensburger Unterkunft.

Zeugenaussagen führten zu dem Paar

Nach BR-Informationen sind die Ermittlungsbehörden den beiden Tatverdächtigen durch Zeugenaussagen auf die Schliche gekommen. Immer wieder sagen Leute, die selbst beim IS in Syrien waren, nach ihrer Rückkehr gegen andere zurückgekehrte IS-Anhänger aus. Auch im Fall des Ehepaars wäre das vorstellbar.

Salafismus ist eine Strömung innerhalb des Islamismus. Der Salafismus ist laut Bayerischem Verfassungsschutz die in den letzten Jahren am schnellsten gewachsene islamistische Strömung in Deutschland. Laut Verfassungsschutz umfasste 2022 die islamistische Szene in Deutschland 27.480 Personen.

Bereits in der Vergangenheit hat die Bundesanwaltschaft mehrere IS-Mitglieder in Deutschland verurteilt – meistens wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Allein seit Jahresbeginn wurden sechs mutmaßliche IS-Kämpfer und -Sympathisanten in Deutschland verhaftet. Es gibt auch Fälle, die dem der mutmaßlichen IS-Terroristin in Regensburg stark ähneln. Im Sommer vergangenen Jahres wurde die Deutsche Jennifer W. zu vierzehn Jahren Haft verurteilt. Sie hatte sich 2014 dem IS angeschlossen und im Irak mit ihrem Ehemann eine fünfjährige Jesidin verdursten lassen.

Friedensnobelpreisträgerin Murad äußert sich zu Festnahmen in Bayern

Am Donnerstag veröffentlichte die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad auf ihrer Website eine Stellungnahme zu den Festnahmen in Bayern. Sie bezeichnete die Vorwürfe gegen das Paar als "erschreckend". "Kein kleines Mädchen sollte jemals von seiner Familie getrennt und körperlich missbraucht werden. Kein Täter darf für diese Taten ungestraft davonkommen", so die Jesidin. Sie war selbst 2014 vom IS versklavt worden. Nach ihrer Flucht startete sie in Deutschland einen Neuanfang. Mittlerweile ist sie UN-Sonderbotschafterin.

Murad lobte in ihrem Statement Deutschlands "außergewöhnliches Engagement für Gerechtigkeit". Deutschland habe IS-Mitglieder zur Rechenschaft gezogen und diesen Terroristen keinen Zufluchtsort in Deutschland gegeben. "Andere Länder sollten dem Beispiel Deutschlands folgen", so Murad.

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