Report München


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Kippt der Osten Deutschlands? Eine Reportage aus Görlitz

2017 gewann die AfD in Görlitz in Sachsen bei der Bundestagswahl das Direktmandat. Die ostsächsische Stadt gilt seitdem als Hochburg der AfD. Wie gehen Kommunalpolitiker mit dieser Herausforderung um? report München besuchte eine Stadt, durch die sich ein tiefer Spalt zieht.

Von: Nadja Armbrust

Stand: 30.01.2024

Unterwegs nach Sachsen, Görlitz. Bei der Bundestagswahl war die AfD hier die stärkste politische Kraft. Ich frage mich: Wie gehen Kommunalpolitiker anderer Parteien damit um? Die Hebamme Kristina Seifert ist Stadträtin der Grünen. Das Büro der Partei wird andauernd angefeindet.

"Wir hatten monatelang tatsächlich auch mit Menschen zu tun, die in dieses Büro eingetreten sind, aggressiv und gewaltbereit aufgetreten sind, die Mitarbeiter bedroht haben, sodass dieses Büro jetzt nicht mehr aufgeschlossen ist, sondern es ist zugeschlossen. Keine Mitarbeiterin ist mehr alleine im Büro."

Kristina Seifert, Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen

Auch privat wird sie angefeindet.

"Aus dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis schlägt mir der pure Hass entgegen und ich komme dann natürlich mit meiner Hebammen-Gesprächsbereitschaft: Lass uns doch drüber reden, lass uns gerne über Politik diskutieren, aber dann kommt halt nur Schweigen und sind halt echt schon Freundschaften, die mir wichtig waren, weggebrochen. Das macht mich traurig, aber trotzdem würde ich nie was an meinem Verhalten ändern. Denn wehret den Anfängen! Das muss man doch verstehen. Es macht mich echt so betroffen."

Kristina Seifert, Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen

Mit der Geburt ihres siebten Kindes wird alles noch schlimmer.

"Das Baby ist wach! Ich habe schon Sprüche gehört wie: ‚sieht ja aus wie ein kleiner Schimpanse und ein kleines Äffchen' und ‚ach je, jetzt ist er ja doch so dunkel. Na, schämst du dich, oder? Der wird es ja nicht leicht haben bei uns in der Oberlausitz.' Lauter so Sprüche. Die sind nicht böse gemeint, aber die machen natürlich was mit einem. Natürlich reflektiere ich mich und überleg mir, ob ich mit meiner Familie hier weiterleben kann auf Dauer."

Kristina Seifert, Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen

Heute ist ein besonderer Tag für sie: Gleich will sie auf einer Demo gegen Rechtsextremismus sprechen.

Angefeindet und bedroht

"Meine Mutter hat große Angst um mich, die sagt mir: Mach das nicht, geh da nicht hin, sprich da nicht. Schütz deine Kinder, zeig dich nicht, bleib zu Hause, sei still. Aber ne! Sicher nicht!"

Kristina Seifert, Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen

Dennoch: Sicherheit ist für sie ein Thema.

"Ich wurde halt gewarnt, mein Auto zu nah an der Demonstration zu parken, damit mich niemand dann bis zum Auto verfolgt und mein Auto kennt. Also lauter so Sprüche. Es haben so viele echt einfach Angst. So, wir sind da. Den Rest laufen wir. Ich wäre ganz glücklich mit, zwischen 500 und 1000. Und ich hoffe über 1000. Ich sehe, der Platz ist schon voll. Woa! Wahnsinn!"

Kristina Seifert, Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen

Auch Octavian Ursu, Oberbürgermeister von Görlitz, ist hier mit seiner Frau.

"Zu zweit. Wir wollen Gesicht zeigen, das ist wichtig. Auch als Familie. Da sind Grenzen überschritten worden, hier. Das können wir so nicht zulassen."

Octavian Ursu, Oberbürgermeister Görlitz, CDU 

Ursu stammt aus Rumänien. Die bekannt gewordenen Remigrationspläne haben ihn schockiert. 2019 setzte er sich bei der Oberbürgermeister-Wahl gegen den AfD-Kandidaten durch. Grüne und Linke hatten ihre Kandidaten in der Stichwahl zurückzogen.

Es geht los. 1000 Teilnehmende waren angemeldet - mindestens doppelt so viele sind gekommen.

"Jetzt geht's los! Jetzt wird es ernst! Ich möchte in ein menschliches Gespräch kommen. Viele denken sicher, ich kann überhaupt nichts tun. Ich gehe zu den Kundgebungen. Aber was kann ich praktisch tun? Sucht das persönliche Gespräch in der Familie, mit Freunden und mit Bekannten. In so einem Gespräch wird unangenehme Reibung entstehen. Aber Reibung verursacht auch Wärme."

Kristina Seifert, Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen

Auch er ist bewusst nach Görlitz gekommen: Michael Kretschmer, sächsischer Ministerpräsident, in Görlitz geboren.

"Hier wird niemand reimmigiert, weder unser Oberbürgermeister noch unser Lieblingsitaliener, noch Nobelpreisträger, noch Technologie und Professoren! Niemand, meine Damen und Herren!"

Michael Kretschmer, Ministerpräsident Sachsen, CDU

2017 bei der Bundestagswahl verlor er sein Direktmandat in Görlitz an die AfD. Bei der anstehenden Landtagswahl könnte die AfD stärkste Kraft werden.  

"Wir sind die Mehrheit in diesem Land!"

Michael Kretschmer, Ministerpräsident Sachsen, CDU

Wie gespalten ist Görlitz?

Wie gespalten ist Görlitz? Nur wenige hundert Meter hinter mir wird morgen Abend eine ganz andere Demo stattfinden. Montag. Jede Woche demonstrieren in Görlitz Menschen auf der sogenannten Montagsdemo. Oft sind es mehrere Hundert. Das Organisationsteam der Görlitzer Montagsdemos stuft der sächsische Verfassungsschutz als extremistisch ein. Es biete extremistischen Kontaktpersonen regelmäßig eine Bühne. Heute Abend sind laut Polizei etwa 330 Menschen da. Doch die Stimmung mir gegenüber ist eisig:

Montagsdemo

Reporterin: "Nadja Armbrust, ARD, report München."
Demonstranten: "Nein!" "Lügenpresse!"

Ein Zeichen? Für eine Gesellschaft, die nicht mehr miteinander spricht?

Enrico Leonhardt, Demo-Teilnehmer: "Mit einem rede ich, mit einem Einzigen, weil er gesagt hat: ich will reden! Alle anderen verweigern es, grundsätzlich, zu reden."

Andreas Thauer, Demo-Teilnehmer: "Also ich bin mit einer Krankenschwester zusammen und die sieht ja selber das ganze Problem, wo überall gespart wird. Sie war selber noch nie hier bei der Demo. Ich habe mit ihr auch laufenden Konsens: Komm doch mal mit, aber sie hat auch gar nicht die Zeit dazu."

Reporterin: "Sie hat nicht die Zeit dazu oder sie will nicht?

Andreas Thauer, Demo-Teilnehmer: "Sie will auch nicht."

Reporterin: "Warum?"

Andreas Thauer, Demo-Teilnehmer: "Weil sie denkt, das bringt hier nichts. Aber ich sage mir, irgendwo muss ein Anfang gemacht werden. Und deswegen bin ich jeden Tag, also jeden Montag, hier."

Nur zwei Menschen wollten mit mir sprechen. Das gleiche Problem hat der SPD-Ortsverein.

"Da sind ganz viele, wo wir auch sagen, das funktioniert nicht mehr, das ist ein zu hoher Kraftaufwand, da Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber gleichzeitig müssen wir sagen: Wir müssen mit den Menschen reden!"

Stefanie Patron, SPD-Ortsverein Görlitz

Die einst so stolze SPD, in Görlitz kämpft sie um ihre politische Existenz.

"Wir können sagen, was wir wollen. Wir können tolle Sachen sagen. Wir können nicht so gute Sachen sagen. Das ist eigentlich egal. Uns hört niemand mehr zu."

Ulrich Kemmerlings, SPD-Ortsverein Görlitz

Die Genossen, die wir hier interviewen? Fast alles Zugezogene. Der einzige SPDler im Stadtrat? Aus der Partei ausgetreten. Und um den Einzug in den Landtag fürchten sie hier auch.

"Also es wäre ja zum Kotzen, wenn es wirklich so käme. Entschuldigung! Ich will das einfach nicht wahrhaben. Und ich will auch alles dafür tun, dass es nicht so ist. Also ne! Einfach nur still dasitzen und jetzt abwarten wie das Kaninchen vor der Schlange, das liegt mir nicht so."

Karin Mohr, SPD-Ortsverein Görlitz

Die Demos gegen Rechtsextremismus machen ihnen Hoffnung.

"Jetzt könnte es sein, dass man uns wieder zuhört! Dass die Menschen möglicherweise Fakten wieder offen sind. Bis gestern haben sie uns ins Gesicht gelacht!"

Ulrich Kemmerlings, SPD-Ortsverein Görlitz

Nur wenige Tage später erscheint eine neue Umfrage von infratest dimap für den Mitteldeutschen Rundfunk. Die AfD liegt in Sachsen bei 35%.


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Till Scholtz-Knobloch, Mittwoch, 31.Januar 2024, 10:38 Uhr

1. Wenn ein Beitrag dem vorgedachtem Script und nicht mehr O-Tönen folgt

Nadja Armbrust hat alles gemacht, um ihre Karriere zu fördern. Sie hat die immer gleiche Blaupause des Einheitsdrehbuchs: "Ich will verstehen und bin deswegen nach... gefahren" erzählt, das natürlich mit dem wohlgefälligen Satz schließen kann, dass Menschen "Fakten" wieder offen seien. Doch genau das entlarvt, weil jeder, der noch Intuition hat doch merkt, dass die Botschaft schon vor dem Dreh steht. Als Görlitzer Lokalredakteur habe ich bei der Montagsdemo den Fragen und Antworten von Nadja Armbrust genau zugehört. Wieso ausgerechnet die hervorragenden Antworten von Enrico Leonhardt, der berichtete als Linker in seinem Leben schon vielfach gegen Neonazis demonstriert zu haben und wieso er dennoch gute Gründe habe gegen den Great Reset zu demonstrieren, zu einer banalen, eher verwirrenden Kurzsequenz geschnitten wurde, ist ein weiterer Baustein medialen Fremdschämens. Die Definition von "Fakten" wird zum Hebel der Macht. Diese Lebenserfahrung hat der Ostdeutsche aber schon gemacht.

  • Antwort von Die Redaktion, Donnerstag, 01.Februar, 12:03 Uhr

    Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihre Kritik nehmen wir sehr ernst. Lassen Sie mich im folgenden auf die einzelnen Punkte eingehen:
    Die Kernfrage des Beitrags war: Wie gehen Lokalpolitiker/innen damit um? Und wie steht es um den Dialog in Görlitz? Aus diesem Grund ist Herr Leonhardts Antwort auf meine Frage, mit wem er noch spricht, die Antwort auf das Thema des Beitrags. Seine Antwort auf meine Frage wurde nicht zusammengeschnitten. Sollte ich noch einmal nach Görlitz kommen, dann sprechen Sie mich doch einfach an. Dann kommen wir direkt ins Gespräch.

  • Antwort von der Ostdeutsche, Freitag, 02.Februar, 16:33 Uhr

    Falls in diesem Kommentar etwas Sinnvolles vorkommt, wurde es gut versteckt. Ich hoffe, die Görlitzer müssen nicht regelmäßig solch Verwirrendes - oder besser: Wirres - in ihrer Lokalzeitung lesen. Oder in welcher Zeitung auch immer. [Selbst Linke demonstrieren gegen den Great Reset] - Nachtigall, ick hör dir trapsen. Ich dachte ja, Neurechte Intellektuelle hätten tatsächlich Intellekt. Ich hab noch n heißen Tipp: Great Reset ist ein Anagramm von Greta steer - Greta lenke! Schonmal drüber nachgedacht?

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