Report München


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Verzögerte Energiewende Solardächer ohne Anschluss, Stromnetze im Dauerstress

Auf vielen deutschen Dächern befinden sich längst betriebsbereite Solaranlagen. Doch Strom können die Betreiber nicht einspeisen. Begründung: Zähler werden nicht installiert, der Netzbetreiber bittet um Geduld. Ohne Zähler darf keine Anlage angeschlossen werden. Oft müssen die Hauseigentümer viele Monate, ja sogar jahrelang warten. Besonders ärgerlich: Die Eigentümer müssen ihre teuren Anlagen abbezahlen; obwohl diese keine Einnahmen bringen.

Von: Nadja Armbrust, Ulrich Hagmann

Stand: 29.08.2023

Hochsommer in Deutschland. Erntezeit für Solardachbesitzer.  
In dieser Gemeinde wird die Energiewende ernstgenommen. Flossenbürg, in Bayern.

Auch Werner Rosner und seine Schwester haben im Frühjahr viel Geld investiert, hoffen jetzt im Sommer auf die ersten Einnahmen.   

"Wie schauts aus? Machen wir Strom?"

Irmgard Heinrich, Rentnerin

"Wir würden momentan 15 KW machen. Machen wir auch. Aber können wir nicht abrechnen."

Werner Rosner

Wie kann das sein? Die Solarzellen können Strom produzieren. Sie dürfen ihn aber nicht ins Netz einspeisen. Stillstand für ihre zwei Solaranlagen: eine gehört Werner Rosner, die andere seiner Schwester.

"Ich habe 30.000 Euro bezahlt und kann es nicht jetzt nicht nutzen. Da will man was machen für die Energiewende. Und dann geschieht nichts."

 Irmgard Heinrich

Seit Mai sind die Anlagen voll funktionsfähig. Wo das eigentliche Problem liegt, zeigen sie uns im Keller.  Es fehlt ein neuer Zähler.

"Das ist der Zähler. Jetzt läuft er noch in die richtige Richtung."

 Werner Rosner, Wirtschaftsingenieur

Dieser alte Zähler zählt den Strom, der hier verbraucht wird. Wäre die voll funktionsfähige Anlage angeschlossen, würde dieser Zähler rückwärtslaufen.  

"Wir können das ja mal einschalten, dass man den Zähler rückwärtslaufen sieht."

 Werner Rosner

"Das ist doch nicht erlaubt, oder?"

 Reporter

"Das ist nicht erlaubt, weil man da quasi den bereits verbrauchten Strom wieder abzieht, den man jetzt erzeugt."

Werner Rosner

"Jetzt sieht man, der rote Streifen, siehst!"

 Irmgard Heinrich

"Jetzt sieht man es, jetzt kommt das rote, das geht rückwärts."

 Werner Rosner  

Rückwärts laufende Zähler sind noch streng verboten. Werner Rosner hat die Anlage gleich wieder abgeschaltet. Er wartet schon seit Monaten auf die Installation eines neuen Zählers, der seinen produzierten Strom erfassen kann. 

Und er ist nicht der einzige in Flossenbürg. 

"Robert, bist du schon am Netz?"

Werner Rosner

"Wir haben im April einen Auftrag vergeben. Waren am 19. Mai fertig mit dem Installieren. Seitdem darf ich die Anlage nicht betreiben.
Die Politik fordert ja, man soll was machen, man soll was machen, dann macht man was und kann dann eigentlich nicht einspeisen, das ist ja eigentlich hirnrissig."

Robert Stahl, Bankkaufmann 

Werner Rosner weiß allein in Flossenbürg von mehreren Solardächern, die auf Anschluss warten.
Diese Anlage ist schon seit März fertig und immer noch nicht am Netz, weil der Zähler fehlt.

"Vor allem man muss halt immer sehen, es ist keine staatliche Behörde. Es sind Gelder, die die Leute aus Ihrer Tasche zahlen privat, um die Energiewende voranzubringen."

 Werner Rosner

Ein Problem nur in Flossenbürg? 
Wir fragen nach beim Bundesverband der Solarwirtschaft.  

"Man kann generell inzwischen sagen, dass Verzögerungen beim Netzanschluss zu den großen Bremsklötzen der Energiewende zählen, nicht nur in einzelnen Bundesländern, sondern bundesweit."

 Carsten Körnig, Geschäftsführer Bundesverband der Solarwirtschaft 

Dabei boomt der Sonnenstrom. Und es soll noch viel mehr werden.   
Laut Prognosen wird sich die Photovoltaikleistung in fünf Jahren verdreifacht haben, in zehn Jahren verfünffacht.
Und 2045 soll es 8-mal so viel sein. Darauf scheinen die Netzbetreiber nicht gut vorbereitet.  

"Dass man sich nicht rechtzeitig darauf eingestellt hat, dass auch Netzausbau eben nicht in hinreichendem Maße rechtzeitig auch angestrebt wurde. Hinzu kommt sehr viel Bürokratie."

 Carsten Körnig

Viel Bürokratie - das beklagt auch Werner Rosner. Seit Monaten kämpft er um einen Termin für den Zählereinbau. Jetzt hat er es endlich geschafft.
Doch der Monteur muss nun erstmal prüfen, ob die Anlage technisch ok und anschlussfähig ist.

"Die Anlage ist doch schon gelaufen, ne. Die läuft doch schon. Der Zähler läuft doch schon rückwärts."

Ulrich Heinz, Elektromeister 

"Momentan nicht ..."

Werner Rosner

"Ist aber rückwärtsgelaufen."

Ulrich Heinz

"Ja zum Ausprobieren."

Werner Rosner

"Nee, ne schon a bisserl mehr."

Ulrich Heinz

"Das sehen Sie?"

Reporter

"Das sehe ich!"

Ulrich Heinz

"Das normale Netz, das läuft 30 Jahre in dem Haus und jetzt plötzlich kommen 40 KW vom Dach, die in die andere Richtung schieben (...) das ist halt ganz schwer dann zu kalkulieren. Dass immer genug Strom da ist, wenn er gebraucht wird und dass aber der Strom, der anfällt, weggeleitet werden kann."

Ulrich Heinz

Solarstrom vom Dach wird aus Privathäusern überwiegend über das Niederspannungsnetz weitergeleitet. Das ist das Netz, das die einzelnen Haushalte mit Strom versorgt.

Diese Leitungen sind vielerorts zu schwach, um große Mengen an Solarstrom wegzuleiten oder viel Strom für Wärmepumpen und E-Ladestationen zu liefern.  
Große Strommengen z. B. von Offshore-Windparks werden über Stromautobahnen zu Verteilerpunkten gebracht.  
Wie eng es wird im deutschen Stromnetz, spüren sie hier: Im Schaltleitungsraum von Tennet, einem der vier Betreiber der großen Stromautobahnen. Die Netze sind auf die Kraftwerke der Vergangenheit ausgelegt.

"Damals haben wir sehr wenige, planbare Kraftwerke gehabt und jetzt haben wir wesentlich mehr erneuerbare Energien als Erzeuger, die sind aber abhängig vom Wetter und das heißt wir müssen jetzt reagieren und das führt dazu, dass wir viel mehr eingreifen in unseren Netzbetrieb. Während wir vor 20 Jahren zwei bis dreimal im Jahr eingegriffen haben, machen wir es heute 20 - 30-mal am Tag."

Tim Meyerjürgens, Netzbetreiber TenneT 

Die Stromautobahnen müssen dringend ausgebaut werden, aber auch die Mittelspannung- und Niederspannungsnetze. Das deutsche Stromnetz scheint der Energiewende im jetzigen Zustand nicht gewachsen. Mit Folgen.

"Es vergeht praktisch kein Tag, in denen wir nicht mit Fällen konfrontiert sind, wo Wärmepumpen nicht in Betrieb genommen werden können, weil das Stromnetz nicht ausreichend ist, weil die letzten 100, 200 Meter bis zum Verteilknoten nicht ausreichend sind, weil eben inzwischen schon viele Wärmepumpen eingebaut werden. Und deswegen brauchen wir dringend eine Ertüchtigung der Energienetze in Deutschland. Sonst lässt sich die Wärmewende definitiv nicht umsetzen."

 Kai Warnecke, Haus und Grund 

Verzögern unzureichende Stromnetze die Energiewende? Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft räumt ein: es gebe Netzausbaubedarf. Außerdem:

"Gerade seit letztem Jahr sehen wir eine enorme exponentielle Zunahme dieser Netzanschlussbegehren. Viele Netzbetreiber fahren Sonderschichten, um diesen enormen Anstieg zu bewältigen. Zum Teil, bis Samstagsarbeit versuchen die, das hinzubekommen."

Andrees Gentzsch, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft

Für ein Interview hat Robert Habeck keine Zeit. Sein Sprecher verweist auf einen Gesetzentwurf zur Entbürokratisierung. So will die Regierung den Anschluss von Solaranlagen ab 2024 erleichtern und beschleunigen. 

In Flossenbürg wird es spannend. Die neuen Zähler sollen gesetzt werden.

"So geht’s alle mal zurück, bitte!"

Ulrich Heinz

"Ist das jetzt gefährlich?"

Reporter

"Das ist Arbeiten unter Spannung."

Ulrich Heinz

 Doch es gibt ein Problem.

"Die Anlage entspricht nicht mehr den technischen Anschlussbedingungen."

Ulrich Heinz

Es fehlen zwei Notabschalter.

"Hier müssen zwei Dinger nachgerüstet werden. Sie haben vier Wochen Zeit das zu machen, sonst wird die Anlage stillgelegt. Tut mir leid, aber Sie müssen dafür unterschreiben."

Ulrich Heinz

"Jetzt geht es nochmal weiter!"

Werner Rosner

"Dann bedanke ich mich nochmal."

Werner Rosner

"Alles Gute!"

Ulrich Heinz

Werner Rosner hat die Mängel beheben lassen. Merkwürdig: Unmittelbar nach unseren Dreharbeiten wurde bei einem Teil der Betroffenen in Flossenbürg der Zähler eingebaut. Doch andere warten noch heute.

Manuskript des report-Films zum Druck

Manuskript als PDF:


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Krawitzki, Dienstag, 10.Oktober 2023, 22:02 Uhr

1. Solar

Da komme ich heute Abend aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Die Blauäugigkeit unserer Politiker ist - so würde Einstein urteilen - unendlich - beim Weltall bin ich nicht so sicher.
Als pensionierter Vollstreckungsbeamter darf ich lachen... oder ?

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