Report München


8

Messerangriffe in Deutschland Die Täter, die Opfer, die Folgen

Mitunter mörderische Messerangriffe waren in Deutschland lange kein ernsthaftes Problem. In der amtlichen Kriminalstatistik wurden diese Bluttaten nicht einmal erfasst. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Immer wieder kommt es zu brutalen Messerattacken. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Wer sind die Täter? Wie gehen die Opfer damit um?

Von: Fabian Mader, Florian Heinold, Oliver Mayer-Rüth

Stand: 29.08.2023

Die 13-Jährige Agnes wurde bei einer Messerattacke schwer verletzt. Ihre Mutter wurde ermordet. Erstmals spricht sie vor der Kamera über den schrecklichen Angriff.

"Es war eigentlich hier, wo es passiert ist, das alles. Ich war da, in diesem Shop, mit meiner Mutter und ich sah, der Mann, wo er mit dem Messer auf meiner Mutter war. Dann ich habe einfach den Namen von meiner Mutter gerufen, um zu sehen, ob sie noch lebt oder sie irgendwas sagen konnte. Aber ich hab nichts gehört."

Agnes

2021 - Ein Somalier sticht in Würzburg wahllos auf Passanten ein. Er tötet Agnes Mutter. Die damals 11-Jährige kämpft um ihr Leben.

"Als ich gerannt bin, der Typ hat mich angestochen, drei Mal. Ich hatten nichts mehr in meinem Kopf, als: ich will einfach nicht sterben."

Agnes

Sie schleppt sich aus dem Kaufhaus. Ein brasilianisches Paar hilft ihr. Aber der Attentäter macht weiter. Da stellt sich ihm ein Mann mit bloßen Fäusten in den Weg.
Agnes Familie stammt aus Brasilien, sie wird ihn später erstmals treffen.
Solche Schlagzeilen scheinen sich zu häufen.
Allein im vergangenen Jahr haben in Deutschland mehr als 23.000 Mal Menschen mit Messer gedroht oder zugestochen. 
Die meisten Fälle gab es – bezogen auf die Bevölkerungszahl – in Bremen, Hamburg und Berlin – gefolgt von Sachsen-Anhalt.
Stuttgart, Samstagnacht. Der Schlossplatz füllt sich immer mehr – Partygänger, Feiernde ...

"Ich liebe euch alle, wallah!"

Umfrage

Aber in der Umgebung haben Messerattacken in den Vorjahren zugenommen. Deshalb gilt hier am Wochenende ein Messerverbot. Die Stuttgarter Polizei muss es durchsetzen. Ein heikler Job. Katharina Ruff und Dino bajlovic haben Dienst.

"Wenn wir Messer oder gefährliche Gegenstände finden, werden die beschlagnahmt, nach den rechtlichen Möglichkeiten und dann werden die einbehalten."

Katharina Ruff – Einsatzleiterin, Polizei Stuttgart

"Was will man damit erreichen?"

Reporter

"Ja, mehr Sicherheit für die Bürger in Stuttgart."

Katharina Ruff

"Gut. dann folgen."

Dino Bajlovic - Polizist

In Fünferteams machen sich die Polizisten auf zu Personenkontrollen.

"Hallo guten Abend, bajlovic von der Polizei. Eine Personenkontrolle, kommen Sie gerade zu uns. Der Grund ist einfach nur, dass hier vermehrt Straftaten begangen werden. Bitte bleiben Sie mal kurz hier!"

Dino Bajlovic

Drei junge Männer, der eine spricht nur arabisch.

"Papiere unterschreiben."

Dino Bajlovic

Die Polizisten durchsuchen jede Tasche, die Regeln sind klar.

"Heute Abend dürfen die kein Messer dabei haben, das größer als vier Zentimeter ist, auch kein Küchenmesser, wo sie sagen: Das habe ich immer dabei. Wir hören manchmal: Das habe ich dabei, um mir ein Brot zu schmieren. Das ist einfach heute Abend verboten und wird einbehalten von uns."

Katharina Ruff

Die Durchsuchung dauert mehrere Minuten. Dann gibt Dino bajlovic das Ergebnis durch.

"Wir haben einmal eine Person Verstoß BTMG und Joint."

Dino Bajlovic

Drogen, aber kein Messer. Die Polizeiaktion spricht sich rum. Manche reagieren gereizt.

"Zu viele Polizisten hier. Ja, ja. Wir fühlen uns beobachtet. Überall."

Umfrage

"Derr Herr im weißen T-Shirt! Eine Personenkontrolle, den Ausweis bitte."

Dino Bajlovic

Ob sie noch ein Messer finden?

Für den Stuttgarter Polizeipräsidenten ist das Messerverbot alternativlos.

"Also wir hatten in den letzten fünf Jahre in der Innenstadt immer wieder Steigerungsraten, was die Einsatz bzw Delikte mit Messern betrifft. Und dann kam es dazu, dass wir, bevor wir die Diskussion angestoßen haben, einige versuchte Tötungsdelikte in der Innenstadt hatte. Zum Glück gab es keine Toten. Und dann haben wir die Initiative ergriffen."

Markus Eisenbraun, Polizeipräsident Stuttgart

Die Bundesinnenministerin fordert jetzt ein generelles Messerverbot an Bahnhöfen und in Zügen, wo es auch viele Attacken gab.

"Das ist ja eine Forderung, die ich bei der letzten Innenministerkonferenz vorgebracht habe, die wird auch aus den Bundesländern geteilt. Da wo wir Verantwortung tragen: Die Bundespolizei führt schon Kontrollen durch, an Bahnhöfen."

Nancy Faeser – Bundesministerin des Innern und für Heimat

Tatsächlich? Die zuständige Gewerkschaft sagt, bisher darf die Bundespolizei gar nicht anlasslos kontrollieren. Anders als die Polizeien der Länder.

"Wir sind hier sehr, sehr einschränkt. Wir sind zwar an den Bahnhöfen zuständig. Aber wir haben überhaupt keine Kompetenz, verdachtsunabhängig aufgrund kriminalistischer Erfahrung, aufgrund der Erfahrung der Kollegen, einzuschreiten und zu kontrollieren. Im Gegenteil, wir sind hier so stark gehemmt, dass wir überhaupt keine rechtliche Grundlage haben."

Andreas Rosskopf -  Gewerkschaft der Polizei

Auf dem Stuttgarter Schlossplatz sind am Wochenende Messer seit Februar verboten. Die Polizei darf anlasslos Personen durchsuchen – anders als die Bundespolizei. 

"Wir durchsuchen Sie gleich nach gefährlichen Gegenständen, nach Messern."

Dino Bajlovic

Auch er hat kein Messer dabei. 

Unter den Feiernden hier sind viele Menschen mit Migrationshintergrund. Die Kontrollen führen manchmal zu Konflikten.

"Guten Abend, Polizei! Eine Personenkontrolle, einmal die Ausweise!"

Dino Bajlovic

Die beiden Männer werfen den Polizisten vor, sie nur wegen ihres Aussehens zu kontrollieren.

"Moment! Lassen Sie mich ausreden! Bitte ausreden lassen, ich erkläre es Ihnen doch jetzt."

Dino Bajlovic

Den gleichen Vorwurf hört man hier immer wieder.

"Die Polizisten sollten mehr auf die Deutschen achten. Also auch die mit blonden Haaren, nicht immer die mit schwarzen Haaren. Da herrscht schon ein bisschen Rassismus."

Umfrage

"Für die Personen mit Migrationshintergrund, wie die jungen Männer, kommt das immer so vor, aber unter Umständen halten die sich auch vermehrt an den Brennpunkten auf."

Katharina Ruff

Für Dino bajlovic klingt der Vorwurf, er nehme gezielt Migranten ins Visier, wie Hohn. Dazu kann er nur sagen:

"Dass ich selber Migrationshintergrund habe. Und selber ausländische Wurzeln habe. Und dass das eigentlich Schwachsinn ist, das Argument!"

Dino Bajlovic

Andere begrüßen die Kontrollen.

"Ich finde es eigentlich für die Sicherheit in Stuttgart richtig gut!"

Umfrage

Aber es bleibt ein heikles Thema, das eine grundsätzliche Frage aufwirft: spielt die Herkunft von Tätern bei Messerattacken eine Rolle?

Ahmad Mansour sagt: ja – er ist Psychologe und selbst arabisch-palästinensischer Herkunft.

"Wenn wir psychologisch dieses Thema betrachten, dann werden wir sehr schnell merken, dass viele Menschen, die in patriarchalischen Gesellschaften oder Strukturen groß geworden sind – die entweder Gewalt in der Erziehung erlebt haben oder in patriarchalischen Strukturen sozusagen von den Oberen in der Hierarchie niedergemacht werden, dann ist die Neigung zu Gewalt bei diesen Menschen viel größer. Das ist eine Ursache von vielen."

Ahmad Mansour, Psychologe

Was auffällt: Knapp die Hälfte der Tatverdächtigen bei Vorfällen mit Messern sind Nichtdeutsche. Besonders häufig stammen sie aus Syrien, anderen arabischen Staaten oder vom Balkan.

"Was mir wichtig ist, sind zwei Sachen. Darüber sprechen zu können, ohne ganz schnell als rassistisch oder als ausländerfeindlich zu gelten. Und zweitens nicht zu verallgemeinern. Denn nicht jeder Syrer, nicht jeder Iraker, nicht jeder Flüchtling, nicht jeder Moslem, nicht jeder Mensch mit Migrationshintergrund tickt so."

Ahmad Mansour

Zurück in Würzburg – Chia Rabiei, Asylbewerber aus dem Iran stellt sich dem Attentäter in den Weg. Und rettet wahrscheinlich vielen Menschen das Leben.
Mit ihrem Vater und ihrem Bruder will Agnes ihm danken.

"Hallo. Ich war genau hier am Barbarossaplatz. Das war ein sehr schwieriger Tag, der schwarze Freitag.

Wenn ich wieder erinnere mich.. deine Mutter – es tut mir leid. Sorry."

Chia Rabiei

"Alles gut. Sowas zu verhindern ist ganz schwierig, ganz schwieriger Moment.

Ciao. Pass auf dich auf!"

Agnes

Ein Mädchen mit einem schweren Schicksal. Sie ist nicht die einzige in Deutschland.

Manuskript des report-Films zum Druck

Manuskript als PDF:


8

Kommentieren