Ukrainische Soldaten nahe der Frontlinie mit Marder-Schützenpanzer
Bildrechte: REUTERS/Oleksandr Ratushniak

Ukrainische Soldaten nahe der Frontlinie mit Marder-Schützenpanzer

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Putins "Fleischwolf-Taktik": Die Sorgen in der Ukraine wachsen

Russlands Truppen rücken im Osten der Ukraine langsam, aber stetig vor. Moskaus Verluste sind offenbar groß, dennoch scheint die Strategie für Putin aufzugehen. Die Nervosität in der Ukraine nimmt zu.

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Der Krieg scheint in diesen Tagen von Kiew weit weg. Sonne und Temperaturen von über 20 Grad bringen die Menschen auf die Straße. Sie schlendern durch Parks, schlecken Eis und sonnen sich, während einige hundert Kilometer weiter östlich die Artillerie donnert. Zwei Realitäten in einem Land.

Ganz ausgelassen zu sein, dürfte aber für kaum jemanden in der Hauptstadt infrage kommen. Die 19-jährige Margarita aus Kiew betont etwa, dass es jederzeit wieder Luftangriffe geben könne. Außerdem ist sie wegen der Lage an der Front besorgt. "Ich bin absolut unzufrieden mit denen, die dafür verantwortlich sind. Niemand hilft unseren Jungs", sagt sie.

Russland nimmt hohe Verluste in Kauf

Die Frustration ist groß. Russland ist in den vergangenen Tagen im Osten des Landes weiter vorgerückt. Es ist ein langsamer Vormarsch, erkämpft durch massiven Beschuss und mit hohen Verlusten.

"Fleischwolf-Taktik" nennt man das sarkastisch in der Ukraine. Ukrainischen Angaben zufolge kommen derzeit bei den Angriffen jeden Tag mehr als tausend russische Soldaten zu Tode. Dennoch scheint diese Strategie aufzugehen, die russische Armee konnte immer mehr Dörfer in der Region Donezk erobern und die Ukrainer immer öfter zum taktischen Rückzug zwingen.

"Sie drängen immer weiter nach vorn"

Der ukrainische Armeechef Olexander Syrskyj macht aus der schwierigen Lage keinen Hehl. Die Situation an der Front hat sich verschlechtert, schrieb er kürzlich im Messenger-Dienst Telegram. Russland habe einen bedeutenden Vorteil an Kräften und Mitteln, so Syrskyj, und taktische Erfolge errungen. Ob diese auch dazu führen, dass Russland rasch tiefer in die Region vorstoßen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Militärexperten vom amerikanischen Institut ISW bezweifeln, dass die russische Armee derzeit dazu in der Lage ist. Roman Pohorilyi warnt aber davor, die russische Armee zu unterschätzen. Er ist einer der Gründer von DeepStateMap, einer unabhängigen ukrainischen Online-Seite, die die Militärbewegungen genau analysiert. "Sie drängen schon jetzt immer weiter nach vorn, immer weiter. Unsere Soldaten sorgen allerdings dafür, dass sie nur langsam vorrücken können – Dorf für Dorf, und diese nur langsam zerstören. Wenn sie nicht wären, würden die Russen viel schneller vorankommen, so werden sie immer wieder gestoppt."

Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Vorwürfe an die Armeeführung und an Selenskyj

Dennoch gibt es in der Ukraine Ärger und Kopfschütteln darüber, dass Russland gleich mehrere Ortschaften in kurzer Zeit unter seine Kontrolle bringen konnte. So etwa beim Journalisten und Selenskyj-Kritiker Jurij Butusow. Er wirft der Armeeführung vor, lange negative Nachrichten vom Tisch gewischt und die Menschen in falscher Sicherheit gewiegt zu haben. Er sagt, in der Ukraine würden Kommandeure für wahrhaftige Berichte schnell entlassen. Also berichteten einige Kommandeure erst gar nicht. "Es gab sehr viele optimistische Berichte, die der Lage nicht entsprechen. Jetzt muss man klären, was der Grund dafür ist", fordert Butusow.

Die Führung sei für strategische Fehlplanungen verantwortlich, die die Truppen nicht immer ausbügeln könnten. Das zeige sich nun auf dem Schlachtfeld, so Butusow. Eine Kritik an der Armeeführung und auch an Präsident Wolodymyr Selenskyj, der auch der Oberbefehlshaber des Landes ist.

Der Westen will Waffen liefern - die Zeit drängt

Die Nervosität in der Ukraine steigt, und die Rufe nach Hilfe aus dem Ausland werden immer lauter. Diese Rufe werden gehört, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag bei einem Besuch in Kiew. Tatsächlich haben sich in den vergangenen Tagen immer mehr Länder bereit erklärt, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern. Deutschland hatte beispielsweise am Dienstag unter anderem versprochen, weitere zehn Marder-Schützenpanzer zu liefern. Und auch Lettland kündigte ein neues Hilfspaket an, mit dem auch die Luftverteidigung gestärkt werden soll.

Die Nachrichten aus der Ukraine zeigen, wie sehr die Zeit drängt.

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