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Der Münchner Stadtrat hat entschieden: Statt einer Ausweitung des bereits bestehenden Dieselfahrverbots in der Innenstadt soll auf einem Abschnitt des Mittleren Rings Tempo 30 eingeführt werden. Was das jetzt für Autofahrer bedeutet.
Wo soll künftig Tempo 30 gelten?
Betroffen vom geplanten Tempolimit ist die Landshuter Allee, an der die Grenzwerte für das giftige Abgas Stickstoffdioxid noch immer regelmäßig überschritten werden. Tempo 30 soll künftig zwischen der Dachauer Straße und der Arnulfstraße gelten, also zwischen der Parkharfe am Olympiastadion und der Auffahrt zur Donnersbergerbrücke.
Wann kommt das Tempolimit?
Ab wann die neue Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Mittleren Ring gilt, ist noch unklar. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat im Stadtrat signalisiert, das Tempolimit schnellstmöglich einführen zu wollen. Gut möglich also, dass es bereits bis Sommer so weit sein wird.
Warum soll es ein Tempolimit geben?
Die Luft in München muss besser werden. Für gesundheitsbelastende Schadstoffe wie Stickstoffdioxid hat die EU gesetzliche Grenzwerte vorgeschrieben. Werden diese nicht eingehalten, sind Kommunen zum Handeln verpflichtet. An der Landshuter Allee sowie einer weiteren Hauptverkehrsstraße in München wird der geforderte Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 µg/m3 (Mikrogramm pro Kubikmeter) nach wie vor überschritten.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hatte die Stadt München im März dazu verurteilt, die Grenzwerte einzuhalten - und dafür ihr bereits bestehendes Dieselfahrverbot zu verschärfen. Dieses gilt seit Februar 2023 für Diesel der Abgasnorm 4 und schlechter - sowohl auf dem Mittleren Ring als auch innerhalb des Mittleren Rings. Eine Revision hatte das Gericht ausgeschlossen. Nun hat der Stadtrat aber entschieden, gegen diese Nicht-Zulassung Beschwerde einzulegen. Die Gründe für einen Revisions-Ausschluss habe das Gericht nicht ausreichend dargelegt, so Oberbürgermeister Reiter.
Einen Ausschluss aller Diesel-5-Fahrzeuge hält er ebenso wie die oppositionelle CSU für unverhältnismäßig. Vorerst soll es deshalb nun das Tempo-30-Limit richten. Das hat der Stadtrat unter anderem mit den Stimmen von SPD, CSU und der Freien Wähler beschlossen - auch gegen die Grünen, die die Stadt mit der SPD gemeinsam regieren. Diese hatten sich für ein Fahrverbot für Euro-5-Diesel auf und innerhalb des Mittleren Rings ausgesprochen. Oberbürgermeister Reiter ergänzte aber, er wolle sich erst noch bei der Rechtsaufsicht der Regierung von Oberbayern erkundigen, ob der Tempo-30-Beschluss rechtlich möglich ist.
Ist das Fahrverbot für Euro-5-Diesel nun vom Tisch?
Nein. Erst muss die Stadt nun Beschwerde beim Gericht einlegen. Ist sie damit nicht erfolgreich, bleibt es dabei: Die Stadt kann keine Revision einlegen - und das Urteil des BayVGH vom März ist rechtskräftig. Wenn die Stadt mit ihrer Beschwerde aber Erfolg hat, wäre es möglich, Revision gegen das Urteil einzulegen. Sollte der Fall dann neu aufgerollt werden und die Stadt Recht bekommen, wäre ein verschärftes Dieselfahrverbot vom Tisch. Wenn nicht, gilt nach wie vor das Urteil vom März: Die Stadt muss ihr Dieselfahrverbot verschärfen.
Dann ginge es nur noch um die Frage, ob sie sich für ein zonales oder ein streckenbezogenes Fahrverbot für Diesel der Abgasnorm 5 entscheidet. Ein zonales Fahrverbot würde in der gesamten Umweltzone, also auf und innerhalb des Mittleren Rings, gelten. Ein streckenbezogenes Fahrverbot würde Euro-5-Diesel nur von den besonders belasteten Straßenabschnitten ausschließen.
Zudem hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bereits rechtliche Schritte gegen die Entscheidung des Münchner Stadtrats angekündigt. Man wolle mit allen rechtlichen Mitteln sicherstellen, dass die Stadt das Urteil des BayVGH schnellstmöglich umsetzt, teilt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch mit. Auch den Landesrechnungshof wolle man einschalten - wegen Verschleuderung von Haushaltsmitteln für eine offenkundig erfolglose Beschwerde.
Was bringt ein Tempo-30-Limit?
Das ist umstritten. Klaus Bogenberger, Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität München, erklärte im Gespräch mit BR24: Grundsätzlich verbrauche ein Auto weniger, wenn es 30 km/h fährt, als wenn es 50 km/h fährt. Jedoch sei der Mittlere Ring zu Spitzenzeiten, also morgens und nachmittags im Berufsverkehr, so überlastet, dass sowieso kein Auto schneller als 30 km/h fahren kann. "Dann ist es wurscht, dann kann man theoretisch auch Tempo 200 anordnen", sagt Bogenberger. Er rechnet deshalb damit, dass das neue Tempolimit in der Rush Hour keine Veränderungen bringen werde. In den Randzeiten hingegen sei durch die Maßnahme eine leichte Reduktion von Schadstoff-Emissionen zu erwarten. Ob das allerdings zur Einhaltung der Grenzwerte reicht, sei fraglich.
Zudem befürchtet der Verkehrsforscher, dass der Mittlere Ring durch das Tempolimit für viele Autofahrer unattraktiver wird. Der Verkehr könnte sich auf andere Straßen verlagern. Dennoch hält es Bogenberger für richtig, dass die Stadt eine Ausweitung des Dieselfahrverbots erst einmal verhindert hat. Ein solches würde zu viele Autofahrer aus der Umweltzone ausschließen, meint er.
Umweltreferentin Christine Kugler machte in der Stadtratssitzung klar, dass es keine ausreichenden Beweise gebe, dass ein Tempo-30-Limit auf dem Mittleren Ring maßgeblich dazu beitragen wird, die Schadstoffwerte zu reduzieren. Daher sei fraglich, ob das nun beschlossene Tempolimit überhaupt rechtens sei. Sie warnte vor juristischen Folgen für die Stadt. Ähnlich sieht es die DUH, die die Stadt vor dem Verwaltungsgerichtshof verklagt hatte. Tempo 30 reiche nicht aus, um die Überschreitungen der Grenzwerte zu beheben, erklärte Bundesgeschäftsführer Resch.
Der ADAC begrüßte indes die Entscheidung des Münchner Stadtrats. Es gelte nun erstmal zu prüfen, ob die niedrigeren Geschwindigkeiten einen Einfluss auf die Luftqualität haben.
Führt Tempo 30 zu mehr Stau?
Eine häufige Annahme ist, dass eine innerstädtische Hauptverkehrsstraße mit einem Tempolimit von 30 km/h weniger Verkehr bewältigen kann als eine Hauptverkehrsstraße, auf der Tempo 50 gilt. Nach einer Studie des Umweltbundesamts ist dies jedoch nicht zutreffend. Demnach hat eine niedrigere Höchstgeschwindigkeit in den meisten Fällen keinen nennenswerten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Hauptverkehrsstraße. Vielmehr sei die Dauer der Grünphasen entscheidend. Sofern sich die Fahrer an den Mindestabstand halten ("halber Tacho in Metern"), liege der zeitliche Abstand zwischen den fahrenden Autos immer bei 1,8 Sekunden - ob sie nun mit einem Tempo von 30 oder 50 km/h fahren. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich 2.000 Fahrzeuge pro Stunde und Fahrstreifen passieren können - egal, ob das Tempolimit bei 30 oder 50 km/h liegt.
Der Verkehrsfluss könne jedoch gestört werden, wenn die Koordinierung der Ampeln und die Dauer der Grünphasen nicht an die veränderte Höchstgeschwindigkeit angepasst wird, schreibt das Umweltbundesamt. Verkehrsforscher Bogenberger geht davon aus, dass es durch das Tempo-30-Limit auf dem Mittleren Ring weder mehr noch weniger Stau geben wird.
Nimmt die Stadt jetzt mehr Geld durch Radarkontrollen ein?
Viele BR24-User beklagen in den Kommentarspalten, dass die Stadt durch das Tempo-30-Limit mehr Geld durch Radarkontrollen einnehmen wird. Bogenberger sagt dazu auf BR24-Anfrage: "Die Maßnahme als Geldmacherei zu bezeichnen, ist Quatsch." Die Stadt sei schließlich vom BayVGH zum Handeln verpflichtet worden.
Das Umweltbundesamt hat indes die Ergebnisse von mehreren Begleituntersuchungen an Tempo-30-Strecken in Deutschland verglichen. Grundsätzlich werden demnach Tempo-30-Limits häufiger überschritten als Tempo 50. Dennoch nimmt die durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit um bis zu 16 km/h ab, sobald die zugelassene Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h reduziert wird. Mit Geschwindigkeitskontrollen liegt der Rückgang bei bis zu 18 km/h. Vor allem besonders hohe Geschwindigkeiten nehmen demnach ab. Der Gewöhnungseffekt spielt eine wichtige Rolle: Je länger das Tempolimit gilt, desto besser wird es eingehalten. Dennoch weist das Umweltbundesamt darauf hin, dass es bei den Wirkungen von Tempo-30-Limits große Schwankungsbreiten gibt.
Komme ich in München mit meinem Euro-4-Diesel noch irgendwo hin?
Seit dem 1. Februar 2023 sind die Münchner Innenstadt und der Mittlere Ring tabu für Euro-4-Diesel (Fahrzeuge wurden zugelassen von Anfang 2006 bis Ende 2010) und niedriger. Und doch gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel: Für Anwohner, Handwerker, Lieferverkehr oder auch Taxis gilt das Verbot nicht. Daneben gibt es zu beantragende Einzelgenehmigungen beispielsweise für Sozial- und Pflegedienste, regelmäßige Arztbesuche, für Fahrzeuge mit Spezialumbauten für Schwerbehinderte. Außerdem darf die Großmarkthalle angefahren werden, sowie der Autoreisezug, die Parkharfe am Olympiapark und der Campingplatz Thalkirchen.
Dieser Artikel ist erstmals am 25. April 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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