Report München


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Streitfall Energiewende Aufstand in Urlaubsregionen

LNG-Terminals neben Urlaubsstränden, Wasserkraftwerke in Alpentälern. Die Bundesregierung will die Energieversorgung umgestalten, auch mit riesigen Infrastrukturprojekten, teils in sensiblen Gebieten. Dagegen wächst Protest. Auf Rügen, Deutschlands größter Urlaubsinsel, wollen Bürger ein LNG-Terminal verhindern und im Allgäu regt sich Widerstand gegen ein Wasserkraftwerk im Naturschutzgebiet.

Von: Ulrich Hagmann

Stand: 18.07.2023

Jana Weise steht verzweifelt am Strand von Binz auf Rügen. Der besonders feine Sandstrand hier ist eines der beliebtesten Urlaubsziele Deutschlands. Doch statt sich um Ihre Gäste zu kümmern, kämpft Jana Weise gegen Flüssiggas-Terminals und Tanker, die vor Rügen liegen. Ihre Familie besitzt Ferienwohnungen direkt am Strand, traumhafte Lage - aber jetzt fürchtet Sie, dass die Gäste wegbleiben.

Im Januar ist im 40 Kilometer entfernten Hafen von Lubmin ein schwimmendes Flüssiggas-Terminal in Betrieb gegangen. Seither parken große Tanker vor Rügen, weil sie nicht durch die flache Ostsee fahren können. Das Gas wird in kleinere Schiffe umgeladen und nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern gebracht.

Lubmin ist ein Knotenpunkt für die Gasversorgung, weil hier die Endpunkte der Nordstream Pipelines liegen und Gasleitungen in den Süden bis nach Bayern führen. Deswegen nutzt die Bundesregierung Lubmin für die Anlieferung von Flüssiggas.

Eine Horrorvorstellung für Hoteliers, Vermieter von Ferienwohnungen und die große Mehrheit der Rüganer.

"Wir sehen unsere Existenz bedroht. Man erwartet von uns ein sehr, sehr großes Opfer"

Jana Weise. 

Neue Pipeline durch sensibles Seegebiet

Das schwimmende Flüssiggasterminal und die Transportschiffe sind erst der Anfang. Der Hafen von Mukran auf Rügen soll zur Drehscheibe für Flüssiggas werden.

Gleich zwei schwimmende Terminals sollen im Hafen festmachen und dort langfristig liegen bleiben. Dort können die Flüssiggas-Tanker dann direkt anlegen.

Das Gas sollen nicht mehr kleinere Transportschiffe zum Knotenpunkt nach Lubmin bringen. Die Bundesregierung plant eine Pipeline quer durch die Ostsee vom Hafen in Mukran nach Lubmin. Fünf Schutzgebiete wären vom Pipeline Bau betroffen, sagt das Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern.

"Also das Verrückte an der Sache ist, dass man wirklich ein LNG-Terminal genau in ein Urlaubsparadies reinrammen will.", sagt Jana Weise. Der Hafen liegt am Ende der Binzer Bucht, in Sichtweite der langen Sandstrände. Seit Monaten laufen die Einwohner Sturm gegen die weitergehenden Pläne, die im Eiltempo durchgedrückt werden sollen.

Beschleunigte Verfahren hebeln Umweltschutz aus

Dazu hat der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause den Hafen Mukran in das LNG-Beschleunigungsgesetz aufgenommen. Die Pipeline soll noch in diesem Jahr fertig werden.

"Wir haben das Gefühl, dass diese Beschleunigung jede Demokratie killt, denn wenn man ein normales Verfahren durchläuft ist dieses Projekt einfach zum Scheitern verurteilt."

Karsten Schneider, Bürgermeister Ostseebad Binz. 

Olaf Scholz war in Binz. Auch Robert Habeck war da, überzeugen konnten sie weder Gemeindevertreter, noch Bürger auf Rügen. Die Gemeinde will klagen und hat auch das nötige Geld. Das mondäne Ostseebad steht finanziell gut da, betont der Bürgermeister.

Wasserkraftwerk im Naturschutzgebiet

Auch am südlichsten Zipfel Deutschlands, in Oberstdorf im Allgäu, wird um ein Kraftwerk im Naturschutzgebiet gestritten. In eines der letzten unberührten und streng geschützten Alpentäler soll ein Wasserkraftwerk gebaut werden. Entsetzen beim örtlichen Vertreter des Bund Naturschutzes.

"Das ist ein Natura 2000 Schutzgebiet der Europäischen Union, FFH-Gebiet, also Flora-Fauna Habitat, wo aussterbende Tierarten leben und kein Industriegebiet," sagt Michael Finger vom Bund Naturschutz.

Doch die Gemeinde sieht das anders, mit nur einer Stimme Mehrheit hat der Gemeinderat beschlossen, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Dabei sind die Pläne nicht neu, sie wurden schon im Jahre 2009 geprüft und damals verworfen. Aber jetzt ist alles anders. Ukrainekrieg und Energiekrise haben zu beschleunigten Verfahren geführt, die strenge Naturschutzvorschriften teilweise aushebeln. Das Zeitfenster für Anträge reicht bis Mitte 2024, sagt Bürgermeister Klaus King. Und diese Zeit wollen sie in Oberstdorf nutzen.

"10 % der gesamten Energie des Marktes könnte das Wasserkraftwerk liefern. Damit käme Obersdorf auf ungefähr 70% erneuerbare Energien."

Bürgermeister Klaus King

Für Michael Finger vom Bund Naturschutz ist das der falsche Weg. Er will in jedem Fall gegen das Vorhaben klagen, denn: "Die Leute brauchen einfach Rückzugsgebiete, die technikfrei sind, wo man nicht ständig an einem Gewerbegebiet, einem Parkplatz oder einem Wasserkraftwerk vorbeiläuft."

Ob auf Rügen oder in Oberstdorf: in beiden Fällen werden wohl am Ende Gerichte entscheiden.

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Silke, Mittwoch, 19.Juli 2023, 08:21 Uhr

2. Energiepumpen und LNG-Terminals

Ich schau sehr gerne Beiträge und Informationssendungen der ARD, aber gestern war es mir einfach zu viel. Erst berichtet REPORT München über die Wärmepunpen, die nicht geügend Grundwasser bekommen und dann wird auch noch über die Hotelbesitzer auf Rügen berichtet, denen durch LNG-Terminals die Sicht verschandelt wird. Es gibt überingens Wärmepumpen, die mit Erdwäme arbeiten, das erwähnten Sie zum Schluss nur nur kurz in Ihrer Sendung. Es fehlte nur noch ein negativer Bericht über Windkrafträder oder Solarzellen, die auf dem Acker stehen und irgendwem die Sicht versprerren. Wie soll denn Klimawende funktionieren? Vielleicht überlegen Sie mal, wie Sie darüber berichten können. Es müssen Hilfen für die Büger aufgezeigt werden und nicht negative Stimmungsmache.

Petra Spiegel, Dienstag, 18.Juli 2023, 22:46 Uhr

1. Basisinfo zum Gasverbrauch in DE fehlt im Beitrag zeigte

Hallo Report München Team,

Es für mich nachvollziehbar dass die Tourismusbranche auf Rügen sich Sorgen macht.

Zu kurz kam für mich im Beitrag, dass LNG ist ein krisches Gut für Deutschland ist und welche Auswirkungen eine Unterversorgung hätte.
Eine Info zum Gasverbrauch per Sektor ist meiner Meinung nach eine absolut notwendige Information für solch einen Beitrag zur Ergänzung der Aussagen der individuell betroffenen Personen auf Rügen. Der nachfolgende Beitrag zeigte, dass Erdgas z.B. für die Produktion von Dünger notwendig ist und das stat. Bundesamt hat die Aufteilung pro Sektor sehr einfach verfügbar.

Die Aussage des Kleinbauern in Hafennähe ohne diese Hintergrundinfos "stehen zu lassen" finde ich nicht gut. Leider wird von vielen Menschen eine solche Aussage unkritisch übernommen um dann über die Regierung zu "jammern" Diese Regierung arbeitet sehr aktiv daran den Erdgas-Verbrauch in DE zu reduzieren, trotzdem wird es Jahre dauern und DE braucht das LNG via Schiff.