Report München


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Teufelsangst und Psychotricks Wie radikale Salafisten junge Muslime ködern

Immer wieder wird behauptet, junge Menschen schließen sich radikalen Salafisten aus Wut über ihre Armut und eine soziale Ausgrenzung an, um dann in Syrien und Irak für den sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen. Doch unter Deutschlands radikalen Salafisten befinden sich eine ganze Reihe von jungen Männern aus bürgerlichen Verhältnissen mit einer ordentlichen Schulausbildung und besten Zukunftsperspektiven. Gemeinsame Recherchen der FAZ und report München legen nahe, dass Methoden, die an Psychosekten erinnern, bei der Rekrutierung und Radikalisierung junger Muslime eine Rolle spielen können.

Von: Stefan Meining, Ahmet Senyurt

Stand: 24.02.2015 | Archiv

Ein Haus in Ruhrgebiet um drei Uhr morgens. Nachbarn hören laute Schreie. Sie eilen zur Hilfe. Ein Mann mit verbrannten Fußsohlen öffnet die Tür. Er heißt Silvio Steffen Koblitz. Nein, er brauche keinen Arzt. Bekannte hätten ihm lediglich den Teufel ausgetrieben.

Koblitz nennt sich heute Abu Azzam al-Almani und ist Propagandist des sogenannten Islamischen Staates.

Silvio Steffen Koblitz in einem Propagandavideo: „Drum kommt in unsere Reihen des islamischen Staates. Ein Leben im Gehorsam, voller Ehre und Zufriedenheit und den Schrecken für Kuffar und den Schrecken für Kuffar.“

Laut dem Berliner Psychologen Ahmad Mansour gehört der Geisterglaube zum Volksislam und ist harmlos. Doch aus seiner Praxis kennt er junge Muslime, die sich auch durch solche Ideen radikalisieren.

Ahmad Mansour, Hayat e.V.: „Sie können die Welt sozusagen in schwarz-weiß trennen. Sie fühlen sich besser als alle anderen und dadurch sind sie sehr beeinflussbar. Wenn sie sich reinsteigern in solche Ideologien, dann ist der Weg auch nach Syrien und in den Irak, um da zu kämpfen, sehr oft offen und das macht die Sache natürlich noch schwieriger für die Prävention und Deradikalisierungsarbeit.“

So wie bei der Facharbeiter Silvio Steffen Koblitz mit den verbrannten Füßen während seiner Teufelsaustreibung. Wie Koblitz stammen zahlreiche radikale Salafisten aus ordentlichen Verhältnissen.

Unsere gemeinsamen Recherchen mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigen:  Viele dieser radikalen Salafisten standen oder stehen in Kontakt mit Personen, die sogenannte Geist- oder Koranheilungen praktizieren oder propagieren wie in diesem Video.

Der Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam vom Landeskriminalamt in Mainz nimmt diese so absurd erscheinenden Zusammenhänge ernst, weil sie Hinweise auf eine sektiererhafte Radikalisierung  geben können.

Marwan Abou-Taam, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz: „Zunächst wird hier sehr dual polarisiert. Es gibt Gott auf der einen Seite und den Teufel auf der anderen Seite; entweder ich bin für Gott und auf Gottes Seite oder ich bin für den Teufel; und je weiter ich mich von Gott löse, umso mehr hat der Teufel Möglichkeiten tatsächlich in mir zu wirken und durch meine Taten zu wirken. Das kann man durchaus als Motiv nehmen und in einen Prozess der Radikalisierung mit einbauen. Das heißt ich kann damit tatsächlich Menschen manipulieren; indem ich vermittele:  ‚Wenn du nicht das tust was Gott will, dann tust du eben das, was der Teufel will.‘“

Wir fahren nach Dinslaken. In den vergangenen Jahren sind von hier rund zwei Dutzend junge Muslime zum Kämpfen nach Syrien gegangen. Darüber haben wir in report München im letzten Jahr mehrmals berichtet.

Bislang unbekannt: Viele von Ihnen waren mit Mustafa Topal bekannt, einem muslimischen Geistheiler mit eigenem Internetportal.

Auch das Video mit der Geisteraustreibung entdecken wir auf dieser Seite.

Tatsache ist aber auch: Gerichtsurteile gegen Topal als Terrorhelfer gibt es nicht.

Verdachtsmomente gibt es sehr wohl. In einem internen Bericht an das nordrhein-westfälische Innenministerium heißt es, dass Zitat: „er in die Rekrutierung von heranwachsenden Personen eingebunden ist.“

In Dinslaken war Topal ein angesehener Bürger und Vorsitzender eines Bildungsvereins.

Erschreckend: Fünf Gründungsmitglieder seines Vereins wurden Dschihadisten. Beispiel: Philip B., der Kassenwart des Vereins. Der Bürgersohn starb als Selbstmordattentäter im Irak.

Dieses Dokument zeigt: Der Geistheiler Mustafa Topal saß im Dinslakener Schulausschuss als beratendes Mitglied für die muslimischen Gemeinden.

Warnungen von Seiten der Polizei gab es nie, sagt Kemal Inan, der sich seit Jahrzehnten für Integration in seiner Heimatstadt Dinslaken engagiert.

Kemal Inan, ehemaliger Vorsitzender Integrationsrat Dinslaken: Wir haben dann diese Person ausgewählt, weil er sehr gut deutsch sprach und auch uns bekannt war in der Moschee. Ich habe ihn dann persönlich auch immer Freitags gesehen und so kam es dazu, dass diese Person dann auch gewählt wurde. So lange wir mit dieser Person zusammengearbeitet haben – ich habe keine Warnungen oder auch keine Einwände von irgendwelcher behördlicher Seite gesehen.“

Mustafa Topal reagiert auf unsere Anfrage nicht. Stattdessen verschwinden kompromittierende Videos aus dem Internet.

Ahmad Mansour, Hayat e.V.: „Menschen, die diese Ideologie in sich haben, können die Welt auch dadurch erklären. Das ist das Sektenhafte bei den Salafisten, dass man immer wieder merkt, dass sie eigentlich für alles eine Antwort haben, dass sie nicht nur für den Alltag eine Ideologie darstellen, sondern auch für die psychisch Kranken, auch für die Leute, die Zwangsstörungen haben, die psychisch labil sind, wird eine Alternativmedizin angeboten, die die Welt erklärt.“

Diese Psychopraktiken können offensichtlich Abhängigkeiten befördern. Beispiel: Der Salafist Abou Nagie macht eine Art von Telefonseelsorge bei einer psychisch kranken Frau:

Abou Nagie: „Schwester, Du weißt, dass der Schaitan unser Feind auf dieser Erde ist. Also je härter die Prüfung ist, desto besser Deine Belohnung bei Allah ist.“

Vor wenigen Tagen treffen wir einen jungen Mann. Sein Bruder starb vor kurzem als IS-Kämpfer im Irak. Er war hier integriert, lebensfroh, besuchte eine Wirtschaftsschule. Als er sich radikalen Salafisten anschloss, wurde er zu einem Sektenjünger.

Junger Mann: „Man hat schon gemerkt, dass er abhängig war von denen, dass er kontrolliert wurde von ihnen, von den jeweiligen Freunden, und, dass er auf sie hören musste. Dass sie sozusagen einen Leitwolf hatten, der ihnen alles beibringt, der ihnen sagt, was sie zu tun haben. (…) Er meinte, dass er ab und zu jetzt öfters Kopfschmerzen hat, und dass er sich selbst nicht wohlfühlt, und, dass er den Kontakt mit denen nicht abbrechen kann; dass er sie nicht loslassen kann, die Freunde.“

Fazit: laut unseren Recherchen hatten all diese jungen Männer Kontakte zu Geistheilern. Die gängige These: Soziale Ausgrenzung führt zum radikalen Salafismus passt auf keinen von ihnen.

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