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Medienwirkungen Kontrovers

Medien sind Kommunikationsmittel. Doch wer beeinflusst die Inhalte und fördert eine aktive Beteiligung im Mediengebrauch? Zwei verschiedene Ansätze versuchen die Wirkung der Medien zu erfassen und zu erklären.

Stand: 15.11.2011 | Archiv

Mediengebrauch | Bild: picture-alliance/dpa

Die Debatten über unseren Mediengebrauch, darüber, ob und wie Medien auf uns einwirken, ob sie uns beeinflussen oder wir eher sie, ob sie etwas Neues bewirken oder nur bereits Bestehendes verstärken, reißen nicht ab. Im Gegenteil, mit dem Heraufkommen neuer Medien werden auch immer neue Theorien zum Mediengebrauch entwickelt. Dennoch lassen sich zwei Pole benennen, zwischen denen sich alle Spielarten der Kontroverse ansiedeln: Der eine Pol heißt "Wirkung", der andere "Nutzung". Gemäß den Polen unterscheiden sie sich in wirkungs- oder nutzungsorientierte Medientheoretiker.

Der wirkungsorientierte Ansatz in der Medientheorie

Der wirkungsorientierte Medientheoretiker sieht den aktiven Part bei den Medien selbst und betrachtet die Medienkonsumenten als passiv, als Empfänger der auf ihn einwirkenden Mediensignale – ihrer Botschaften und Reize. Leitende Fragestellung dieser Theoretiker ist: „Wer sagt was über welchen Kanal zu wem mit welchem Effekt? Basis dieser Theorie ist das einfache Reiz-Reaktionsschema. So sprechen z.B. Verteidiger gewalttätiger Jugendlicher von einer "den freien Willen ausschließenden Fernsehvergiftung" oder davon, "dass ihre Mandanten total fremdbestimmt das Skript eines Filmes nachgelebt hätten" (so Christian Kögel in der SZ vom 24.1.2001).

Eine etwas differenziertere Spielart dieser wirkungsorientierten Auffassung ist die Theorie der Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann. Ihr zufolge suggerieren die Medien den Eindruck, das zu repräsentieren, was die Allgemeinheit akzeptiert, die so genannte "öffentliche Meinung". Was medial nicht vertreten ist, wird aus Angst, mit seiner Meinung allein dazustehen, verschwiegen.
Schweigespirale heißt: "Menschen wollen sich nicht isolieren, beobachten pausenlos ihre Umwelt, können aufs feinste registrieren, was zu- oder abnimmt. ... Wer sieht, dass seine Meinung an Boden verliert, verfällt in Schweigen. Indem die einen laut reden öffentlich zu sehen sind, wirken sie stärker, als sie wirklich sind, die anderen schwächer als sie wirklich sind. Es ergibt sich eine optische und akustische Täuschung für die wirklichen Mehrheits-, die wirklichen Stärkeverhältnisse, und so stecken die einen andere zum Reden an, die anderen zum Schweigen, bis schließlich die eine Auffassung ganz untergehen kann. Im Begriff Schweigespirale liegt die Bewegung, das sich Ausbreitende, gegen das man nicht ankommen kann" (Noelle-Neumann S.13)

Die Agenda-Setting-Hypothese ist eine andere Spielart der wirkungsorientierten Medienforschung. Dadurch, dass die Medien auswählen, was wie lang und wo positioniert, gedruckt und gesendet wird und was nicht, beeinflussen sie direkt das Interesse der Rezipienten. Kurz: Die Redakteure in Presse und Rundfunk bestimmen, was an der Tagesordnung ist, sie geben die Themen unseres öffentlichen Interesses vor: was und worüber wir nachdenken, aber nicht so sehr, wie wir darüber denken.

Der nutzungsorientierte Ansatz in der Medientheorie

Der nutzungsorientierte Medientheoretiker sieht dagegen die aktive Rolle beim Mediennutzer, dem Medienrezipienten. Ihr Motto einfach formuliert: Jeder ist sein eigener Programmmeister. Dadurch, dass die Rezipienten, je nach ihren Interessen, ihrem sozialen Status, Bildungsstand und Alter auswählen, was sie lesen, sehen und hören wollen, bestimmen sie auch aktiv unsere Medienlandschaft mit. Leitende Fragestellung dieser Theoretiker ist: Wer wählt welche Medienangebote aufgrund welcher Motive und wie profitiert er davon? Nicht nur die Auswahl dessen, was einer sieht, liest oder hört, sondern auch was er davon behält, liegt gemäß dieser Theoretiker beim Rezipienten.

Die nutzungsorientierten Medientheoretiker, die sich seit den 80er Jahren immer mehr gegen die wirkungsorientierten durchsetzen, leugnen nicht jegliche Wirkung. Aber sie verstehen die Mediennutzer nicht als ohnmächtige Opfer der Beeinflussung. Sie meinen vielmehr, dass Medien nur in dem Maße wirksam werden, in dem die Rezipienten ihnen eine Wirksamkeit zugestehen. Welche Wirkung wer welchem Medium einräumt, dies hängt von den individuellen Bedürfnissen und dem Wissensstand des Einzelnen ab. Der sucht z.B. gezielt Informationen, die sein bereits vorhandenes Wissen stützen oder erweitern; oder er sucht gezielt den Sender, wo die Musik läuft, die in seiner Schulklasse/bei seinen Freunden gerade en vogue ist.

Hans Magnus Enzensberger brachte die Kritik an den wirkungsorientierten Medienforschern 1988 in seinem Essay über das Fernsehen als Nullmedium auf den Punkt:
"Für alle, die den Massenmedien Manipulation vorwerfen, erscheint der Nutzer der Medien ... grundsätzlich als wehrloses Opfer, der Veranstalter dagegen als durchtriebener Täter. Diese Opposition wird mit tiefem Ernst und beachtlicher Gründlichkeit durchgehalten: Manipulatoren und Manipulierte, Vorahner und Nachahmer, Simulanten und Simulierte, Verblöder und Verblödete stehen einander in schöner Symmetrie gegenüber."
(Enzensberger S. 91) (siehe auch Folge 7 Manipulation)

Kommunizieren in sozialen Netzwerken

In den letzten Jahrzehnten ist der nutzungsorientierte Ansatz auf dem Vormarsch, und dies ist kein Zufall. Denn Kennzeichen der neuen Medien, insbesondere des Internets, ist, dass die dort publizierten Inhalte gleichberechtigt nebeneinander stehen und es in der Tat am Anwender liegt, welche Sites er aufruft. Hier greift weder die Theorie des Agenda-Setting, weil hier keine Redaktion bestimmt, was an der Tagesordnung ist, noch die Schweigespirale, da prinzipiell jeder im Netz frei und ohne Isolationsfurcht seine Meinung äußern kann, und dies auch noch anonym.

Literatur:

  • Elisabeth Noelle-Neumann. Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut. München 1980
  • Hans Magnus Enzensberger. Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen. Frankfurt 1991

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